PRO & CONTRA GERICHTLICHE KONTROLLE VON SANKTIONSMASSNAHMEN DER RECHTSANWALTSKAMMERN – REFORMBEDÜRFTIG ODER NICHT? Diskussionen um das System von Sanktionsmaßnahmen der Rechtsanwaltskammern und um deren gerichtliche Kontrolle sind nicht neu. Neben der Rüge als mildestem Mittel hat sich, anerkannt durch die höchstrichterliche Rechtsprechung, die missbilligende Belehrung etabliert. Der Grenzbereich zwischen beiden ist seit langem umstritten, auch wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen und Anfechtungsmöglichkeiten: Während gegen die Rüge der Einspruch beim Kammervorstand und – erst- und letztinstanzlich – die Klage vor dem Anwaltsgericht möglich sind, kann gegen eine missbilligende Belehrung vor dem Anwaltsgerichtshof geklagt und dessen Entscheidung in zweiter Instanz durch den BGH überprüft werden. Das ist inkonsistent, findet Dr. Maximilian Ott, der missbilligende Belehrungen abschaffen und die Überprüfung von Rügen bei den Verwaltungsgerichten verorten will. Anwaltsrechtliche Verfahren sollten der eigenständigen Anwaltsgerichtsbarkeit vorbehalten bleiben, hält Dr. Alexander Siegmund dagegen; denn sonst wären unterschiedliche Gerichtsbarkeiten dafür zuständig, Anwaltsrecht auszulegen und anzuwenden. PRO: Widersprüche bei der gerichtlichen Überprüfung von Maßnahmen der Rechtsanwaltskammern Die Regelungen rund um missbilligende Belehrung und Rüge sind derart lückenhaft und widersprüchlich, dass sie einer dringenden Überarbeitung bedürfen, um rechtsstaatlichen Anforderungen zu genügen. Dabei spricht viel dafür, sich von der gesetzlich ohnehin nicht geregelten missbilligenden Belehrung zu verabschieden und Rügen fortan von Verwaltungsgerichten überprüfen zu lassen, deren Kammern – neben den drei Berufsrichtern – mit zwei ehrenamtlichen Richtern aus der Anwaltschaft zu besetzen sind. Aus gutem Grund hat inzwischen auch der Gesetzgeber mit Reformüberlegungen begonnen.1 1 Hierzu BRAK-Stn.-Nr. 40/2022 zu Überlegungen des BMJ zu Neuregelungen im Bereich der „missbilligenden Belehrung“ und anderer berufsrechtlicher Sanktionsinstrumente. 1. Sachstand Der Vorstand einer Rechtsanwaltskammer kann wahlweise einfache oder missbilligende Belehrungen aussprechen oder – als schärfstes Schwert – Rügen erteilen. Während es für eine missbilligende Belehrung schon an einer klaren Rechtsgrundlage fehlt, fehlt es bei einer Rüge an Klarheit darüber, welche Verfahrensvorschriften Anwendung finden, wenn die Rüge nach § 74a BRAO zur Überprüfung durch das Anwaltsgericht gestellt wird; zur „Auswahl“ des Gerichts stehen insbesondere StPO, VwGO und BRAO, wobei jeder Spruchkörper seine eigene Wahl treffen wird, was rechtsstaatlich höchst problematisch ist.2 2 Ott, BRAK-Mitt. 2021, 145. Noch weniger nachvollziehbar sind die Regelungen zur Anfechtbarkeit solcher Entscheidungen des Vorstands. Während die einfache Belehrung mangels Schuldvorwurf überhaupt nicht gerichtlich überprüfbar ist, kann die missbilligende Belehrung als Verwaltungsakt zur Überprüfung durch den über den Anwaltsgerichten angesiedelten Anwaltsgerichtshof gestellt werden; dort nimmt sich der Sache ein mit zwei Berufsrichtern eines Oberlandesgerichts sowie drei Anwaltsrichtern ausgestatteter Spruchkörper an (§§ 101 III, 104 S. 2 BRAO). In der zweiten Instanz wartet am BGH der Senat für Anwaltssachen; der zur Entscheidung berufene Spruchkörper besteht aus der Präsidentin des BGH sowie zwei Mitgliedern des BGH und zwei Rechtsanwälten als Beisitzern (§ 106 II 1 BRAO). All das für eine missbilligende Belehrung, die das Gesetz nicht kennt und die unterhalb einer Rüge steht; dabei spricht schon der Gesetzgeber vom bloßen „Bagatellcharakter der Rügesachen“,3 3 BT-Drs. 5/2848 v. 22.4.1968, 20, l.Sp. mit denen „geringfügige Verstöße gegen das anwaltliche Standesrecht ohne größeren Aufwand“ erledigt werden sollen; obwohl dies schon nach der untersten Grenze klingt, sind missbilligende Belehrungen noch eine Stufe darunter anzusiedeln und können gleichwohl vor den Anwaltsgerichtshof und den BGH gebracht werden. Hingegen sieht die BRAO vor, dass die gesetzlich tatsächlich geregelten und mit einem Schuldvorwurf verbundenen Rügen „nur“ vom Anwaltsgericht überprüft werden können – in erster und letzter Instanz (wobei die Nichtanfechtbarkeit der Entscheidung des Anwaltsgerichts keineswegs so klar ist, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag). Das führt zugleich dazu, dass in Deutschland 28 Anwaltsgerichte ganz unterschiedlich entscheiden können; denn eine Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist ohne Instanzenzug nicht zu erreichen. 2. Reformbedarf Die vom Gesetzgeber und der Literatur angeführten Argumente für diese widersprüchliche Handhabung überzeugen nicht. So wird gegen eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung (gleich ob nach § 40 I VwGO oder § 112a I BRAO) einer Rüge vorgebracht, man wolle den Vorstand der Rechtsanwaltskammer nicht in eine forBRAK-MITTEILUNGEN 2/2024 PRO & CONTRA 66
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