st.Rspr. bezeichnet; BVerfG, Beschl. v. 6.10.2017 – 2 BvR 987/16 Rn. 3, NJW 2018, 606; BVerfG, Beschl. v. 4.9.2008 – 2 BvR 1321/07 – Umsatzsteuer für Geldspielautomaten, Rn. 10, HFR 2009, 189; BVerfG, Beschl. v. 31.5.1990 – 2 BvL 12/88, 2 BvL 13/88, 2 BvR 1436/87 – Absatzfonds, Rn. 136, BVerfGE 82, 159. nomer Begriffe ist er allein und letztendlich entscheidungsbefugt;9 9 BFH, Urt. v. 10.10.2023 – IX K 1/21 Rn. 17, BFHE 281, 50; dort: „dass der EuGH gesetzlicher Richter für die Auslegung des Unionsrechts ist.“ dabei umfasst seine Befugnis zur Vorabentscheidung sowohl die Auslegung der Verträge (Primärrecht) als auch die Gültigkeit und die Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union (Art. 267 AEUV). Ergeben sich derartige Interpretationsfragen in einem anhängigen Verfahren vor einem Gericht eines EU-Mitgliedslandes, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist das jeweilige nationale Gericht nach Art. 267 III AEUV explizit von Amts wegen10 10 BVerfG, Beschl. v. 4.3.2021 – 2 BvR 1161/19 Rn. 53, NJW-RR 2021, 617 zur Anrufung des Luxemburger Gerichtshofs verpflichtet. Deshalb würde es einen Entzug des gesetzlichen Richters i.S.d. Grundgesetzes darstellen, wenn ein deutsches Gericht seiner Pflicht zur Anrufung des Gerichtshofs im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 III AEUV nicht nachkommt.11 11 BVerfG, Beschl. v. 6.7.2010 – 2 BvR 2661/06 – Mangold-Urteil des EuGH, Rn. 88, BVerfGE 126, 286; LG Stuttgart, Beschl. v. 18.9.2020 – 3 O 236/20 Rn. 19; dort: „es stellt unzweideutig einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter dar“. Allerdings sieht das BVerfG bislang nicht in jeder Verletzung der unionsrechtlichen Vorlagepflicht auch einen Verstoß gegen Art. 101 I 2 GG.12 12 BVerfG, Beschl. v. 4.3.2021 – 2 BvR 1161/19 Rn. 53, NJW-RR 2021, 617; BVerfG, Beschl. v. 19.12. 2017 – 2 BvR 424/17 Rn. 40, BVerfGE 147, 364; BVerfG, Beschl. v. 28.1.2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 – Filmabgabe, Rn. 179 f., BVerfGE 135, 155; BVerfG, Beschl. v. 6.7.2010 – 2 BvR 2661/06 – Mangold-Urteil des EuGH, Rn. 88, BVerfGE 126, 286; BSG, Beschl. v. 27.6.2024 – B 9 V 1/24 B Rn. 13. Diese (nach Art. 94 I Nr. 4a GG13 13 I.d.F. des Art. 1 des Gesetzes v. 20.12.2024 (BGBl. 2024 I Nr. 439). ) grundrechtsähnliche Gewährleistung bewirke nicht, dass das BVerfG zu einem Kontrollorgan werde, das jeden einem Gericht unterlaufenen, die Zuständigkeit dieses Gerichts berührenden Verfahrensfehler korrigieren müsse.14 14 BVerfG, Beschl. v. 28.1.2014 – 2 BvR 1561/12, 2 BvR 1562/12, 2 BvR 1563/12, 2 BvR 1564/12 – Filmabgabe, Rn. 179 f., BVerfGE 135, 155. Vielmehr sei das BVerfG darauf beschränkt zu überprüfen, ob die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 III AEUV durch ein nationales deutsches Gericht bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist.15 15 BVerfG, Beschl. v. 4.3.2021 – 2 BvR 1161/19 Rn. 53, NJW-RR 2021, 617. Anlässlich eines (slowenischen) Verfahrens, in dem es um die Nichtzulassung der Revision ging, hat der EuGH (in gewohnt umständlicher Formulierung) seine Judikatur nunmehr wie folgt präzisiert: Art. 267 III AEUV ist dahin auszulegen, „dass ein einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln