BRAK-Mitteilungen 4/2023

II. DER VORLAGEBESCHLUSS DES BAYERISCHEN ANWALTSGERICHTSHOFS Das Fremdbesitzverbot in der bis zum 31.7.2022 geltenden Ausgestaltung durch §§ 59a, 59e BRAO a.F. ist Gegenstand eines Vorlageverfahrens, das derzeit beim EuGH anhängig ist.8 8 Az. C-295/23-1. In dem vor dem BayAGH geführten Ausgangsverfahren hatte die zuständige Rechtsanwaltskammer einer Rechtsanwalts-UG die Zulassung entzogen, nachdem eine österreichische GmbH, die selbst nicht zur Rechtsanwaltschaft zugelassen war, 51 % der Geschäftsanteile an der UG übernommen hatte. Nachdem der Geschäftsführer und alleinige Gesellschafter der UG der Kammer die Anteilsübernahme mitgeteilt hatte, widerrief diese die Zulassung der UG als Rechtsanwaltsgesellschaft unter Hinweis auf § 59e BRAOa.F. Gegen den Widerruf der Zulassung klagte die betroffene Rechtsanwalts-UG. Sie sieht sich durch den Widerruf der Zulassung in ihren Rechten verletzt. Die dem Widerruf zugrundeliegenden Regelungen in § 59e BRAO a.F. sind aus ihrer Sicht nicht unionsrechtskonform und verletzen u.a. das Recht auf Kapitalverkehrsfreiheit (Art. Art. 63 I AEUV) und Niederlassungsfreiheit (Art. 49, 54 AEUV) sowie Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie. Der BayAGH hat in seiner ausführlich begründeten Entscheidung9 9 BayAGH, Beschl. v. 20.4.2023 – BayAGH III-4-20/21, BRAK-Mitt. 2023, 185 m. Anm. Schaeffer. festgehalten, dass nach dem geltenden deutschen Recht der Klägerin zwingend die Zulassung zu entziehen war. Das Gericht sieht jedoch die Kapitalverkehrsfreiheit durch die Regelungen in §§ 59a und 59e BRAO a.F. eingeschränkt und äußert Zweifel daran, ob die dort geregelten Beschränkungen für Rechtsanwaltsgesellschaften mit dem Grundrecht der Kapitalverkehrsfreiheit gem. Art. 63 AEUV vereinbar sind. Dies gelte auch im Lichte der durch die „große BRAO-Reform“ zum 1.8.2022 eingetretenen Lockerungen etwa hinsichtlich des Kreises der zulässigen Gesellschafter von Rechtsanwaltsgesellschaften. Weil das Fremdbeteiligungsverbot auch nach der neuen Rechtslage weiterhin gilt, sind Gesellschaften neuen Rechts nach Ansicht des BayAGH in gleicher Weise betroffen. Der AGH äußert ferner Zweifel, ob die Regelungen in §§ 59a, 59e BRAO a.F. mit der Dienstleistungsrichtlinie sowie mit dem Recht auf Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) vereinbar sind. Er hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die das Fremdbesitzverbot nach §§ 59a, 59e BRAO a.F. betreffen. Gegenstand des Vorlageverfahrens ist zwar vordergründig das vor der großen BRAO-Reform geltende Recht. Wegen der, wenn auch leicht modifizierten, Fortgeltung des Fremdbesitzverbots wird eine Entscheidung des EuGH jedoch erhebliche Auswirkungen auch auf das geltende Recht – und damit auf den gesamten Rechtsdienstleistungsmarkt in Deutschland – haben. Unabhängig von diesem Verfahren prüft das Bundesjustizministerium derzeit für das geltende Recht, ob eine Lockerung des Fremdbesitzverbots angezeigt ist oder ob das Verbot uneingeschränkt erhalten bleiben muss. III. DIE STELLUNGNAHME DER BRAK Auf Anfrage des Bundesministeriums der Justiz hat die BRAK zu dem Vorlageverfahren Stellung genommen. Die Stellungnahme soll in die Äußerung der Bundesregierung gegenüber dem EuGH einfließen. Sie wird nachfolgend im Wortlaut dokumentiert:10 10 BRAK-Stn.-Nr. 41/2023. Die BRAK erachtet die unionsrechtliche Verteidigung der in Deutschland geltenden berufsrechtlichen Vorschriften zum so genannten Fremdbesitzverbot vor dem Europäischen Gerichtshof für erfolgsversprechend und zwingend geboten. Das Ziel der dem Vorlageverfahren zugrunde liegenden Klage ist darauf gerichtet, einem nicht dem anwaltlichen Berufsrecht unterworfenen Kapitalinvestor entgegen dem geltenden deutschen Recht die Beteiligung an einer anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft zu gestatten. Nach Auffassung der BRAK hat die Klägerin hierauf auch unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Bestimmungen keinen Anspruch. Die Möglichkeit der Beteiligung durch jeden Investor, der sich nicht dem Rechtsstaat und dem Zugang zum Recht verpflichtet fühlt, wird durch das Recht der Europäischen Union nicht nur nicht gefordert, sondern steht einer solchen Beteiligung sogar entgegen. Die Europäische Union gründet auf der Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit, Art. 2 EUV. Eine unabhängige, nur dem Rechtsstaat verpflichtete Rechtsanwaltschaft ist daher nach europäischem Recht zwingend. Ihre Sicherung ist ein nach europäischen Maßstäben hochwertiges Rechtsgut. Dieses Verständnis kommt sowohl in der Grundrechtecharta und Art. 6 EMRK, ganz zweifelsfrei aber auch im Sekundärrecht der Richtlinien zum Rechtsanwaltsberuf, zum Ausdruck. Der Europäische Gerichtshof hat dies ebenfalls in seiner Judikatur zu den Grundfreiheiten und zur Postulationsfähigkeit zum Ausdruck gebracht. Eine Regulierung, die der Wahrung rechtsstaatlicher Grundsätze, zu denen auch die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaates, der Zugang zum Recht und das besonders sensible Vertrauensverhältnis eines Mandanten zu seinem Rechtsanwalt11 11 Die Begriffe Rechtsanwalt, Anwalt, Syndikusanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberagehören, ist zwingend erforderlich. AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2023 205

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