BRAK-Mitteilungen 1/2024

Reformdiskussionen zu erwarten,35 35 S. dazu auch das Berufsrechtsbarometer 2021 (Kilian, a.a.O.), wonach (bei allerdings abweichend konzipierter Fragestellung) 59 % der Teilnehmenden für eine Beibehaltung des Fremdbesitzverbots waren und 86 % keinen Bedarf für die Beteiligung reiner Kapitalgeber sahen. sondern deckt sich u.a. auch mit dem überwiegenden Echo aus der Anwaltschaft etwa im Rahmen von Kammerversammlungen oder in sozialen Medien. Auch die Freitextantworten fallen weit überwiegend ablehnend aus; anstatt die Aufnahme von Investoren zu ermöglichen, äußern viele der Teilnehmenden die Forderung nach einer Anpassung der gesetzlichen Anwaltsgebühren. Dass lediglich gut 7 % eine Lockerung des Fremdbesitzverbots für erforderlich halten, zeigt nicht nur ein geringes Interesse innerhalb der Anwaltschaft an einer Finanzierung durch neue Kapitalgeber, sondern gibt auch einen Hinweis darauf, dass die zuweilen sehr lebhaft geführte Diskussion um eine Lockerung wesentlich von Akteuren außerhalb der Anwaltschaft, insb. Legal TechUnternehmen, getrieben wurde. bb) PRÄMISSE EINES GESTIEGENEN FINANZIERUNGSBEDARFS Ein weiterer Punkt ist bemerkenswert: Die Fragestellung legt einen durch die digitale Transformation gestiegenen Finanzierungsbedarf für (Patent-)Anwältinnen und Anwälte als gegeben zugrunde. Sie übernimmt damit eines der Argumente, die im Rahmen der Diskussion um die „große BRAO-Reform“ für eine Lockerung bzw. Aufhebung des Fremdbesitzverbots angeführt wurden.36 36 Dazu oben I.2. Es ist nicht auszuschließen, dass sich der suggerierte gestiegene Finanzierungsbedarf auf das Antwortverhalten ausgewirkt hat.37 37 Die Stimmen für eine Aufhebung des Fremdbesitzverbots fallen jedenfalls im – ohne Hinweis auf einen (vermeintlichen) Finanzierungsbedarf formulierten – Berufsrechtsbarometer 2021 (vgl. Kilian, AnwBl. 2022, 320 (321)) mit 4 % geringer aus als bei der BMJ-Umfrage. Inwieweit es diesen tatsächlich gibt, erfordert jedoch eine differenzierten Betrachtung. (1) Gestiegener Finanzierungsbedarf für elektronischen Rechtsverkehr? Soweit sich die Formulierung „die digitale Transformation“ auf die Etablierung bzw. den Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV) bezieht, ist in der Rechtsanwaltschaft allenfalls geringer zusätzlicher Finanzierungsbedarf zu erwarten. Die Ausgangslage unterscheidet sich insofern von der in Justiz und Verwaltung, wo die Infrastruktur für elektronischen Rechtsverkehr inklusive elektronischer Aktenführung noch vervollständigt bzw. aufgebaut werden muss. Die Rechtsanwaltschaft ist bereits seit dem 1.1.2022 zur aktiven Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs verpflichtet und hat die hierfür erforderlichen Aufwendungen längst getätigt. Diese umfassten, da in den meisten Kanzleien ohnehin bereits eine IT-Infrastruktur vorhanden war, im Wesentlichen die Anschaffung von beA-Karten, Kartenlesegeräten und Scannern und ggf. leistungsfähigerer Hardware oder optional einer Kanzleisoftware, spielten sich also in aller Regel in einem betragsmäßigen Rahmen ab, für den in den wenigsten Fällen externes Kapital notwendig gewesen sein dürfte. Die weitere Entwicklung des ERV, wie sie durch die geschaffene OSCI-Infrastruktur und aktuelle Gesetzesvorhaben vorgezeichnet ist, lässt nicht erwarten, dass weitere Kosten auf die Rechtsanwaltschaft zukommen, die der Höhe nach mit jenen der Einführungsphase des beA vergleichbar wären. Anders sieht es in der Patentanwaltschaft aus, für die es derzeit kein dem beA vergleichbares eigenes elektronisches Postfach gibt. Patentanwältinnen und Patentanwälte sind jedoch seit dem 1.1.2024 (wie auch andere professionelle Verfahrensbeteiligte ohne gesondertes Postfach) verpflichtet, das besondere elektronische Bürger- und Organisationspostfach (eBO) zu nutzen. Aus der Erfahrung mit der Einführung der besonderen Postfächer für andere Berufsgruppen (Anwaltschaft, Steuerberaterschaft, Notariat) sowie mit Blick auf die Preismodelle kommerzieller eBO-Anbieter lässt sich jedoch prognostizieren, dass der zusätzlich zur ohnehin vorhandenen Kanzlei-IT nötig werdende Aufwand, der sich im wesentlichen auf Zugangsmittel zu dem besonderen Postfach konzentrieren wird, auch für Patentanwältinnen und Patentanwälte ohne Fremdfinanzierung tragbar sein wird. (2) Gestiegener Finanzierungsbedarf für Legal Tech- und KI-Tools? Soweit sich die Formulierung „die digitale Transformation“ auf Legal Tech- und KI-Tools bezieht, gibt das zu der nachfolgenden Frage 5 erhaltene Meinungsbild einen gewissen Aufschluss. Lediglich gut 12 % der Teilnehmenden möchten eigene Legal Tech-Plattformen entwickeln, nur etwa 24 % sehen Bedarf für eine umfassende Integration von KI-Anwendungen.38 38 Näher dazu sogleich unter 2. Die BRAK schätzt in ihrer Stellungnahme zur Verbändeanhörung des BMJ39 39 BRAK-Stn.-Nr. 71/2023, 4. als äußerst unwahrscheinlich ein, dass Rechtsanwaltskanzleien in der Breite mithilfe von Fremdkapital eigene KI-Tools entwickeln werden. Sie geht davon aus, dass sich die Entwicklungskosten als unverhältnismäßig hoch erweisen würden. Aufgrund des technologischen Vorsprungs der großen Tech-Unternehmen (Google, Amazon, Apple, Meta) erwartet die BRAK vielmehr, dass sich in der Breite – wie auch bislang – Standardlösungen großer Player durchsetzen werden. Für deren Nutzung würden in gewissem Umfang Lizenzoder Abonnementgebühren anfallen, so wie dies bereits jetzt allgemein im Markt für IT-Lösungen zu beobachten ist.40 40 Vgl. auch BRAK-Stn.-Nr. 71/2023, 5. Die bereits jetzt existierenden Preismodelle etwa von Cloud-Diensten, Legal Tech-Plattformen und KI-Anwendungen lassen erwarten, dass sich die Lizenzgebühren in einem überschaubaren Rahmen halten. Höhere Kosten würden für individuelle Anpassungen solcher Anwendungen anfallen. Inwieweit diese überhaupt von Kanzleien in der Breite in Betracht gezogen werden, erNITSCHKE/WIETOSKA, FREMDBESITZVERBOT AUF DEM EMPIRISCHEN PRÜFSTAND AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 7

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