BRAK-Mitteilungen 4/2025

6. Aufl., § 569 Rn. 14). Verfahrensvorschriften sind allerdings kein Selbstzweck. Sie dienen letztlich der Wahrung der materiellen Rechte der Prozessbeteiligten, sollen also die einwandfreie Durchführung des Rechtsstreits unter Wahrung der Rechte aller Beteiligten sicherstellen und nicht behindern (vgl. GmS-OGB, Beschl. v. 5.4.2000 – GmS-OGB 1/98, BGHZ 144, 160, 161 f.). In diesem Sinne ist auch das Schriftlichkeitserfordernis auszulegen, soweit es durch prozessrechtliche Vorschriften zwingend gefordert wird. Die Schriftlichkeit soll gewährleisten, dass aus dem Schriftstück der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, und die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden können. Außerdem muss feststehen, dass es sich bei dem Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist (GmS-OGB, Beschl. v. 30.4.1979 – GmS-OGB 1/78, BGHZ 75, 340, 348 f.; v. 5.4.2000, a.a.O. S. 162; BGH, Beschl. v. 18.3.2015 – XII ZB 424/14, NJW 2015, 1527 Rn. 7). [16] (2) Ob die Zeichnung eines Schriftsatzes in dem seinem Inhalt vorangestellten Rubrum (nachfolgend: Rubrumsunterschrift) dem Schriftlichkeitserfordernis im vorstehenden Sinne genügt, ist in der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet worden. Auch das Schrifttum beurteilt diese Frage nicht einheitlich (dafür Musielak/Voit/Stadler, ZPO, 22. Aufl., § 129 Rn. 9; dagegen Stein/Jonas/Kern, ZPO, § 130 Rn. 21 (Fn. 43); wohl auch BeckOK-ZPO/von Selle, 2025, § 130 Rn. 9; zweifelnd Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 130 Rn. 11). Verneint worden ist die Einhaltung des Schriftlichkeitserfordernisses insb. durch zwei ältere Entscheidungen des BGH (Urt. v. 22.4.1960 – IV ZR 294/59, WoltersKluwerRS 1960, 15080) und des BFH (Urt. v. 29.7.1969 – VII R 92/68, BFHE 96, 381). Verwiesen wurde jeweils auf das Erfordernis der Zeichnung unterhalb des (bestimmenden) Inhalts des Schriftsatzes (vgl. BGH, Urt. v. 22.4.1960, a.a.O. Rn. 9; BFH, a.a.O., S. 384 ff.). In der neueren Rechtsprechung wird die Wahrung des Schriftlichkeitserfordernisses zum Teil für möglich gehalten (BSGE 132, 178 Rn. 15 ff.; BPatG, GRUR-RR 2021, 269 Rn. 23 ff.), zum Teil verneint (OLG Frankfurt/Main, RIW 2001, 543, 544; OLG Braunschweig, FamRZ 2022, 202, 203 f.). [17] (3) Nach Ansicht des Senats ist das SchriftlichkeitsSchriftlichkeitserfordernis gewahrt erfordernis gewahrt, wenn die Rubrumsunterschrift – wie nach den im vorliegenden Fall rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Beschwerdegerichts – von einem österreichischen Rechtsanwalt stammt. [18] (a) Auch das österreichische Verfahrensrecht kennt ein Schriftlichkeitserfordernis. Nach § 75 Nr. 3 der österreichischen Zivilprozessordnung hat jeder Schriftsatz die Unterschrift der Partei selbst oder ihres gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten, im Anwaltsprozess im Grundsatz die des Anwalts zu enthalten. Die Unterschrift kann nach § 58 IV der österreichischen Geschäftsordnung für die Gerichte der I. und II. Instanz – als Rubrumsunterschrift – auf der ersten Seite des Schriftsatzes oder an dessen Schluss erfolgen. Für das österreichische Verfahrensrecht erübrigt sich daher die Diskussion, ob eine Unterschrift den Inhalt des Schriftsatzes räumlich abschließen muss (vgl. Fasching/Konecny/Schneider, Zivilprozessgesetze, 2016, § 75 ZPO Rn. 36). [19] (b) Vor diesem Hintergrund können bei Vorliegen einer Rubrumsunterschrift eines österreichischen Rechtsanwalts aus dem entsprechenden Schriftsatz sowohl der Inhalt der Erklärung, die abgegeben werden soll, als auch die Person, von der sie ausgeht, hinreichend zuverlässig entnommen werden. Da sich der österreichische Rechtsanwalt einer im österreichischen Recht ausdrücklich vorgesehenen Form der Unterschrift bedient, steht – vorbehaltlich abweichender Anhaltspunkte im Einzelfall – zugleich fest, dass es sich bei dem Schriftsatz nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass er mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist. [20] cc) Die Einlegung der Beschwerde war nicht deshalb unwirksam, weil der auf Seiten der Instanzbevollmächtigten des Ag. tätig gewordene österreichische Rechtsanwalt nicht im Einvernehmen mit einem in Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt gehandelt hat (§§ 28 f. EuRAG). Nach Maßgabe des Ausführungsgesetzes war der österreichische Rechtsanwalt zwar gehalten, im Einvernehmen mit einem in Deutschland zugelassenen Rechtsanwalt zu handeln. Zu Gunsten des Ag. greift allerdings der Meistbegünstigungsgrundsatz, weil das LG das Verfahren unrichtig nach dem Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz (AVAG) in der Fassung der Bekanntmachung v. 30.11.2015 (BGBl. I S. 2146) behandelt hat. [21] (1) Gemäß § 28 I EuRAG darf der dienstleistende kein Einvernehmensanwalt europäische Rechtsanwalt in gerichtlichen Verfahren, in denen der Mandant nicht selbst den Rechtsstreit führen oder sich verteidigen kann, als Vertreter oder Verteidiger eines Mandanten nur im Einvernehmen mit einem Rechtsanwalt (Einvernehmensanwalt) handeln. Ein Einvernehmensanwalt ist daher erforderlich, wenn sich die Parteien gem. § 78 ZPO durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen (vgl. Weyland/ Nöker, BRAO, 11. Aufl., § 28 EuRAG Rn. 2; Buchmann/ Gerking, in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, 3. Aufl., § 28 EuRAG Rn. 1). Das Einvernehmen ist bei der ersten Handlung gegenüber dem Gericht oder der Behörde schriftlich nachzuweisen (§ 29 I EuRAG). Gemäß § 29 III EuRAG sind Handlungen unwirksam, für die der Nachweis des Einvernehmens zum Zeitpunkt ihrer Vornahme nicht vorliegt. [22] (2) Nach Maßgabe des Ausführungsgesetzes bestand für die Einlegung der sofortigen Beschwerde Anwaltszwang und fehlte es am Nachweis des Einvernehmens. BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 4/2025 285

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