[23] (a) Der Anwaltszwang folgt aus § 78 I 1 ZPO; ein Ausnahmefall des § 78 III ZPO liegt nicht vor. Anders als § 11 I 1 AVAG sieht § 2 IV 1 des Ausführungsgesetzes die Einlegung der Beschwerde durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle nicht vor. Auch § 569 III Nr. 1 ZPO entbindet vorliegend nicht vom Anwaltszwang. Das Verfahren war auch im ersten Rechtszug vor dem LG als Anwaltsprozess zu führen. [24] (b) Unerheblich ist, dass das vom Ast. angerufene LG sachlich nicht zuständig war. Zuständig ist gem. § 1 I des Ausführungsgesetzes das AG oder das LG, das für die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs zuständig sein würde. Das war hier das AG, weil die zu vollstreckende Hauptforderung umgerechnet weniger als 5.000 Euro betrug (§ 23 Nr. 1 GVG). Bei § 78 ZPO handelt es sich indes um eine formale Ordnungsvorschrift (vgl. BGH, Urt. v. 16.12.1982 – VII ZR 55/82, BGHZ 86, 160, 163 f.; Beschl. v. 20.6.2000 – X ZB 11/ 00, NJW 2000, 3356, 3357; v. 22.4.2008 – X ZB 18/07, NJW-RR 2008, 1290 Rn. 9). Wann und in welcher Weise sich die Parteien eines Rechtsstreits durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen und welche Voraussetzungen diese erfüllen müssen, richtet sich daher im Grundsatz nach rein formalen Gesichtspunkten (vgl. BGH, Beschl. v. 20.6.2000, a.a.O.). Formaler Gesichtspunkt für den sachlichen Anwendungsbereich des § 78 I ZPO ist, wo das Verfahren anhängig war oder anhängig gemacht werden sollte (vgl. Stein/Jonas/Jacoby, ZPO, 23. Aufl., § 78 Rn. 17). Hingegen kommt es nicht darauf an, wo das Verfahren richtigerweise hätte anhängig gemacht werden müssen. [25] (3) Zugunsten des Ag. greift allerdings der Meistaber: Grundsatz der Meistbegünstigung greift begünstigungsgrundsatz. Dieser führt dazu, dass die Einlegung der Beschwerde als wirksam anzusehen ist, ohne dass es auf den Nachweis des Einvernehmens ankommt. [26] Der Grundsatz der Meistbegünstigung findet auch Anwendung, wenn – wie hier – das Gericht nach dem von ihm angewandten Verfahrensrecht die Entscheidungsart zwar zutreffend gewählt hat, der Fehler jedoch auf der Anwendung falschen Verfahrensrechts beruht. Denn auch in diesen Fällen ist das Vertrauen der Beteiligten auf die Richtigkeit der gewählten Entscheidungs- oder Verfahrensform schutzwürdig (vgl. BGH, Beschl. v. 6.4.2011 – XII ZB 553/10, NJW- RR 2011, 939 Rn. 13). Da das LG das Verfahren unrichtig nach dem AVAG behandelt hat, durfte demnach der Ag. darauf vertrauen, dass die Beschwerde auch zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 11 I 1 AVAG, § 78 III ZPO) und daher ohne das Einvernehmen mit einem in Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden kann. [27] dd) Der Schriftsatz der Instanzbevollmächtigten des Ag. v. 6.10.2023 ist allerdings als Prozesserklärung unwirksam, weil er nicht als elektronisches Dokument übermittelt worden ist (§ 130d S. 1 ZPO). Der auf Seiten der Instanzbevollmächtigten des Ag. tätig gewordene österreichische Rechtsanwalt war zur Einreichung der Beschwerdeschrift in elektronischer Form gem. § 130d S. 1 ZPO gehalten. [28] (1) Die bereits durch das Gesetz zur Förderung des Pflicht zur Nutzung desERV elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten v. 10.10.2013 (BGBl. I S. 3786) neu geschaffene Bestimmung des § 130d ZPO ist am 1.1.2022 in Kraft getreten (Art. 26 VII des Gesetzes). Sie ist damit grundsätzlich auf ab diesem Zeitpunkt gegenüber den Gerichten abgegebene Erklärungen von Rechtsanwälten anwendbar. Die zwingende Einreichung von Erklärungen in der elektronischen Form gem. § 130d S. 1 ZPO betrifft die Frage ihrer Zulässigkeit. Die Einhaltung der vorgeschriebenen Form ist deshalb von Amts wegen zu prüfen, ihre Nichteinhaltung führt zur Unwirksamkeit der Prozesserklärung (BGH, Beschl. v. 24.11.2022 – IX ZB 11/22, ZIP 2023, 92 Rn. 7 m.w.N.). [29] (2) § 130d S. 1 ZPO bestimmt, dass vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen sowie schriftlich einzureichende Anträge und Erklärungen, die durch einen Rechtsanwalt eingereicht werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln sind. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll diese Vorgabe dabei nicht nur für das Erkenntnisverfahren, sondern umfassend für alle anwaltlichen schriftlichen Anträge und Erklärungen nach der Zivilprozessordnung gelten (BT-Drs. 17/12634, 28). [30] (3) Diese Vorgaben gelten im Grundsatz auch für dienstleistende europäische Rechtsanwälte i.S.d. §§ 25 ff. EuRAG. [31] (a) Ob der dienstleistende europäische Rechtsanin der Literatur bisher umstritten walt der Nutzungspflicht des § 130d S. 1 ZPO unterliegt, wird im Schrifttum unterschiedlich beantwortet. Zum Teil wird der dienstleistende europäische Rechtsanwalt von der Nutzungsplicht ausgenommen (Thomas/ Putzo/Seiler, ZPO, 45. Aufl., § 130d Rn. 1a; Vollkommer, MDR 2022, 747, 750). Überwiegend wird hingegen von einer Nutzungspflicht ausgegangen (Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., 130d Rn. 3; jurisPK-ERV/Biallaß, 2023, § 130d ZPO Rn. 11; Fritzsche, NZFam 2022, 1, 3; ebenso FG Nürnberg, DStRE 2024, 492 Rn. 18 f für § 52d S. 1FGO). [32] (b) Die überwiegende Ansicht ist richtig. Nach § 27 I 1 EuRAG hat der dienstleistende europäische Rechtsanwalt im Zusammenhang mit der Vertretung oder Verteidigung eines Mandanten im Bereich der Rechtspflege oder vor Behörden die Stellung eines Rechtsanwalts, insb. dessen Rechte und Pflichten, soweit diese nicht die Zugehörigkeit zu einer Rechtsanwaltskammer sowie die Kanzlei betreffen. Die Vorschrift stellt den dienstleistenden europäischen Rechtsanwalt mit dem in Deutschland niedergelassenen Anwalt im Hinblick auf dessen Rechte und Pflichten gleich. [33] Die Gleichstellung bewirkt, dass der dienstleistende europäische Rechtsanwalt im Grundsatz ebenso wie BRAK-MITTEILUNGEN 4/2025 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 286
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