der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie der Auslegung einer nationalen Regelung, die bewirkt, dass mutmaßlich durch eine Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht Geschädigte daran gehindert werden, ihre Schadensersatzansprüche an einen Rechtsdienstleister zur gebündelten Geltendmachung im Rahmen einer Schadensersatzklage abzutreten, die sich nicht auf eine – insbesondere in Bezug auf die Feststellung des Sachverhalts – bestandskräftige und bindende Entscheidung stützt, mit der eine Wettbewerbsbehörde eine solche Zuwiderhandlung festgestellt hat, entgegenstehen, soweit - das nationale Recht keinerlei andere Möglichkeit zur Bündelung individueller Forderungen dieser Geschädigten vorsieht, die geeignet wäre, eine wirksame Durchsetzung dieser Schadensersatzansprüche zu gewährleisten, und - sich die Erhebung einer individuellen Schadensersatzklage für diese Geschädigten in Anbetracht aller Umstände des Einzelfalls als unmöglich oder übermäßig schwierig erweist, mit der Folge, dass ihnen ihr Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz verwehrt würde. Sollte sich diese nationale Regelung nicht unionsrechtskonform auslegen lassen, gebieten es diese Bestimmungen des Unionsrechts dem nationalen Gericht, die nationale Regelung unangewendet zu lassen. EuGH, Urt. v. 28.1.2025 – C-253/23 URTEIL [1] Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 101 AEUV i.V.m. Art. 4 III EUV und Art. 47 I der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie von Art. 2 Nr. 4, Art. 3 I und Art. 9 der Richtlinie 2014/104/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 26.11.2014 über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach nationalem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union (ABl. 2014, L 349, S. 1). [2] Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der ASG 2 Ausgleichsgesellschaft für die Sägeindustrie Nordrhein-Westfallen GmbH (im Folgenden: ASG 2) und dem Land Nordrhein-Westfalen (Deutschland) (im Folgenden: Land) wegen einer auf Schadensersatz gerichteten Sammelklage der ASG 2 auf der Grundlage von Ersatzansprüchen, die ihr von 32 Sägewerken abgetreten wurden, wegen einer mutmaßlichen Zuwiderhandlung des Landes und anderer Waldbesitzer gegen Art. 101 AEUV. Rechtlicher Rahmen (...) Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen [18] Am 31.3.2020 reichte die ASG 2 beim LG Dortmund (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, eine Sammelklage auf Schadensersatz gegen das Land ein, die auf den Ersatz des durch ein Kartell entstandenen Schadens gerichtet war und auf Ansprüchen beruhte, die ihr von 32 Sägewerken mit Sitz in Deutschland, Belgien und Luxemburg (im Folgenden: betroffene Sägewerke) abgetreten worden waren. [19] Dem Land wurde vorgeworfen, unter Verstoß gegen Art. 101 AEUV mindestens im Zeitraum v. 28.6. 2005 bis zum 30.6.2019 die Preise für Nadelstammholz (im Folgenden: Rundholz) für sich und andere Waldbesitzer in diesem Bundesland vereinheitlicht zu haben (im Folgenden: in Rede stehendes Kartell). [20] Das Bundeskartellamt (Deutschland) hatte diese Vorgehensweise untersucht und 2009 eine Verpflichtungszusagenentscheidung nach § 32b des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (im Folgenden: GWB) und Art. 101 AEUV gegen das Land und andere, in gleicher Weise am Vertrieb von Rundholz beteiligte Länder erlassen (im Folgenden: Entscheidung von 2009). [21] Die betroffenen Sägewerke begehren vom Land den Ersatz des Schadens, der ihnen während der gesamten Dauer des in Rede stehenden Kartells durch die kartellbedingt überhöhten Preise, zu denen sie aus dem Land stammendes Rundholz gekauft hätten, entstanden sei. [22] Hierzu traten alle betroffenen Sägewerke ihre Ansprüche auf Ersatz des ihnen durch das in Rede stehende Kartell entstandenen Schadens an die ASG 2 ab. Die ASG 2, die als „Rechtsdienstleisterin“ i.S.d. RDG über eine Zulassung nach diesem Gesetz verfügt, macht somit – gegen ein Erfolgshonorar – den Schadensersatz im eigenen Namen und auf eigene Kosten, aber für Rechnung der Zedenten vor dem vorlegenden Gericht gebündelt geltend. [23] Die Kartellschadensersatzforderung soll auf mehreren Hunderttausend Rundholzbezügen der betroffenen Sägewerke beruhen. Für jedes Sägewerk sollen mehrere Tausend bis hin zu mehreren Zehntausend Bezüge zu verzeichnen sein. [24] Das Land stellt vor dem vorlegenden Gericht die Begründetheit der Klage und die Aktivlegitimation der ASG 2 in Abrede. Zu letzterem Punkt macht es geltend, dass die betroffenen Sägewerke ihre Schadensersatzansprüche unter Verstoß gegen das RDG an die ASG 2 abgetreten hätten. Daher seien diese Abtretungen nichtig. Die Zulassung nach dem RDG, über die die ASG 2 verfüge, gestatte ihr nämlich nicht die Beitreibung von Forderungen, die aus Schäden durch mutmaßliche Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht entstanden seien. [25] Das vorlegende Gericht führt aus, dass nach deutschem Recht bei Massen- und Streuschäden die Klagen von Einzelpersonen durch ein sogenanntes AbtretungsBERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 2/2025 127
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