BRAK-Mitteilungen 4/2023

Es stellt sich die Frage, was der „ordnungsgemäße Geschäftsgang“ ist. Das BVerfG9 9 BVerfG, Beschl. v. 17.1.2006 – 1 BvR 2558/05, NJW 2006, 1579. meinte bislang, es sei zu berücksichtigen, dass die verfassungsrechtliche Fürsorgepflicht der Gerichte keine generelle Verpflichtung zur sofortigen Prüfung der Zuständigkeit erfordert. Der I. Zivilsenat des BGH sieht in der Entscheidung vom 26.1. 2023 jedenfalls keine Pflichtverletzung des Gerichts darin, die Zuständigkeitsprüfung für einen am Vorabend des Fristablaufs eingegangenen Schriftsatz nicht vorgenommen zu haben. Im Beschluss vom 20.4.2023 wird ein üblicher Ablauf dahingehend angenommen, dass ein an eine zentrale gerichtliche Annahmestelle gesandter Schriftsatz am nächsten Werktag auf der zuständigen Geschäftsstelle eingeht und dem zuständigen Richter an dem darauffolgenden Werktag vorgelegt wird. Es entspreche dann dem ordentlichen Geschäftsgang, dass die Geschäftsstelle die richterlich verfügte Weiterleitung einer Rechtsmittelschrift am folgenden Werktag umsetzt. Dass im konkreten Fall die richterliche Verfügung noch am selben Tag umgesetzt wurde (nachdem die Akte jedoch bereits am Vortag vorgelegt worden war) ändere an der grundsätzlichen Ordnungsmäßigkeit des Ablaufs nichts.10 10 Fortführung von BGH, Beschl. v. 12.5.2016 – IX ZB 75/15, NJOZ 2016, 1582. Nicht thematisiert hat der Senat die Frage, wie der seine Unzuständigkeit feststellende Richter in Bezug auf die Weiterleitung elektronischer Schriftsätze umzugehen hat. Es heißt dort nur lapidar, dass eine elektronische Weiterleitung an das zuständige Gericht technisch nicht möglich war. In welcher Form die Weiterleitung tatsächlich erfolgte, bleibt unklar; womöglich per Papierpost. Ob dieser Posteingang dann (im Hinblick auf § 130a ZPO) überhaupt als formwirksam angesehen werden kann, thematisiert der Senat nicht. Die „sauberste“ Lösung wäre eine nochmalige Übermittlung aus dem beA des Prozessbevollmächtigten an das zuständige Gericht. Dass man dem Prozessbevollmächtigten hierzu durch einen telefonischen Hinweis die Möglichkeit geben könnte, lehnt der Senat ab. Sowohl Anwalt als auch Gericht legen in ihrer Argumentation die althergebrachten Abläufe zugrunde. Daran, dass das beA andere und zum Teil bessere Übermittlungsmöglichkeiten bietet, müssen sich wohl alle erst gewöhnen. (ju) NUTZUNGSPFLICHT FÜR STEUERBERATERPOSTFACH 1. Steuerberatern steht seit dem 1.1.2023 mit dem besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach (beSt) ein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung, so dass sie in finanzgerichtlichen Verfahren seit diesem Zeitpunkt vorbereitende Schriftsätze und deren Anlagen als elektronische Dokumente übermitteln müssen. 2. Beantragt ein Steuerberater wegen Nichtnutzung des beSt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, muss er darlegen, weshalb er nicht von der Möglichkeit der Priorisierung seiner Registrierung (sog. fast lane) Gebrauch gemacht hat. BFH, Beschl. v. 28.4.2023 – XI B 101/22, NJW 2023, 1759 Steuerberaterinnen und Steuerberater trifft – ein Jahr nach den Rechtanwältinnen und Rechtsanwälten – seit dem 1.1.2023 nun ebenfalls die Pflicht, das besondere elektronische Postfach zu nutzen. Formwirksame Schriftsätze müssen daher nach § 52d S. 2 FGO zwingend als elektronisches Dokument eingereicht werden. Wir hatten im letzten Heft11 11 BRAK-Mitt. 2023, 162. berichtet, dass die Meinungen der Finanzgerichte durchaus konträr waren, wann bzw. ob für alle Steuerberater tatsächlich seit dem 1.1. 2023 ein sicherer Übermittlungsweg „zur Verfügung steht“. Hintergrund der Diskussion war, dass der für die Erstregistrierung erforderliche Token tatsächlich erst im Laufe des ersten Quartals 2023 von der Bundessteuerberaterkammer an die Berufsträger übermittelt wurde, viele Steuerberaterinnen und Steuerberater also faktisch nicht bereits am 1.1.2023 über ein funktionierendes beSt verfügten. Der BFH hat sich nun der Frage angenommen und entschieden, dass eine formwirksame Einreichung ohne Wenn und Aber seit dem 1.1.2023 ausschließlich auf elektronischem Wege erfolgen konnte. Per Fax eingereichte Schriftsätze wahrten seitdem die Form nicht. Eine Rettungsmöglichkeit gibt es somit nur mittels der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Hier reicht es jedoch nach Ansicht des Senats nicht aus, vorzutragen, dass eine Erstregistrierung mangels Übersendung des Tokens nicht möglich war. Vielmehr muss glaubhaft gemacht werden, dass im Hinblick auf die Erstregistrierung hinreichende Anstrengungen unternommen wurden. Der BFH stellt in erster Linie darauf ab, dass die Bundessteuerberaterkammer im September 2022 Berufsträger, „die aktiv in die finanzgerichtliche Kommunikation eingebunden sind“, auf die Möglichkeit der Nutzung einer „fast lane“ für die Beantragung des Tokens hingewiesen hatte, sodass die Erstregistrierung vor dem 1.1.2023 realisierbar gewesen wäre. Damit wurde zumindest für den hier entschiedenen Fall Wiedereinsetzung abgelehnt. (ju) VERTRAUEN AUF FEHLERHAFTE RECHTSMITTELBELEHRUNG Auch in Fällen inhaltlich unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung fehlt es an der für eine Wiedereinsetzung notwendige Ursächlichkeit zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumung, wenn die durch das Gericht erteilte Rechtsbehelfsbelehrung offenkundig falsch ist und vom bei einem Rechtsanwalt vorauszusetzenden Kenntnisstand auch nicht der Anschein der Richtigkeit erweckt wird. BGH, Beschl. v. 19.4.2023 – IV ZB 23/22, ZEV 2023, 463 AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2023 237

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