BRAK-Mitteilungen 5/2023

BRAK MITTEILUNGEN OKTOBER 2023 · AUSGABE 5/2023 54. JAHRGANG AKZENTE WIR SIND ES WERT! Dr. Ulrich Wessels Ohne Anwältinnen und Anwälte geht Rechtsstaat nicht. Unabhängige Gerichte und ein Rechtssystem, das eine effektive Kontrolle staatlichen Handelns ermöglicht, sind Kernelemente des Rechtsstaats. Doch er funktioniert nur, wenn Anwältinnen und Anwälte den Bürgerinnen und Bürgern Recht erklären, sie beraten und für die gerichtliche Durchsetzung ihrer Rechte sorgen. Unabdingbar dafür ist, dass die Anwaltschaft wirtschaftlich auskömmlich arbeiten kann. Das geltende Gebührenrecht gewährleistet aber genau das nicht mehr. Die gesetzlichen Gebühren wurden zwar zum 1.1.2021 angehoben – ein Schritt in die richtige Richtung, der aber schon wieder fast drei Jahre zurückliegt. Doch schon damals erfolgte keine vollständige Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung seit der letzten Gebührenerhöhung acht Jahre zuvor. Die Anwaltschaft hinkt also nach wie vor der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hinterher. Das ist umso dramatischer angesichts der enormen Preissteigerungen infolge des Angriffskrieges auf die Ukraine und der resultierenden Energiekrise und Inflation in den letzten beiden Jahren. Die BRAK fordert deshalb eine Anpassung der gesetzlichen Anwaltsgebühren noch in der 20. Legislaturperiode. Gemeinsam mit dem DAV haben wir im Herbst einen Katalog vorgelegt, der detailliert aufzeigt, weshalb strukturelle Änderungen ebenso nötig sind wie eine lineare Anpassung – und zwar in regelmäßigen und deutlich kürzeren Abständen als bisher. In Sachen Gebührenerhöhung sind wir seit Jahresbeginn mit dem Bundesjustizministerium im Gespräch. Der Minister hat sich hinter unser Anliegen gestellt und das auch wiederholt öffentlich bekundet. Doch der gute Wille des Bundes genügt nicht, wenn die Länder nicht mitziehen oder eigene Forderungen an eine Gebührenerhöhung knüpfen. Es gilt also, die Länder zu überzeugen! Sie sind besorgt um ihre Haushalte, weil sich höhere Anwaltsgebühren natürlich auf die Aufwendungen für Prozesskostenhilfe, Pflichtverteidigung & Co. auswirken. Allerdings sind die Anträge und die dafür nötigen Aufwendungen seit Jahren rückläufig. Vor allem muss man aber im Blick haben: Justiz ist eine Staatsaufgabe. Sie muss nicht kostendeckend arbeiten und es ist nicht Sache der Rechtsuchenden, sie über Gerichtskosten zu finanzieren. Dass Anwältinnen und Anwälte auch in Zukunft flächendeckend – und ganz besonders in strukturschwachen Regionen – für Zugang zum Recht sorgen können, muss auch den Ländern ein wichtiges Anliegen sein. Oder anders gesagt: Das muss die Anwaltschaft dem Rechtsstaat wert sein! Die Forderung nach einer Anpassung der anwaltlichen Gebühren ist zweifellos eines der wichtigsten Themen des gerade neu gewählten Präsidiums der BRAK, und wir werden hier nicht lockerlassen. Doch es gibt noch eine Menge mehr zu tun. Baustellen gibt es etwa im Berufsrecht, wie die Diskussion um ein einheitliches Berufsrecht für Insolvenzverwalter, zu dem die BRAK einen Kompromissvorschlag unterbreitet hat. Auch im Prozessrecht gibt es Baustellen – die Tonaufzeichnung und Transkription strafgerichtlicher Hauptverhandlungen beispielsweise, zu deren Umsetzung die BRAK gerade Empfehlungen vorgelegt hat. Oder die Überlegungen der Länder, die Streitwertgrenzen für zivilrechtliche Rechtsstreitigkeiten anzupassen und auf mehr Spezialisierung bei den Eingangsgerichten zu setzen. Hier müssen wir sorgfältig prüfen, wie sich diese Veränderungen auf die Rechtsfortbildung durch die obergerichtliche Rechtsprechung und auf den Zugang zum Recht auswirken würden. Einer immensen Herausforderung sieht die Anwaltschaft sich ebenso gegenüber wie die Justiz: Sie unterliegen den gleichen grundlegenden Veränderungsprozessen: Ausscheiden einer großen Zahl von Berufsträgern der Babyboomer-Generation, Nachwuchssorgen (nicht nur) aufgrund der demographischen Entwicklung, Mangel an Fachpersonal, zunehmende Konzentration auf Ballungsgebiete, Digitalisierung von Gerichtsverfahren und Arbeitsabläufen, knapper und teurer werdende Ressourcen. An dieser Herausforderung müssen wir gemeinsam arbeiten! Ihr Dr. Ulrich Wessels AKZENTE BRAK-MITTEILUNGEN 5/2023 275

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