angefochten werden kann, daran gehindert ist, im Rahmen eines Verfahrens zur Prüfung eines Antrags auf Zulassung der Revision, dessen Ausgang von der Bedeutung der von einer der Parteien des Rechtsstreits aufgeworfenen Rechtsfrage für die Rechtssicherheit, die einheitliche Rechtsanwendung oder die Rechtsfortbildung abhängt, einen solchen Antrag auf Zulassung zurückzuweisen, ohne geprüft zu haben, ob es verpflichtet war, dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung oder der Gültigkeit einer zur Stützung dieses Antrags geltend gemachten Vorschrift des Unionsrechts zur Vorabentscheidung vorzulegen“.16 16 EuGH, Urt. v. 15.10.2024 – Rs. C-144/23 Tenor zu 1, Rn. 60. Hatte eine Partei in einem solchen Verfahren einen Antrag auf Vorlage an den EuGH gestellt, ist aber das Gericht diesem Begehren nicht nachgekommen, so muss es die Gründe angeben, weshalb es nicht vorgelegt hat. Gerechtfertigt sei eine unterbliebene Vorlage dann, wenn entweder 1. die jeweilige Frage für die Entscheidung des Rechtsstreits unerheblich ist oder 2. die in Rede stehende Bestimmung des Unionsrechts bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder 3. die richtige Auslegung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt.17 17 EuGH, Urt. v. 15.10.2024 – Rs. C-144/23, Tenor zu 2, Rn. 65; dort heißt es: „den Antrag auf Zulassung der Revision zurückgewiesen“. Diese aktuelle EuGH-Rechtsprechung hat ganz erhebliche Auswirkung auf die Verpflichtung zum anwaltlichen Sachvortrag und die damit verbundene Haftung. II. ERFORDERLICHER SACHVORTRAG UND (NEUE) HAFTUNG(SFALLE) 1. „ANWALTLICHER HINWEIS“ AUF DIE RECHTSLAGE Die anwaltliche Pflicht zum umfassenden rechtlichen Vortrag ist mehr als streng. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der mit der Prozessführung betraute Rechtsanwalt seinem Mandanten gegenüber verpflichtet, dafür einzutreten, dass die zugunsten des Mandanten sprechenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte so umfassend wie möglich ermittelt und bei der Entscheidung des Gerichts berücksichtigt werden.18 18 BGH, Urt. v. 18.12.2008 – IX ZR 179/07 Rn. 8, NJW 2009, 987 m.w.N. Zwar weise die Zivilprozessordnung die Entscheidung und damit die rechtliche Beurteilung des Streitfalls dem Gericht zu; dieses trage für sein Urteil die volle Verantwortung.19 19 Das ist jedenfalls in Bezug auf die Prozesskosten (§§ 91 ff. ZPO) blanker Euphemismus, da eine zunächst obsiegende, im Instanzenzug aber letztlich unterlegene Partei für die Fehler der Gerichte bezahlen muss; so im Ergebnis auch Medicus, AnwBl. 2004, 257; Jäger, NJW 2004, 1, ohne indes den Begriff Euphemismus zu verwenden. Es widerspräche jedoch der rechtlichen und tatsächlichen Stellung der Prozessbevollmächtigten in den Tatsacheninstanzen, würde man ihre Aufgabe allein in der Beibringung des Tatsachenmaterials sehen. Das gilt über die ZPO hinaus für alle Prozessordnungen der in Art. 95 I GG genannten Gerichtszweige. Nur die Übernahme der „volle[n] Verantwortung“ für die (selbst fehlerhafte) rechtliche Beurteilung des Streitfalls ist Ausübung der rechtsprechenden Gewalt i.S.d. Art. 92 GG, AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 2/2025 99
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