BRAK-Mitteilungen 1/2024

AUFSÄTZE FREMDBESITZVERBOT AUF DEM EMPIRISCHEN PRÜFSTAND EINSTELLUNGEN DER ANWALTSCHAFT ZU CHANCEN UND RISIKEN EINER MÖGLICHEN LOCKERUNG RECHTSANWÄLTIN DR. TANJA NITSCHKE, MAG. RER. PUBL., UND ASS. JUR. NADJA WIETOSKA* * Die AutorinNitschke ist Rechtsanwältin in Karlsruhe und Geschäftsführerin im Berliner Büro der BRAK; sie ist Schriftleiterin der BRAK-Mitteilungen und des BRAKMagazins. Die Autorin Wietoska ist Geschäftsführerin der BRAK und im Brüsseler Büro der BRAK tätig. Das Fremdbesitzverbot im anwaltlichen Berufsrecht steht seit vielen Jahren immer wieder im Fokus. Trotz aller im Vorfeld der zum 1.8.2022 in Kraft getretenen großen BRAO-Reform geführten Diskussionen blieb das Verbot auch im geltenden Recht erhalten, wenn auch in etwas modifizierter Form, erhalten. Spätestens seit dem Vorlagebeschluss des Bayerischen AGH im Frühjahr 2023 wurden die Diskussionen wieder lauter. Zudem hatte die Ampel-Regierung sich in ihrem Koalitionsvertrag im Jahr 2021 eine Überprüfung des Fremdbesitzverbots und weiterer berufsrechtlicher Regelungen vorgenommen. Als einen Teil jener Überprüfung holte des Bundesministerium der Justiz ein Meinungsbild innerhalb der Rechts- und Patentanwaltschaft ein, um zu eruieren, wie die Rechtsanwender mögliche Konflikte mit der Unabhängigkeit einstufen und ob es aus deren Sicht überhaupt Bedarf für Fremdkapital in Kanzleien gibt. Die Autorinnen erläutern den Hintergrund der Diskussionen um das Fremdbesitzverbot sowie der Umfrage und analysieren deren Ergebnisse1 1 Gesamtauswertung abrufbar auf der Website der BRAK bzw. des BMJ; vgl. auch den Kurzüberblick in BRAK-News v. 5.12.2023. imDetail. I. DIE DISKUSSION UM DAS FREMDBESITZVERBOT Der Dialog rund um das Fremdbesitzverbot ist spätestens mit der Vorlage des Bayerischen AGH2 2 BayAGH, Beschl. v. 20.4.2023 – BayAGH III-4-20/21, BRAK-Mitt. 2023, 185 mit Anm. Schaeffer. In der Sache geht es um eine Rechtsanwaltsgesellschaft, welcher die zuständige Kammer die Zulassung entzog, nachdem sie 51 % ihrer Geschäftsanteile an einen nichtanwaltlichen Gesellschafter übertragen hatte. an den EuGH3 3 Ersuchen um Vorabentscheidung C-295/23. zum Regelungsgefüge des § 59e BRAO a.F.,4 4 In seiner Ausgestaltung vor der BRAO-Reform, die auch Gegenstand des nunmehr beim EuGH anhängigen Vorlageverfahrens ist, regelte § 59e BRAO a.F., dass nur Rechtsanwälte und Angehörige sozietätsfähiger Berufe i.S.v. § 59a BRAO a.F. Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft sein dürfen, die in der Gesellschaft beruflich tätig sind (Abs. 1), dass die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte Rechtsanwälten zusteht (Abs. 2) sowie dass Gesellschaftsanteile nicht für Rechnung Dritter gehalten werden (Abs. 3). sowohl im Hinblick auf die Unionskonformität als auch seine nationalrechtliche Daseinsberechtigung wieder lauter geworden.5 5 Vgl. näher dazu Dahns/Flegler/Nitschke, BRAK-Mitt. 2023, 204; Dahns, Das Fremdbesitzverbot auf dem Prüfstand, NJW-Spezial 2023, 318. Geführt wurde die Diskussion jedoch bereits multiple Male. 1. DER DISKURS AUF EU-EBENE Auf EU-Ebene reicht der Diskurs weit in die Vergangenheit zurück: Bereits in den 1960er Jahren wurde in Brüssel die Einführung eines europaweiten Fremdbesitzverbots für den Berufsstand der Apotheker diskutiert und 1969 in die Form einer Richtlinie gegossen: Konkret normierte Art. 8 der Richtlinie zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die selbstständigen Tätigkeiten des Kleinvertriebs von Arzneimitteln,6 6 ABl. EG v. 28.4.1969, C 54/44. dass der Offizinapotheker Eigentümer der abgegebenen Arzneimittel sowie der Einrichtung und der technischen Ausrüstung der Apotheken sein muss. Zu der Zeit des Richtlinienvorschlags traf dies mit Ausnahme Belgiens bereits auf alle Mitgliedstaaten zu. Vor dem Hintergrund der Bedeutung, die der Verantwortung eines Apothekers sowie der Gewährleistung der Volksgesundheit zukomme, vertrat die Kommission die Ansicht, dass diese Eigentumsvorschrift auf alle Mitgliedstaaten einheitlich ausgedehnt werden müsse. Um die Qualität zu wahren, sei zudem von enormer Bedeutung, dass die Verantwortung einzig und abschließend in den Händen eines Berufsangehörigen liege. 40 Jahre später wandte sich das VG Saarlouis mit der Vorlagefrage, ob die Normen zur Niederlassungsfreiheit des damaligen EGV einer nationalen Regelung entgegenstünden, nach der nur Apotheker Apotheken besitzen und betreiben dürften, an den EuGH. Dieses Vorabentscheidungsersuchen befeuerte abermals die Diskussionen rund um das Fremdbesitzverbot – auch für den freien Beruf der Anwaltschaft.7 7 Singer, AnwBl. 2010, 79 ff.; Streinz/Herrmann, EuZW 2006, 455; vgl. hierzu anlässlich der Doc Morris III-Entscheidung auch Henssler/Kleen/Riegler, EuZW2017, 723. Die BRAK verabschiedete ein Positionspapier zu den potenziellen Konsequenzen der Doc Morris II-Entscheidung: BRAK, Europarechtskonforme Beschränkungen für die Zulassung zum Beruf des Rechtsanwalts, abrufbar unter https://www.brak. de/fileadmin/01_ueber_die_brak/02_05_37_BRAKPosPapierZulRABeruf.pdf. Die sog. Doc Morris II-Entscheidung8 8 EuGH, Urt. v. 19.5.2009, Apothekerkammer des Saarlandes u.a., C-171/07. bestätigte das Recht der Mitgliedstaaten die Fremdbesitzmöglichkeit für Personen, die nicht einem reglementierten Beruf angehören, zwecks Qualitätssicherung auszuschließen – und damit die Legitimität der Qualitätssicherung als Rechtfertigungsgrund.9 9 EuGH, Urt. v. 19.5.2009, Apothekerkammer des Saarlandes u.a., C-171/07. Zudem widmete sich der Gerichtshof dem häufig angeführten Gegenargument, dass auch dem Apotheker eine Gewinnorientierung anhafte: Hierzu hob er hervor, dass ein Berufsapotheker gerade nicht rein wirtschaftBRAK-MITTEILUNGEN 1/2024 AUFSÄTZE 2

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