BRAK-Mitteilungen 3/2025

BRAK MITTEILUNGEN JUNI 2025 · AUSGABE 3/2025 56. JAHRGANG AKZENTE UNABHÄNGIGKEIT SICHERN! Dr. Ulrich Wessels Executive Orders des US-Präsidenten und die deutsche BRAO haben rein gar nichts miteinander zu tun. Wirklich? Anders als es auf den ersten Blick scheint, sind die jüngsten Maßnahmen gegen US-Großkanzleien sehr weitreichend. Die Regierung setzte in den letzten Monaten gezielt Anwaltskanzleien unter Druck. Ihnen wurden durch Executive Orders u.a. Sicherheitsfreigaben entzogen, der Zugang zu Regierungsgebäuden und zu Bundesaufträgen verwehrt – eine massive Bedrohung für ihre wirtschaftliche Existenz. Einige der betroffenen Kanzleien schlossen Vereinbarungen mit der US-Regierung, um die harten wirtschaftlichen Konsequenzen abzuwenden, die ihnen durch die Executive Orders drohten. Unter anderem verpflichteten sie sich, ihre Diversity-Programme zu beenden und umfangreiche pro bono-Leistungen im Sinne der Regierung zu erbringen. Das sind eklatante Eingriffe in die Unabhängigkeit der betroffenen Kanzleien. Die Kanzleien, die sich der Regierung beugten und Deals schlossen, riskieren jedoch noch viel mehr: Sie verlieren auch Mandantschaft und junge Anwältinnen und Anwälte, die nicht bereit sind, ihre beruflichen Werte zu opfern. Zudem wirken die Executive Orders weit über die betroffenen Kanzleien hinaus und stellen auch das deutsche Berufsrecht vor komplexe Fragen. Gegen die Sanktionsmaßnahmen der Regierung regte sich völlig zurecht Protest; darüber berichtete ich bereits in der letzten Ausgabe an dieser Stelle. Unter anderem nahm die BRAK gemeinsam mit zahlreichen internationalen Anwaltsorganisationen kritisch Stellung. Manche der betroffenen Kanzleien wehren sich nunmehr mit Klagen. Über 800 Kanzleien unterstützen sie in einem „Amicus Curiae Letter“ und protestieren gegen die Executive Orders, die sie als Bedrohung für alle Juristinnen und Juristen und für die Rechtsstaatlichkeit sehen. Die gerichtliche Aufhebung der Maßnahmen würde aber nicht per se bedeuten, dass die Regierung sich auch daran hält. Zuletzt befolgte sie migrationsrechtliche Entscheidungen nur sehr zögerlich. Zudem sollen, versteckt in einem umfangreichen Gesetz mit Steuersenkungen, gerichtliche Sanktionen bei Missachtung von Gerichtsbeschlüssen gegen die Regierung künftig ausgeschlossen werden. Auch hierdurch ist der Rechtsstaat ernsthaft bedroht. Einige der Großkanzleien, die Deals mit der Regierung schlossen, sind international und auch in Deutschland tätig. Auch für zugelassene ausländische Berufsausübungsgesellschaften gilt über § 207a II BRAO das deutsche Berufsrecht. Das entfachte Diskussionen, ob die Kanzleien aufgrund der Deals die in § 1 BRAO statuierte Unabhängigkeit verletzen und welche Konsequenzen das hat. Das zu prüfen ist Sache der Rechtsanwaltskammern, in deren Bezirken die betroffenen Kanzleien sitzen. Sie befassen sich bereits intensiv mit dem Problem und sind mit den Kanzleien im Gespräch. Die Kammern München und Frankfurt wiesen in einer gemeinsamen Pressemitteilung auf die Situation hin: Noch fehlt eine belastbare Tatsachengrundlage, um sachgerecht bewerten zu können, ob und welche Maßnahmen erforderlich sind. Zunächst einmal müssen die konkreten Inhalte der Deals eruiert werden. Berufsrechtliche Sanktionen sehen beide Kammern nicht an erster Stelle – sie bieten vielmehr Unterstützung an, um die berufsrechtliche Integrität und die Unabhängigkeit der betroffenen Kanzleien zu sichern. Und was ist eigentlich mit den umgekehrten Fällen? Haben in Deutschland zugelassene Anwältinnen und Anwälte, die in den USA in einer der „Deal-Kanzleien“ tätig sind, mit berufsrechtlichen Sanktionen zu rechnen? Auch das wird sorgfältig zu prüfen sein. Durch die jüngsten Diskussionen und Entwicklungen bei US-Kanzleien stellt sich die Frage umso dringlicher, wie die anwaltliche Unabhängigkeit noch besser geschützt werden kann. Dazu bedarf es der Solidarität aller Anwältinnen und Anwälte weltweit. Und in Deutschland sollte eine Absicherung der Unabhängigkeit im Grundgesetz zeitnah angegangen werden – jetzt ist die Zeit dafür! Wir werden uns weiterhin mit Nachdruck dafür einsetzen. Ihr Dr. Ulrich Wessels AKZENTE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2025 177

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