Gemäß § 11 I 1 EuRAG wird, wer eine mindestens dreijährige effektive und regelmäßige Tätigkeit als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt in Deutschland auf dem Gebiet des deutschen Rechts, einschließlich des Gemeinschaftsrechts, gem. § 12 EuRAG nachweist, nach den Vorschriften der §§ 6 bis 36, 46a bis 46c I, IV und V BRAO zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Stellte man allein auf den Wortlaut des § 11 I 1 EuRAG ab, könnte sich der Kl. – im Fall der Anwendbarkeit der Norm (s.o.) – auf die Regelung berufen. Sie richtet sich ausdrücklich an niedergelassene europäische Rechtsanwälte i.S.d. EuRAG, zu denen auch der Kl. zählte, solange seine Aufnahme bei der Bekl. nicht bestandskräftig widerrufen worden war (s.o.). Ein solches Verständnis der Norm steht jedoch nicht in Wortlaut des § 11 EuRAG allein nicht maßgeblich Einklang mit deren Sinn und Zweck. § 11 EuRAG dient der Umsetzung der Richtlinie 98/5/EG, welche Hindernisse für den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union beseitigen soll (Erwägungsgrund 1, RL 98/5/EG). Diesem Sinn und Zweck dient die Eingliederung von Personen, die keinem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union angehören, ersichtlich nicht. Auch die Gesetzessystematik spricht dagegen, dass der Kl. sich auf § 11 EuRAG berufen kann. Zwar ergibt sich aus § 4 II EuRAG, dass eine Person solange den Status eines niedergelassenen europäischen Rechtsanwalts innehat, bis deren Aufnahme bei der Rechtsanwaltskammer bestandskräftig widerrufen worden ist. § 4 II EuRAG ist jedoch in Teil 2 des EuRAG (Berufsausübung als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt) verortet, und nicht in den allgemeinen Vorschriften (Teil 1) oder, wie § 11 I 1 EuRAG, in Teil 3 des EuRAG (Eingliederung). Die Stellung des § 4 II EuRAG lässt darauf schließen, dass niedergelassene europäische Rechtsanwälte lediglich im Hinblick auf die Berufsausübung solange in den Anwendungsbereich des EuRAG fallen sollen, bis deren Aufnahme bei einer Rechtsanwaltskammer bestandskräftig widerrufen worden ist. § 4 II 1 Alt. 2 EuRAG regelt demnach hinsichtlich der Berufsausübung eine Ausnahme von § 1 EuRAG, welcher vorsieht, dass das Gesetz die Berufsausübung und die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft in Deutschland nur für natürliche Personen regelt, die berechtigt sind, als Rechtsanwalt unter einer der in der Anlage zu dieser Vorschrift genannten Berufsbezeichnungen selbstständig tätig zu sein (europäische Rechtsanwälte). Diese Auslegung entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Dass der Gesetzgeber Personen, die keinem Mitgliedstaat der Europäischen Union mehr angehören, keine Privilegien nach dem EuRAG mehr einräumen wollte, ergibt sich aus der durch den „Brexit“ bedingten Schaffung des § 4 II 1 Alt. 2 EuRAG, wonach die Aufnahme solcher Rechtsanwälte bei Rechtsanwaltskammern zu widerrufen ist (vgl. RegE v. 24.4.2020, BR-Drs. 196/20, 73). Selbst wenn sich der Kl. als niedergelassener europäikeine Privilegien mehr nach dem Brexit scher Rechtsanwalt entgegen dem Vorstehenden grundsätzlich auf § 11 I 1 EuRAG hätte berufen können, hätte die Bekl. den Antrag des Kl. ablehnen dürfen. Der Kl. erfüllte nicht die Voraussetzung einer dreijährigen effektiven und regelmäßigen Tätigkeit als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt. Der Kl. hat den Status eines niedergelassenen europäischen Rechtsanwalts erst am 30.12.2020 durch Aufnahme bei der Bekl. erhalten. Folglich konnte er weder zum Zeitpunkt der Antragstellung noch zum Zeitpunkt der Entscheidung der Bekl., wie gem. § 11 I 1 EuRAG gefordert, drei Jahre als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt tätig gewesen sein. § 11 I 1 EuRAG ist im vorliegenden Fall nicht entgegen dem Wortlaut so auszulegen, dass es auf den Zeitpunkt der Aufnahme als europäischer Rechtsanwalt nicht ankommt. Sinn und Zweck des § 11 I 1 EuRAG sprechen gegen eine solche Auslegung. Durch die Eingliederung eines niedergelassenen europäischen Rechtsanwalts wird dieser einem Rechtsanwalt, der aufgrund des Erwerbs der Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz zur Rechtsanwaltschaft zugelassen ist, gleichgestellt. Die in § 11 I 1 EuRAG statuierte Voraussetzung einer dreijährigen effektiven und regelmäßigen Tätigkeit soll zum Schutze der Rechtsuchenden sicherstellen, dass der Rechtsanwalt sich vor der Eingliederung die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten im deutschen Recht und dessen Anwendung durch praktische Tätigkeit zugeeignet hat (Weyland/Nöker, BRAO, 11. Aufl. 2024, § 11 EuRAG Rn. 3). Da ein europäischer Rechtsanwalt erst mit Aufnahme bei einer Rechtsanwaltskammer seinen Beruf wie ein nach deutschem Recht ausgebildeter Rechtsanwalt ausüben kann (vgl. § 2 I EuRAG), eignen sich Tätigkeiten, die ein europäischer Rechtsanwalt vor Aufnahme bei einer Rechtsanwaltskammer verrichtet hat, nicht, um die erforderliche praktische Tätigkeit nachzuweisen. Auch aus der Aufnahme des Kl. als ausländischer Rechtsanwalt gem. § 206 BRAO oder der Aufnahme als ausländischer Syndikusrechtsanwalt gem. § 206 BRAO bei der Bekl. folgt nicht die Rechtswidrigkeit der Ablehnungsentscheidung der Bekl. Voraussetzung einer Eingliederung ist gem. § 11 I 1 EuRAG eine dreijährige Tätigkeit auf dem Gebiet des deutschen Rechts. Gemäß § 206 III BRAO war der Kl. aber nur zur Erbringung von Rechtsdienstleistungen auf den Gebieten des Rechts des Herkunftsstaats und des Völkerrechts berechtigt. Ob die Erbringung von Rechtsdienstleistungen im Völkerrecht als Teil des deutschen Rechts i.S.d. EuRAG gewertet werden kann, kann im vorliegenden Fall dahinstehen, da der Kl. ausweislich seiner Falllisten keine Rechtsdienstleistungen im Völkerrecht erbracht hat. Soweit der Kl. Rechtsdienstleistungen als Rechtskundiger im ausländischen Recht, namentlich im Common ZULASSUNG BRAK-MITTEILUNGEN 3/2025 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 234
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