Auch der neue § 32 BORA wird Streitigkeiten anlässlich des Ausscheidens von Partnern oder der Auflösung einer Sozietät nicht gänzlich verhindern können. Er kann aber mithelfen, Streitigkeiten zu vermeiden, weil er ein plausibles Konzept für das Ausscheiden von Partnern vorschlägt. Überdies dient § 32 BORA auch als Merkliste, die den Beteiligten hilft, alle regelungsbedürftigen Punkte schnell zu identifizieren, sodass nichts vergessen wird. IV. GRUNDSATZ DER DISPOSITIVITÄT (§ 32 I BORA) Sowohl in der Satzungsversammlung als auch in deren federführendem Ausschuss 2 (Allgemeines Berufsrecht) ist das Konzept der Dispositivität heiß diskutiert worden. Teilweise wurde gefordert, jedenfalls einzelne Grundsätze des § 32 BORA zwingend auszugestalten, sodass die Beteiligten vertraglich davon nicht abweichen könnten, weder im Gesellschaftsvertrag noch konkret anlässlich des Ausscheidens. Letztlich hat sich aber die Auffassung durchgesetzt, dass die Beteiligten, wenn sie sich denn einig werden, regelmäßig eine sachdienliche und auch dem Interesse der Mandanten dienende Einigung treffen werden. 1. REGELUNG DES AUSSCHEIDENS IM GESELLSCHAFTSVERTRAG Kritischer gesehen wurde die Möglichkeit, Modalitäten des Ausscheidens schon von vornherein im Gesellschaftsvertrag zu regeln. Hier war die Sorge beträchtlich, dass gerade jüngere Partner beim Eintritt in eine Sozietät entweder den Gesellschaftsvertrag nicht sorgfältig genug lesen oder aber den Klauseln betreffend Trennungsmodalitäten keine große Bedeutung beimessen, weil ein solches Szenario ja in weiter Zukunft liegt. Überdies hat der BGH in seiner Rechtsprechung2 2 Grundlegend BGH, Urt. v. 8.5.2000 – II ZR 308/98, BRAK-Mitt. 2000, 311 = NJW 2000, 2584. zu Ausscheidensklauseln immer wieder bekräftigt, dass es zwei sachgerechte, aber grundlegend verschiedene Programme für das Ausscheiden eines Partners aus einer Freiberufler-Sozietät gibt. Der eine Weg ist, dass der Ausscheidende seine Mandatsbeziehungen nicht mitnimmt, also ein Wettbewerbsverbot in Form einer Mandantenschutzklausel vereinbart wird. In diesem Fall ist es sachgerecht, dass der Ausscheidende für das Zurücklassen der Mandatsbeziehungen und damit für das Zurücklassen des aufgebauten Goodwill eine Abfindung erhält. Der andere Weg ist, den Mandanten die Entscheidung zu überlassen, ob sie bei der Sozietät bleiben oder mit dem ausscheidenden Partner mitgehen wollen. Dann ist kein Raum für die Vereinbarung einer an den Geschäftswert geknüpften Abfindung, weil ja der Goodwill gerade nicht zurückgelassen, sondern um dessen Mitnahme gekämpft wird. Es erschien der Satzungsversammlung nicht sachgerecht, der Kollegenschaft durch zwingendes Berufsrecht die eine oder andere Variante vorzuschreiben. 2. FREISTELLUNGEN Intensiv diskutiert wurde allerdings ein Problemkreis, der in der Praxis oft besonders konfliktträchtig ist, nämlich Freistellungen. Darf der ausscheidende Partner ohnehin keine Mandate mitnehmen, ist es für ihn tendenziell verkraftbar, wenn der Gesellschaftsvertrag die Möglichkeit der einseitigen Freistellung von Partnern während der Kündigungsfrist vorsieht. Ganz anders ist es dagegen, wenn keine Abfindung vorgesehen ist und der Markt über die Mitnahme oder das Zurücklassen der Mandatsbeziehungen entscheiden soll. Denn dann ist eine Freistellung, ggf. über viele Monate hinweg, zumindest bei laufenden Mandaten für den ausscheidenden Partner ein unüberwindliches Hindernis. Tatsächlich ist umstritten, ob Freistellungsklauseln bei Freiberuflern überhaupt wirksam sind oder ob sie nicht mit dem Grundsatz kollidieren, dass freie Berufe in einer Berufsausübungsgesellschaft auch tatsächlich auszuüben sind.3 3 Vgl. § 59b I BRAO, § 1 I PartGG („zur Ausübung ihrer Berufe“). Deshalb ist diskutiert worden, in § 32 BORA ein berufsrechtlich zwingendes Freistellungsverbot aufzunehmen. Aber das hätte zum einen schwierige Fragen nach dem Verhältnis von Berufsrecht und Gesellschaftsrecht aufgeworfen. Auch hätte man möglicherweise in fein austarierte gesellschaftsvertragliche Regelungskonzepte eingegriffen. Und last but not least spricht einiges dafür, dass Freistellungen jedenfalls dann möglich sind, wenn während der Kündigungsfrist wesentliche Berufsoder Vertragspflichten verletzt werden und sich die Sozietät nur durch eine Freistellung schützen kann. 3. KÜNDIGUNGSFRIST Diskutiert worden sind auch zwingende Regelungen zur Kündigungsfrist. In der Praxis verzichten manche Sozietäten nach dem Motto „Reisende soll man ziehen lassen“ auf längere Kündigungsfristen. Die meisten Sozietätsverträge sehen hingegen mehrmonatige Kündigungsfristen vor, was auch im Grundsatz sachdienlich ist, um das Ausscheiden sauber und in Ruhe vorbereiten und durchführen zu können. Hingegen finden sich vereinzelt überlange Kündigungsfristen (zwei, fünf oder gar zehn Jahre), die letztlich nichts anderes sind als eine Kündigungserschwerung, was zugleich zur Frage der Wirksamkeit solcher Klauseln führt.4 4 Besonders krass der Fall BGH, Urt. v. 18.9.2006 – II ZR 137/04, BRAK-Mitt. 2007, 35 = NJW 2007, 295: Kündigungsfrist von 30 Jahren. Aber auch hier hat die Satzungsversammlung letztlich davon abgesehen, berufsrechtlich zwingende Vorgaben zu machen. V. BEFRAGUNG VON MANDANTEN IN LAUFENDEN MANDATEN (§ 32 II BORA) Der zweite Absatz des neuen § 32 BORA betrifft eine häufig streitanfällige Materie beim Ausscheiden aus BRAK-MITTEILUNGEN 3/2025 AUFSÄTZE 196
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