BRAK-Mitteilungen 4/2023

berufsrechtlich sanktionsfähig. Zu einem berufsrechtlichen Verfahren kommt es jedoch in vielen Fällen bereits deshalb nicht, weil sie entweder nicht zweifelsfrei nachweisbar sind oder die bzw. der Auszubildende sogar darum bittet, die Meldung bei der Kammer nicht der Ausbilderin oder dem Ausbilder preiszugeben. Dahinter stehen Furcht um den Verlust des Ausbildungsplatzes und/oder Sorge vor einer weiteren Verschlechterung des Arbeitsklimas. In der Regel streben Auszubildende mit derartigen Anfragen einen Ausbildungsplatzwechsel an. Ein Ausbildungsplatzwechsel ist vom BBiG jedoch nicht vorgesehen. Nur unter bestimmten Voraussetzungen kann ein Ausbildungsvertrag vorzeitig beendet und die Ausbildung in einer anderen Kanzlei fortgesetzt werden. Die Möglichkeiten für die Kündigung von Ausbildungsverhältnissen sind durch das BBiG sowohl für Ausbildungsbetriebe als auch für Auszubildende erheblich eingeschränkt. Nach der Probezeit kann von den Vertragsparteien nur „aus wichtigem Grund“ schriftlich ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden gem. § 20 II Nr. 1 BBiG. Die Kündigungsgründe dürfen dabei zum Zeitpunkt der Kündigung nicht länger als zwei Wochen bekannt sein. Ein wichtiger Grund ist ausschließlich dann gegeben, wenn die Fortsetzung des bestehenden Vertragsverhältnisses unzumutbar ist. Es sind jedoch sehr strenge Maßstäbe anzulegen, ob tatsächlich ein wichtiger Grund vorliegt. Die bloße Behauptung, dass es Mängel in der Ausbildung gäbe, reicht nicht aus, die Mängel müssen nachgewiesen werden. Die Ausbilderin bzw. der Ausbilder muss unter Fristsetzung aufgefordert worden sein, die Mängel abzustellen. Wird das Vorliegen des wichtigen Grundes vom Ausbildungsbetrieb bestritten und der oder die Auszubildende kündigt dennoch, könnte der Ausbilder sogar Schadensersatz von ihm oder ihr fordern. Diese Hürden sind in der Regel für Auszubildende zu hoch, erst recht, wenn es darum geht die Ansprüche gegen eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt – und obendrein: ihre Chefin oder ihren Chef – durchzusetzen. Wird dieser Weg durch den/die Auszubildenden aus nachvollziehbaren Gründen nicht beschritten, bleibt ihm/ihr nur die Hoffnung, dass der/die Ausbilder/in einem Wechsel zustimmt, ansonsten ist er/sie in der Situation gefangen. Er/sie kann nur ausharren und hierbei die Motivation und Identifikation mit dem Berufsbild verlieren oder die Ausbildung abbrechen und in einen anderen Ausbildungsberuf wechseln gem. § 20 II Nr. 2 BBiG. IV. WIE HALTEN KANZLEIEN IHRE AUSZUBILDENDEN? Eine Vielzahl von Kanzleien hat den Abwärtstrend bereits erkannt und sich hierauf eingestellt bzw. restrukturiert. Auf exemplarische Nachfrage teilen diese mit, dass sie keine Abbrecher (mehr) haben und dass es zwar immer noch schwieriger als früher sei, neue Stellen zu besetzen, sie aber immer noch neue Mitarbeitende und Auszubildende finden. Bei einigen der Kanzleien haben hierzu einzelne Maßnahmen ausgereicht, andere wiederum berichten, dass die Kombination verschiedener Maßnahmen zum Erfolg geführt hat. Was aber machen diese Kanzleien anders, dass sie nicht nur Auszubildende gewinnen, sondern diese auch nach Abschluss der Ausbildung bleiben? 1. ANGEMESSENE BEZAHLUNG Zunächst ist auffällig, dass manche Kanzleien ihre Ausbildungsvergütungssätze angehoben haben, teilweise auch wesentlich höher gehen, als die jeweilige Vergütungsempfehlung der zuständigen Kammer, jedenfalls aber höher als der direkte Wettbewerb in der jeweiligen Region. Entgegen der hieraus vielleicht folgenden Vermutung handelt es sich dabei nicht ausschließlich um Großkanzleien oder gut etablierte mittelständische Kanzleien. Auch Kanzleien mit z.B. nur zwei Berufsträgern wagen diesen Schritt. Da der Fachkräftemangel insgesamt und nicht nur bei den Auszubildenden eklatant ist, erfolgen auf ausgeschriebene Stellen für ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte teilweise monatelang keine Bewerbung. Der Rückgriff auf gut bezahlte Auszubildende erscheint dann logisch. 2. FÖRDERNDES UND WERTSCHÄTZENDES ARBEITSKLIMA Viel wichtiger, jedenfalls nach Erlebnisberichten von Schülerinnen und Schülern an der Berufsschule, ist neben einer angemessenen Bezahlung indes das Arbeitsklima.28 28 Auch die Legal Support-Studie kommt zu dem Ergebnis, dass ein positives, wertschätzendes Arbeitsklima ein wichtiger Faktor für die Mitarbeitendenmotivation und -bindung ist, vgl. dort S. 20 u. 28. Insoweit haben Kanzleien, auch wenn sie eher durchschnittlich bezahlen, einen guten Ruf bei Auszubildenden, wenn sich herumspricht, dass sich in der Kanzlei „jemand um die Auszubildenden kümmert“. Diese Kanzleien werben sodann mit einem sog. Tutorenmodell, d.h. den einzelnen Auszubildenden wird jemand an die Seite gestellt, der ihr oder ihm als Ansprechpartner und Lernpartner dient. Gemeinsam werden feste wöchentliche Lernzeiten eingerichtet, die schulischen Noten besprochen, der Prüfungsstoff an der Akte gemeinsam durchgesprochen und es erfolgt eine intensive Prüfungsvorbereitung. Die Auszubildenden erleben auf diese Weise direkte Erfolge in der Bearbeitung eines Mandats, lernen die Umsetzung des theoretischen Lernstoffes in die Praxis auch unter strategischen und prozessökonomischen Gesichtspunkten und erfahren Interesse an ihrer Leistung und Person. Das Tutorenmodell ist letztlich jedoch nichts anderes als der gesetzgeberische Wille, der sowohl im BBiG wie auch in der BRAO Ausdruck findet: Der Ausbilder bzw. die Ausbilderin hat selbst auszubilden oder einen AusTHEUS/NITSCHKE, AUSBILDUNGSSITUATION VON REFAS – ALARMSTUFE ROT! BRAK-MITTEILUNGEN 4/2023 AUFSÄTZE 220

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