BRAK MITTEILUNGEN APRIL 2025 · AUSGABE 2/2025 56. JAHRGANG AKZENTE UNABHÄNGIGE ANWALTSCHAFT IM VISIER Dr. Ulrich Wessels Man reibt sich verwundert die Augen, wenn man derzeit beobachtet, wie der stolze alte demokratische Rechtsstaat USA agiert: Die Regierung setzt Großkanzleien unter Druck, die früher politische Gegner des Präsidenten vertraten, deren Anwälte früher in Verfahren gegen ihn involviert waren oder deren Fälle der Regierung politisch missfallen. Den Kanzleien wurden Sicherheitsfreigaben, Zugänge zu Regierungsgebäuden und Regierungsaufträge entzogen. Die zahlreichen Executive Orders erzeugen ein Klima der Angst in der Anwaltschaft. Das zeigt Wirkung: Die betroffenen Großkanzleien verlieren Mandate und es wird berichtet, dass etwa frühere Angestellte der Biden-Administration und NGOs Probleme hätten, anwaltliche Vertretung zu finden. Doch im Visier ist nicht nur die Anwaltschaft, sondern das komplette Justizsystem: Sanktionen trafen auch Mitarbeitende des Internationalen Strafgerichtshofs wegen ihrer Tätigkeit für den Gerichtshof – ein eklatanter Verstoß gegen das Völkerrecht. Angestellte von Justizministerium und Staatsanwaltschaften werden eingeschüchtert; Regierungsbeamte fordern die Entlassung von Richterinnen und Richtern, die sich in der Regierung missliebiger Weise äußern. Der American Bar Association wurden vom Kongress genehmigte Gelder für Rechtshilfe vorenthalten. Merkwürdig ruhig war es, nachdem die ersten Maßnahmen gegen Großkanzleien bekannt wurden. Wo blieb der Aufschrei der amerikanischen Anwaltschaft? Manche von ihnen beugten sich und strichen ihre gleichstellungspolitischen Grundsätze, die der Regierung ein Dorn im Auge sind; der ökonomische Druck war offenbar zu groß. Eines ist glasklar: Die Maßnahmen der US-Regierung stehen in scharfem Gegensatz zu dem, was einen Rechtsstaat konstituiert, nämlich eine unabhängige Justiz und Anwaltschaft. Das scheint sie indes wenig zu kümmern, es wird sogar berichtet, dass sie einige der Urteile, mit denen Gerichte Executive Orders des Präsidenten aufhoben, schlicht nicht befolgt. Inzwischen regt sich Protest: Über 1.600 ehemalige Angestellte des US-Justizministeriums verurteilen in einen offenen Brief die Maßnahmen gegen die Kanzleien und appellieren an die Anwaltschaft, sich für Rechtsstaatlichkeit einzusetzen. Der komplette Lehrkörper der renommierten Harvard Law School verurteilt die Angriffe auf Rechtsstaat und juristische Berufe. Zahlreiche Kanzleien, NGOs und Einzelpersonen fordern von US-Justizministerin Bondi ein Ende der repressiven Maßnahmen gegen die Anwaltschaft. Die ganz großen Kanzleien fehlen allerdings bei den Unterzeichnenden. Doch drei von ihnen klagen nunmehr gegen die Executive Orders zu ihren Lasten. Das Tempo, in dem der Rechtsstaat demontiert wird, ist erschreckend und gibt Anlass zu großer Sorge. In Deutschland sind wir zum Glück derzeit weit weg von etwas Derartigem. Doch politische Mehrheiten können sich ändern. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass antidemokratische Machthaber immer zuerst da ansetzen, wo ihre Macht kontrolliert werden kann: bei der Justiz und bei den Anwältinnen und Anwälten, die ihre Maßnahmen vor Gericht bringen. Einen gewissen Schutz kann insofern künftig die Europarats-Konvention zum Schutz des Anwaltsberufs bringen. Zunächst einmal steht Mitte Mai die Auslegung zur Unterzeichnung an. Es ist zu hoffen, dass die neue Bundesregierung sich rasch entschließt, die Konvention zu unterzeichnen, damit möglichst schnell das Quorum zum Inkrafttreten der Konvention erfüllt ist. Vor allem aber sollte die Anwaltschaft im nationalen Recht stärker geschützt werden. Die Anwaltschaft in Deutschland ist frei, unabhängig und selbstverwaltet. All dies ist jedoch nur einfachgesetzlich in der BRAO geregelt, wäre also durch geänderte politische Mehrheiten leicht auszuhebeln und durch ein restriktives System staatlicher Kontrolle zu ersetzen. Eine unabhängige Anwaltschaft muss deshalb im Grundgesetz verankert werden! Ihr Dr. Ulrich Wessels AKZENTE BRAK-MITTEILUNGEN 2/2025 87
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