BRAK-Mitteilungen 3/2025

fasst nicht zuletzt die Freiheit, die persönliche Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten in subjektiver Emotionalität in die Welt zu tragen (vgl. BVerfG, DVBl 2025, 427; BVerfG, NJW 2016, 2173). Die Einschätzung des angeschuldigten Rechtsanwalts, die Bezeichnung als „dreckige Lügnerin“ sei keine Formalbeleidigung, sondern eine Meinungsäußerung, ist unzutreffend, weil nicht sein subjektives Verständnis maßgebend ist. Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht der sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der von der Äußerung Betroffenen, sondern grundsätzlich der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (vgl. BVerfG, DVBl 2025, 427; BVerfGE 93, 266; BVerfG, NJW 2022, 680; BVerfG, NStZ-RR 2024, 168). Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht, und den Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt, soweit diese für die Rezipienten erkennbar waren (BVerfG, DVBl 2025, 427; BVerfGE 93, 266, 295). [20] Die mit der E-Mail v. 1.2.2021 getätigten Äußerungen sind im Kontext mit der bereits zuvor – mit einem zeitlichen Abstand von mehr als einer Woche – gewählten Bezeichnung der Eingabe an die RAK als verleumderisch zu sehen. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird die Bezeichnung als „dreckige Lügnerin“ nicht als übliche Meinungskundgabe verstanden, sondern hat eine eindeutige, auch weitgehend kontextunabhängig herabwürdigende Bedeutung. Das ergibt sich bereits aus dem vom Rechtsanwalt selbst artikulierten Verständnis, wonach die Bezeichnung als „dreckig“ u.a. die Bedeutung von „verachtenswert“ umfasse. [21] „Lügen“ bedeutet, das Gegenteil der Wahrheit saverleumderische Aussagen gen, absichtlich Unwahres sagen, um Andere zu täuschen. Dementsprechend wird unter einer Lüge die absichtlich falsche Aussage, eine Aussage zur bewussten Täuschung Anderer verstanden. Daraus folgt, dass der Rechtsanwalt der Mandantin vorgehalten hat, vorsätzlich objektiv Unwahres zu sagen. Der Vorwurf wahrheitswidrigen Vortrags birgt im Kern eine ehrverletzende Äußerung (OLG Stuttgart, GWR 2011, 124) Durch seine Äußerung zog der angeschuldigte Rechtsanwalt die Vertrauenswürdigkeit seiner Mandantin generell in Zweifel, denn wer wiederholt objektiv Unwahres sagt, dessen Worte sind nichts wert. Diese Äußerung stellt nach allgemeinem Verständnis die pauschale Verunglimpfung des Adressaten dar (vgl. LAG Hessen, NZA-RR 2007, 245), insb. i.V.m. dem expliziten Hinweis, dies bewusst mit Schädigungsvorsatz zu tun. Durch die Bezeichnung als Lügner wird typischerweise die persönliche Redlichkeit und Vertrauenswürdigkeit der angesprochenen Person in Frage gestellt (LAG Hessen, BeckRS 2013, 70303). Das sieht auch der Senat so. [22] Zwar könnten die gewählten Formulierungen, insb. in Form rhetorischer Fragen, in ihrem Zusammenhang für eine im Zustand der Erregung getätigte Aussage sprechen. Jedoch ist in diesem Zusammenhang zu würdigen, dass die E-Mail außerhalb eines aktuellen und unmittelbaren Dialogs verfasst wurde, so dass Gelegenheit bestand, die Eignung und Bedeutung der Wortwahl vor dem Absenden in ihrer Gesamtheit zu prüfen und kein aktueller Äußerungsdruck bestand. Abwägungsrelevant kann ferner u.a. sein, ob dem Äußernden aufgrund seiner beruflichen Stellung, Bildung und Erfahrung zuzumuten ist, auch in besonderen Situationen – bspw. gerichtlichen und behördlichen Verfahren – die äußerungsrechtlichen Grenzen zu kennen und zu wahren. Der angeschuldigte Rechtsanwalt war aufgrund seiner juristischen Bildung und seiner umfangreichen beruflichen Erfahrung als seit ca. 20 Jahren zugelassener Rechtsanwalt grundsätzlich zur Erkenntnis in der Lage, dass die Bezeichnung als „dreckige Lügnerin“ eine auch im legitimen Kampf ums Recht unangemessen herabwürdigende Formulierung war. Ähnlich negativ konnotierte Formulierungen hatte die Mandantin in ihrem an die RAK gerichteten Schreiben hinsichtlich des Rechtsanwalts sowie ihren E-Mails an den Rechtsanwalt nicht gewählt und demnach keinen konkreten Anlass zu einer Entgegnung in dieser Schärfe gegeben. [23] In diesem Zusammenhang ist zudem erheblich, ob kein Anlass und inwieweit für die betreffende Äußerung ein konkreter und nachvollziehbarer Anlass bestand oder ob sie aus nichtigen oder vorgeschobenen Gründen getätigt wurde (vgl. BVerfG, DVBl 2025, 427 m.w.N.). Hierbei ist auch der Gesichtspunkt des sog. „Kampfs um das Recht“ zu berücksichtigen. Danach ist es im Kontext rechtlicher Auseinandersetzungen grundsätzlich erlaubt, besonders starke und eindringliche Ausdrücke zu benutzen, um Rechtspositionen und Anliegen zu unterstreichen (vgl. BVerfG, DVBl 2025, 427; BVerfGE 76, 171, 192; BVerfG, NJW 2020, 2622, und BVerfG, NStZ 2022, 734). Beim sog. Gegenschlag sind angesichts der heutigen Reizüberflutungen auch harte einprägsame Formulierungen hinzunehmen, sofern mit ihnen keine persönliche Herabwürdigung verbunden ist (Huber/Voßkuhle/Paulus, 8. Aufl. 2024, GG Art. 5 Rn. 312). [24] Vor dem Hintergrund, dass der angeschuldigte Rechtsanwalt die gegen ihn vorgebrachte Beschwerde für unberechtigt und den dazu vorgetragenen Sachverhalt für unzutreffend hielt, wäre die Bezeichnung dessen als Lüge oder der Mandantin als Lügnerin nach diesen Maßstäben noch von der Meinungsfreiheit gedeckt gewesen. Die Formulierungen zu einem Lügen wie eine „böse alte Frau“ und „dreckige Lügnerin“ gingen indes auch in diesem Kontext über eine scharfe Erwiderung hinaus, denn sie implizieren, dass die Mandantin in niederträchtiger Weise aus reiner Bosheit handelte. Dafür bestanden indes keine konkreten Anhaltspunkte und solche werden vom Rechtsanwalt auch nicht bezeichnet. Angesichts der Umstände, dass der Rechtsanwalt BERUFSRECHTE UND PFLICHTEN BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 3/2025 225

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