BRAK-Mitteilungen 2/2025

dung. Die in Rede stehende Datenverarbeitung durch die Rechtsanwaltskammer erweist sich auch bei Anwendung der Unionsgrundrechte als verhältnismäßig. [83] (c) Bei Maßgeblichkeit der Unionsgrundrechte sind die Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung im Lichte von Art. 8 GRCh (Schutz personenbezogener Daten) und Art. 7 GRCh (Achtung des Privat- und Familienlebens) auszulegen, die ihrerseits eine Entsprechung in Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) haben (BGH, Beschl. v. 23.1.2024 – II ZB 7/ 23, BGHZ 239, 253 Rn. 36 m.w.N.). Art. 7 GRCh und Art. 8 EMRK schließen dabei auch berufliche oder geschäftliche Tätigkeiten ein (vgl. BGH, Urt. v. 13.12.2022 – VI ZR 54/21, AfP 2023, 149 Rn. 22; EGMR, NJW 2021, 3647 Rn. 39). [84] Nach Art. 8 II GRCh dürfen personenbezogene Daten nur nach Treu und Glauben für festgelegte Zwecke und mit Einwilligung der betroffenen Person oder auf einer sonstigen gesetzlich geregelten legitimen Grundlage verarbeitet werden. Für die übrigen Unionsgrundrechte bestimmt Art. 52 I GRCh, dass Einschränkungen der Unionsgrundrechte zulässig sind, sofern sie gesetzlich vorgesehen sind und den Wesensgehalt der Grundrechte sowie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Einschränkungen dürfen danach nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Sie müssen sich auf das absolut Notwendige beschränken und die den Eingriff enthaltende Regelung muss klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung der betreffenden Maßnahme vorsehen (BGH, Beschl. v. 23.1.2024 – II ZB 7/23, BGHZ 239, 253 Rn. 37 m.w.N.). [85] (d) Das ist hier der Fall. Das elektronische Verzeichnis dient der Transparenz des Rechtsdienstleistungsmarkts und den Interessen der Verbraucher. Durch die schnelle Verfügbarkeit der Daten für die Gerichte, Staatsanwaltschaften, Anwälte und Rechtsuchenden trägt es zur Funktionsfähigkeit der Rechtspflege bei. Dies gilt auch für die Auskunft über den Arbeitgeber eines Syndikusrechtsanwalts, da dadurch Zustellungen erleichtert werden, die Vertretungsbefugnis vor Gericht oder die formgemäße Einreichung von Schriftsätzen schnell geklärt werden können oder Interessenkonflikte offenbar werden. [86] Wie im Rahmen der Abwägung der nationalen Grundrechte bereits ausgeführt worden ist, gibt es kein milderes, gleich geeignetes Mittel. Insbesondere ist eine Verarbeitung der Daten unter Ausschluss der Veröffentlichung nicht gleich geeignet, um den Zweck zu erreichen. Ein Auskunftsanspruch, der gegenüber der Rechtsanwaltskammer geltend gemacht werden müsste, würde mehr Aufwand für die Klärung von Fragen bedeuten, die vor einer Entscheidung in der Sache beantwortet werden müssen und daher eine schnelle Verfügbarkeit der notwendigen Informationen erfordern. [87] In den Vorschriften der BRAO und der Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung ist genau und klar geregelt, welche Daten erhoben werden und welche Daten veröffentlicht werden. [88] bb) Die Datenverarbeitung ist selbst dann rechtmäßig, wenn man den Anwendungsbereich des Art. 9 I DSGVO als eröffnet ansieht. [89] Die Vorschrift des Art. 9 I DSGVO gilt neben den dort aufgeführten personenbezogenen Daten auch für Verarbeitungen, die sich nicht nur auf ihrem Wesen nach sensible Daten beziehen, sondern auch auf Daten, aus denen sich mittels eines Denkvorgangs der Ableitung oder des Abgleichs indirekt sensible Informationen ergeben (EuGH, NJW 2023, 2837 Rn. 344 – Europäische Kommission/Republik Polen; EuGH, Urt. v. 4.10. 2024 – C-21/23 Rn. 83 – Lindenapotheke). [90] Ob es sich vorliegend bei der Veröffentlichung der Rechtfertigung nach Art. 9 II DSGVO Arbeitgeberin des Kl. um sensible Daten handelt, braucht jedoch nicht entschieden zu werden. Denn die Veröffentlichung ist gem. Art. 9 II Buchst. g DSGVO gerechtfertigt. [91] Gemäß Art. 9 II Buchst. g DSGVO gilt Art. 9 I DSGVO nicht, wenn die Verarbeitung auf der Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts eines Mitgliedstaats, das in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht, den Wesensgehalt des Rechts auf Datenschutz wahrt und angemessene und spezifische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte und Interessen der betroffenen Person vorsieht, aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich ist. [92] (1) Die Verarbeitung ist auf der Grundlage von § 31 BRAO i.V.m. den Vorschriften der Rechtsanwaltsverzeichnis- und -postfachverordnung aus Gründen eines erheblichen öffentlichen Interesses erforderlich. Öffentliches Interesse kann alles sein, was der Gemeinschaft dient. Das Interesse muss von besonderer Bedeutung sein, wobei dem konkretisierenden Normgeber aber ein weiter Gestaltungsspielraum belassen wird (Weichert, in Kühling/Buchner, DSGVO BDSG, 4. Aufl., Art. 9 Rn. 90). Von einem erheblichen öffentlichen Interesse wird allgemein dann auszugehen sein, wenn die Gründe für die Verarbeitung ein ähnliches Gewicht aufweisen wie die übrigen in Art. 9 II aufgeführten Verarbeitungsgründe (Kampert, in Sydow/Marsch, DSGVO/ BDSG, 3. Aufl., Art. 9 Rn. 35). [93] Die Verzeichnisse der Rechtsanwaltskammern und das Gesamtverzeichnis dienen gem. § 31 II 1 BRAO der Information der Behörden und Gerichte, der Rechtsuchenden sowie anderer am Rechtsverkehr Beteiligter und somit der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Dies ist ein erhebliches öffentliches Interesse (vgl. EuGH, NJW 2023, 2837 Rn. 354). Dies ergibt sich auch aus Art. 9 II Buchst. f DSGVO, wonach Art. 9 I DSGVO nicht gilt, wenn die Verarbeitung zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 2/2025 159

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