BRAK MITTEILUNGEN AUGUST 2025 · AUSGABE 4/2025 56. JAHRGANG AKZENTE TEMPO MACHEN BEI DER DIGITALISIERUNG Dr. Ulrich Wessels Zeitgemäß, nutzerfreundlich, effizient und barrierearm soll die Justiz sein – große Worte, die die Reformkommission „Zivilprozess der Zukunft“ in ihrem Abschlussbericht als Ziel formuliert. Ähnlich klingen die Statements der Justizministerinnen und -minister von Bund und Ländern nach ihrem Digitalgipfel im Juni. Von moderner, zukunftsfester Justiz ist die Rede, von konsequenter Digitalisierung und davon, dass man nun „Tempo machen“ müsse. Daher soll eine üppig finanzierte „Digitalsäule“ im neu aufgelegten Pakt für den Rechtsstaat gemeinsame Digitalisierungsprojekte vorantreiben. Zentrale Empfehlungen der Kommission sind ein BundLänder-Justizportal, eine bundeseinheitliche Kommunikations-Cloud, die Erprobung von Online-Verfahren und maschinenverarbeitbarer, digitaler Parteivortrag. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung greift einige der Punkte auf; mit ihrer Umsetzung wurde bereits begonnen, der Aufbau der Justizcloud soll noch in diesem Jahr starten. Auch bei der Umsetzung der Reformvorschläge für das Zivilverfahren macht das Bundesjustizministerium Tempo. In dichter Folge kamen im Juni und Juli Gesetzentwürfe, die noch in der zweiten Jahreshälfte durch den Bundestag sollen. Im elektronischen Rechtsverkehr sollen verbliebene Medienbrüche abgebaut werden, etwa durch elektronische Präsenzbeurkundungen oder bei der Zwangsvollstreckung. Medienbrüche abbauen will die Reformkommission auch in der Justiz. Dieses Ziel ist nicht neu: Seit 2017 regelt das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz den Start der eAkte in allen Gerichtszweigen bis zum 1.1.2026. Doch bei der Umsetzung offenbarten sich Probleme. Anfang Juli legte das Ministerium einen bereits mit den Ländern abgestimmten Referentenentwurf vor. Er ermöglicht ihnen, die Einführung der eAkte um ein Jahr zu verschieben. Das sieht der Realität ins Auge: Die Einführungsstände unterscheiden sich deutlich. Dabei wäre Tempo machen hier angezeigt, angesichts der Risiken einer weiteren Verzögerung. Denn während einige Gerichte noch mit Papierakten arbeiten, sollen amtsgerichtliche Verfahren bis 10.000 Euro bald rein digital geführt werden. Mitte Juli beschloss das Kabinett den Regierungsentwurf zur Erprobung des Online-Verfahrens für geringfügige Geldforderungen. Das Projekt stammt aus der letzten Legislaturperiode, ist als Ziel im Koalitionsvertrag verankert und soll noch in diesem Jahr abgeschlossen werden. Das Verfahren soll für amtsgerichtliche Streitwerte gelten – und hier greift ein weiteres Reformprojekt: Amtsgerichte sollen künftig für Streitwerte bis 10.000 Euro statt bisher 5.000 Euro zuständig sein; die Landgerichte erhalten neue Spezialzuständigkeiten. Das sieht ein ebenfalls kurz vor der Sommerpause vorgelegter Gesetzentwurf vor. Damit werden zehntausende Verfahren an die Amtsgerichte verlagert, für die so auch der Postulationszwang entfällt. Auch auf die Berufungsinstanzen wirkt sich diese Umverteilung aus; zudem überlegt das Ministerium, auch die Streitwertgrenzen für Rechtsmittel anzuheben. So lobenswert es ist, die Amtsgerichte in der Fläche zu stärken – für den Zugang zum Recht in der Fläche braucht es auch eine starke Anwaltschaft. Umso mehr verwundert, dass die Gesetzesbegründung ersparte Anwaltskosten in Höhe von 14,5 Mio. Euro herausstellt. Ein bloßer Kostenfaktor – nicht etwa erste Anlaufstelle für Rechtsuchende und wesentlicher Baustein eines funktionierenden Rechtsstaats! Ein Inflationsausgleich bei den Streitwertgrenzen mag vertretbar erscheinen – ein derartiger Blick auf anwaltliche Beratung und Vertretung ist es nicht. Für eine durchdachte Neujustierung der gerichtlichen Zuständigkeiten müssen auch die personellen Auswirkungen in der Justiz und ihre Belastung durch diverse Digitalisierungsprojekte und die – eigentlich prioritäre – Umsetzung der eAkte einkalkuliert werden, und nicht zuletzt auch die Effekte für die anwaltliche Versorgung in der Fläche. Statt kohärentem Digitalisierungstempo gibt es viele, vielleicht sogar zu viele Baustellen ohne klares Realisierungskonzept. Ihr Dr. Ulrich Wessels AKZENTE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2025 247
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