PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT RECHTSANWÄLTIN ANTJE JUNGK, RECHTSANWÄLTE BERTIN CHAB UND HOLGER GRAMS* * Die Autorin Jungk ist Leitende Justiziarin, der Autor Chab Leitender Justiziar bei der Allianz Versicherungs-AG, München; der Autor Grams ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in München. In jedem Heft der BRAK-Mitteilungen kommentieren die Autoren an dieser Stelle aktuelle Entscheidungen zum anwaltlichen Haftungsrecht. HAFTUNG DARLEGUNG EINES „MINDESTSCHADENS“ IM REGRESSPROZESS Für die Darlegung eines Mindestschadens im Regressprozess wegen Verjährenlassens eines Pflichtteilsanspruchs genügt es nicht, bestimmte Aktiva des Nachlasses zu benennen und im Übrigen zu behaupten, etwaige Passiva würden ggf. durch weitere noch unbekannte Aktiva ausgeglichen. (eigener Ls.) LG Berlin II, Urt. v. 11.4.2025 – 60 O 72/25 Die Eltern des Klägers in diesem Haftpflichtprozess hatten sich zu Lebzeiten gegenseitig als befreite Vorerben eingesetzt und als Nacherben schließlich die beiden Schwestern des Mandanten. Zunächst starb der Vater, etwa zweieinhalb Jahre später dann die Mutter der drei Geschwister. Der Kläger macht gegen seinen Anwalt Schadenersatzansprüche geltend mit der Begründung, dieser habe ihm nicht zur Verfolgung des Pflichtteilsanspruchs hinsichtlich des ersten Erbfalls geraten und entsprechende Ansprüche auch nicht rechtzeitig verfolgt. Der beklagte Anwalt wandte ein, er sei ausdrücklich nur wegen der Pflichtteilsansprüche nach dem Tod der Mutter mandatiert gewesen und dieser Nachlass sei überschuldet. Da der Kläger den Schaden nicht eindeutig beziffern konnte, machte er einen Mindestschaden geltend, den er berechnete, indem er den Wert mehrerer bestimmter Nachlassgegenstände addierte und hieraus seinen Zwölftelanteil als Pflichtteil berechnete und im Wege des Schadenersatzes einklagte. Dem Hinweis auf etwaige Passiva des Nachlasses begegnete er, indem er – allerdings ohne weitere Substanz – behauptete, diese seien jedenfalls niedriger als der Wert weiterer nicht genau bekannter Nachlassgegenstände. Zunächst gibt dieser Fall Anlass, ganz allgemein auf Irrtümer hinzuweisen, denen die Beteiligten in solchen und ähnlichen Konstellationen „gerne“ aufsitzen. Immerhin handelt es sich im vorliegenden Fall sogar beim Kläger selbst um einen Juristen. Immer wieder wird bei zwei zeitlich recht nahe zusammenhängenden Erbfällen einfach das insgesamt noch beim Letztversterbenden vorhandene Vermögen betrachtet, um dann daraus Erb- oder Pflichtteilsansprüche zu berechnen. Bisweilen werden sogar die Quoten verkehrt berechnet, weil die Erbgänge nicht sauber voneinander getrennt werden. Nicht selten perpetuieren sich die Fehler sogar, wenn im Haftpflichtprozess gegen Anwälte am Ende auf Klägerseite der vorgebliche Schaden nicht richtig berechnetwird. So konnte die Einzelrichterin des LG Berlin II auch hier dahinstehen lassen, ob eine anwaltliche Pflichtverletzung vorlag oder das Mandat derart eingeschränkt war, dass der Pflichtteil nach dem Vater nie Gegenstand war. Sie hielt den Schaden nicht für ausreichend dargelegt und wies die Klage schon deshalb ab. Auch wenn mit einer offenen Teilklage nur ein Mindestschaden geltend gemacht wird, genüge es nicht, sich gleichsam einen oder mehrere Vermögensgegenstände aus dem Nachlass „herauszupicken“ und daraus die entsprechende Pflichtteilsquote zu berechnen. Wirtschaftlich würde es nämlich dann nur um die quotale Beteiligung an einzelnen Vermögensgegenständen gehen, nicht aber um die quotale Beteiligung am gesamten bereinigten Nachlass. Nur dieser könne Grundlage der Berechnung eines Erbteils oder etwaiger Pflichtteilsansprüche und damit auch entsprechender Schadenersatzansprüche gegen Rechtsberater sein. So ist es korrekt, denn der Schaden im Regressprozess ist das Äquivalent zum ursprünglichen, aber untergegangenen Anspruch und unterliegt daher keinen geringeren Voraussetzungen hinsichtlich seiner Darlegung. Der Geschädigte kommt also nicht umhin, seinen Schaden mit Blick auf den gesamten Nachlass zu berechnen und einzuklagen. Dabei steht er insofern etwas schlechter da als im direkten Verhältnis zu den (Mit-)Erben, weil gegen diese Auskunftsaussprüche bestehen könnten, die es im Regressprozess natürlich nicht gibt. Es bleibt also nur der Weg, solche Auskünfte ohne Zwang zu erhalten und im Übrigen die jeweiligen Erbschaftsbesitzer als Zeugen zu benennen – was wiederum im Ausgangsprozess nicht möglich gewesen wäre, denn dort waren sie Partei. Damit wird also nichts Unmögliches verlangt. Das Urteil war bei Redaktionsschluss noch nicht rechtskräftig. Weiterer Vortrag in der Berufungsinstanz dürfte allerdings verspätet sein. (bc) MANDANT HAT BEWEISLAST FÜR ANWALTLICHE FALSCHBERATUNG Wenn der Anwalt substantiiert darlegt, dass er den Mandanten hinreichend über erhebliche Bedenken bzgl. der Erfolgsaussichten einer Klage aufgeklärt hat, trägt der Mandant die Beweislast für seinen gegenteiligen Vortrag. AG Duisburg, Urt. v. 5.2.2025 – 504 C 2376/24 AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2025 203
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