ausweislich der Aussage, den von der Mandantin erhobenen Vorwurf in einer mündlichen Verhandlung als Lüge zu offenbaren, davon ausging, seine pflichtgemäße Mandatsführung belegen zu können, während die Mandantin aufgrund der ihr von der O. erteilten Auskunft davon ausgehen konnte, dass der Rechtsanwalt deren Schreiben v. 29.9.2020 erhalten hatte, bestand aus objektiver Sicht für den Rechtsanwalt kein Anlass, das im Ansatz nachvollziehbare Begehren der Mandantin als absolut ungerechtfertigt und sogar als „verleumderisch“ anzusehen. Im Rahmen der anzustellenden Gesamtwürdigung ist auch von Bedeutung, dass der Rechtsanwalt die vehement angekündigte Schadensersatzklage, von der auch in seiner Berufungsbegründung noch wiederholt die Rede gewesen ist, tatsächlich bislang nicht erhoben hat. Denn dieser Umstand lässt darauf schließen, dass es ihm nicht in erster Linie um die Wahrnehmung seiner beruflich-wirtschaftlichen Interessen gegangen ist, sondern um der Mandantin zu drohen. [25] Insgesamt ist hier nach Ansicht des Senats von Schmähkritik einer durch Art. 5 GG nicht mehr gedeckter Schmähkritik auszugehen. Durch die gewählten Bezeichnungen stellte der Rechtsanwalt nicht mehr den Streit um die Richtigkeit der gegen ihn erhobenen Vorwürfe in Zusammenhang mit der Mandatsbearbeitung in den Vordergrund, sondern einen Angriff auf die persönliche Integrität der Mandantin, nämlich wegen vermeintlicher Boshaftigkeit der Mandantin als Grund ihrer Beschwerde. Eine Schmähung ist eine Äußerung – unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext – dann, wenn jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Wesentliches Merkmal der Schmähung ist eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung (BVerfG, NZA 2018, 924). Das ist hier nach Ansicht des Senats der Fall, weil die Äußerungen des angeschuldigten Rechtsanwalts in ihrem Zusammenhang nicht mehr darauf abzielten, seine Interessen zu wahren, sondern die Person der Mandantin herabzuwürdigen, indem diese als „dreckige Lügnerin“ und ihr Handeln als das „wie eine böse alte Frau“ bezeichnet wurden. Auch bei einer Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des angeschuldigten Rechtsanwalts nach Art. 5 I GG und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Mandantin ist davon auszugehen, dass ein solches Verhalten eines Rechtsanwalts gegenüber einer (ehemaligen) Mandantin nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt ist. Wie dargestellt, sind die Äußerungen des angeschuldigten Rechtsanwalts nicht ad hoc in einer hitzigen Situation oder einem persönlichen Dialog gefallen, sondern in einer offensichtlich überlegten Mail mit weitergehendem Inhalt. Zwar mag der angeschuldigte Rechtsanwalt sich über die Beschwerde der Mandantin geärgert haben; aufgrund Qualifizierung, seiner beruflichen Stellung und seiner jahrelangen Erfahrung als Rechtsanwalt war es ihm aber zuzumuten, auch in einer solchen, nicht einmal besonders emotionalen Situation die Grenzen der Meinungsfreiheit zu kennen und zu wahren und das Persönlichkeitsrecht der Mandantin in seine Überlegungen mit einzubeziehen. Inhaltlich gab es auch keinen objektiven Grund zu den genannten Äußerungen. Denn die Mandantin behauptete noch nicht einmal, er, der angeschuldigte Rechtsanwalt, lüge; sie berichte in ihrer Beschwerde lediglich von der Information, die sie von der Versicherung erhalten hat. Bei der Abwägung ist ferner zu berücksichtigen, in welchem Umfeld und mit welcher Außenwirkung die Äußerungen gefallen sind. [26] Erhält nur ein kleiner Kreis von Personen von einer ehrbeeinträchtigenden Äußerung Kenntnis oder handelt es sich um eine nicht schriftlich oder anderweitig perpetuierte Äußerung, ist die damit verbundene Beeinträchtigung der persönlichen Ehre geringfügiger und flüchtiger als im gegenteiligen Fall. Demgegenüber ist die beeinträchtigende Wirkung einer Äußerung bspw. gesteigert, wenn sie in wiederholender und anprangernder Weise (vgl. BVerfG, DVBl 2025, 427), etwa unter Nutzung von Bildnissen des Betroffenen, oder besonders sichtbar in einem der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Medium getätigt wird (vgl. BVerfG, DVBl 2025, 427; BVerfG, NStZ 2022, 734). [27] Im vorliegenden Fall war die Bezeichnung als dreckige Lügnerin nur an die Mandantin als unmittelbare Empfängerin – und damit an den denkbar kleinsten Empfängerkreis – gerichtet. Sie wurde allerdings in Form einer E-Mail getätigt und damit perpetuiert. Außerdem erhob der angeschuldigte Rechtsanwalt die zugrunde liegenden Vorwürfe von Schikane auch gegenüber der RAK. Für den Rechtsanwalt war aufgrund des Beschwerdeverfahrens der Mandantin mit der RAK auch vorhersehbar, dass ein größerer Kreis, nämlich zunächst einmal mindestens der Vorstand der RAK, von seinen Äußerungen Kenntnis erlangen würde. Tatsächlich ist durch das vorliegende anwaltsgerichtliche Verfahren der Empfängerkreis der Äußerung, die der angeschuldigte Rechtsanwalt auch während des ganzen anwaltsgerichtlichen Verfahrens inhaltlich aufrechterhalten hat, ein deutlich größerer Empfängerkreis, nämlich über die RAK hinaus die Generalstaatsanwaltschaft, die Mitglieder des Anwaltsgerichts und schließlich die Mitglieder des Senats erweitert worden. Außerdem unterstellte der angeschuldigte Rechtsanwalt in seinem an den Vorstand der RAK gerichteten Schreiben v. 22.6. 2021 der Mandantin, deren Leben habe nur noch den einen Sinn, einen Rechtsanwalt gezielt mit dem Vorsatz zu beauftragen, sich dann über ihn zu beschweren. Auch diese Aussage impliziert – einem erweiterten Personenkreis gegenüber – eine unverhältnismäßige Herabsetzung der Mandantin, indem einerseits deren Leben jeglicher anderweitige Sinn abgesprochen und andererseits ein planvolles Vorgehen mit Schädigungsabsicht unterstellt wird. [28] Ein Rechtfertigungsgrund gem. § 193 StGB wird von dem angeschuldigten Rechtsanwalt weder dargeBERUFSRECHTE UND PFLICHTEN BRAK-MITTEILUNGEN 3/2025 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 226
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