BRAK-Mitteilungen 2/2025

modell – auch als Sammelklage-Inkasso bezeichnet – (im Folgenden: Sammelklage-Inkasso) gebündelt werden könnten. Hierbei träten mutmaßlich Geschädigte ihre geltend gemachten Forderungen an einen Rechtsdienstleister ab, der die im RDG vorgesehene Zulassung erhalten habe, die es ihm dem Grundsatz nach gestatte, die gebündelten Forderungen im eigenen Namen und auf eigene Kosten für Rechnung der Zedenten gegen eine Erfolgsprovision beizutreiben. [26] Diese Praxis sei vom Bundesgerichtshof (Deutschland) für verschiedene Schadensersatzklagen gebilligt worden, namentlich im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten über die Vermietung von Immobilien oder über die Entschädigung von Fluggästen. Dagegen legten die Untergerichte das RDG dahin aus, dass ein Sammelklagen-Inkasso beim Ersatz von Schäden durch eine mutmaßliche Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht insb. dann unzulässig sei, wenn es sich um eine sogenannte Stand-alone-Klage handle, d.h. eine Schadensersatzklage, die sich nicht auf eine – insb. in Bezug auf die Feststellung des Sachverhalts – bestandskräftige und bindende Entscheidung stütze, mit der eine Wettbewerbsbehörde eine solche Zuwiderhandlung festgestellt habe (im Folgenden: Stand-alone-Klage auf Schadensersatz). Der BGH habe noch keine Gelegenheit gehabt, diese Frage zu entscheiden. [27] Im deutschen Recht gibt es nach dem Dafürhalten des vorlegenden Gerichts keinen zum Sammelklagen-Inkasso gleichwertigen Rechtsbehelf, der eine wirksame Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen ermöglichen würde. [28] Daher sei die Wirksamkeit des Rechts auf Ersatz des durch ein Kartell verursachten Schadens nicht gewährleistet, insb. bei Streuschäden. Bei einer solchen Fallgestaltung sei der Einzelbetrag des Schadens nämlich dermaßen gering, dass er den Einzelnen dazu verleite, auf den ihm vom Unionsrecht verliehenen Schadensersatzanspruch zu verzichten. [29] Unter diesen Umständen stelle das SammelklageInkasso die einzige ökonomisch sinnvolle und praktikable Möglichkeit dar, einen solchen Schadensersatz zu verlangen. Das vorlegende Gericht meint allerdings, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Abtretungen nach den Bestimmungen des RDG in ihrer Auslegung durch einige nationale Gerichte als nichtig anzusehen seien, so dass die bei ihm anhängige Klage abzuweisen wäre. [30] Es stelle sich aber die Frage, ob das Unionsrecht einer solchen Auslegung des RDG entgegenstehe, da diese Auslegung des nationalen Rechts insoweit, als sie den durch ein Kartell Geschädigten ein SammelklageInkasso vorenthalte, sowohl mit der Richtlinie 2014/ 104 als auch mit dem Grundsatz der Effektivität des Unionsrechts und dem Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz unvereinbar sein könnte. [31] Das vorlegende Gericht wirft erstens die Frage auf, ob sich eine solche Unvereinbarkeit aus einer Gesamtschau von Art. 3 I der Richtlinie 2014/104 – in dem das in der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannte Recht der durch ein Kartell Geschädigten auf vollständigen Ersatz der Kartellschäden niedergelegt sei – und Art. 2 Nr. 4 dieser Richtlinie ableiten lässt. Die zuletzt genannte Bestimmung beziehe sich nämlich ausdrücklich auf das Sammelklage-Inkasso, da der Begriff „Schadensersatzklage“ im Sinne dieser Bestimmung eine Klage von „einer natürlichen oder juristischen Person, die in die Rechte und Pflichten des mutmaßlich Geschädigten eingetreten ist, einschließlich der Person, die den Anspruch erworben hat“, einschließe. [32] Zweitens sei zweifelhaft, ob die sich aus der in Rn. 29 des vorliegenden Urteils dargestellten Auslegung des nationalen Rechts ergebende Unmöglichkeit für Geschädigte, ein Sammelklage-Inkasso zu betreiben, mit Art. 4 III EUV und Art. 101 AEUV vereinbar sei. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs und der Richtlinie 2014/104 ergebe sich, dass jedermann vollständigen Ersatz des Schadens verlangen könne, der ihm durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht entstanden sei. Die Mitgliedstaaten müssten daher die Effektivität des Rechts auf Ersatz dieses Schadens gewährleisten und dürften seine Ausübung nicht unmöglich machen oder übermäßig erschweren. Dies trage zum Schutz des öffentlichen Interesses an der Sicherstellung eines wirksamen Wettbewerbs in der Unionbei. [33] Drittens wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob der sich aus der in Rn. 29 des vorliegenden Urteils dargelegten Auslegung des nationalen Rechts ergebende Umstand, dass den Geschädigten kein Sammelklage-Inkasso zur Verfügung stehe, ihren in Art. 47 I der Charta, Art. 6 III EUV und Art. 13 der am 4.11.1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten niedergelegten Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz beeinträchtigt. In einer Situation wie der, um die es in der bei ihm anhängigen Rechtssache gehe, die Massen- oder Streuschäden zum Gegenstand habe, würde den Geschädigten nämlich die Möglichkeit genommen, den einzigen im nationalen Recht vorgesehenen wirksamen Rechtsbehelf zu nutzen, um ihr Recht auf Entschädigung durchzusetzen. [34] Letztlich sei, falls im Ergebnis festgestellt werden sollte, dass das nationale Recht mit dem Unionsrecht unvereinbar sei, eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts nicht möglich, da eine solche Auslegungcontra legemwäre. [35] Unter diesen Umständen hat das Landgericht Dortmund beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen: 1. Ist das Unionsrecht, insb. Art. 101 AEUV, Art. 4 III EUV, Art. 47 der Charta sowie Art. 2 Nr. 4 und Art. 3 I der Richtlinie 2014/104, dahin auszulegen, dass es einer Auslegung und Anwendung des Rechts eines MitBRAK-MITTEILUNGEN 2/2025 BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG 128

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