BRAK-Mitteilungen 4/2023

BRAK MITTEILUNGEN AUGUST 2023 · AUSGABE 4/2023 54. JAHRGANG AKZENTE ZUKUNFT DES ANWALTSMARKTES AUF DEM PRÜFSTAND Dr. Ulrich Wessels Es ist eines der wichtigsten berufsrechtlichen Verfahren der letzten Jahrzehnte. Das kann man ohne Übertreibung über das Vorabentscheidungsverfahren sagen, über das der Europäische Gerichtshof auf Vorlage des Bayerischen Anwaltsgerichtshofs zu entscheiden hat. Worum es geht? Letztendlich darum, wie der Anwaltsmarkt künftig gestaltet sein wird. Vordergründig steht das sog. Fremdbesitzverbot auf dem Prüfstand des EuGH. Es unterbindet, dass sich Investoren, die nicht dem anwaltlichen Berufsrecht unterworfen sind, an einer anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft beteiligen können. Nach dem vor der großen BRAO-Reform im Jahr 2022 geltenden Recht – nur dieses ist Gegenstand des Vorlageverfahrens – durften sich neben Anwältinnen und Anwälten nur Angehörige eines steuerberatenden oder wirtschaftsprüfenden Berufs an einer Anwaltsgesellschaft beteiligen. Ob man dieses Verbot lockern sollte oder sogar unbedingt aufrechterhalten muss, ist keine neue Frage. Sie spielte auch in der Diskussion um die große BRAO-Reform eine Rolle. Der Gesetzgeber entschied damals bewusst, das Fremdbesitzverbot beizubehalten und durch zusätzliche Regelungen abzusichern. Der Kreis der sozietätsfähigen Berufe wurde jedoch deutlich erweitert, Angehörige jedes freien Berufs sind nun potenzielle Gesellschafter. In seinem Vorlagebeschluss wirft der Bayerische AGH Fragen zur europarechtlichen Rechtfertigung des Fremdbesitzverbots auf. Dazu hat das Bundesministerium der Justiz die BRAK um Stellungnahme gebeten. Die BRAK steht einer Öffnung bislang aus gutem Grund ablehnend gegenüber. Im Kern muss die Anwaltschaft unabhängig nicht nur von staatlichen, sondern auch von Investoreneinflüssen sein und das Vertrauensverhältnis zu Mandantinnen und Mandanten geschützt werden. Im Detail hat die BRAK das in ihrer Stellungnahme dargelegt, die in diesem Heft dokumentiert wird. Unabhängig von dem Vorlageverfahren prüft das Bundesministerium der Justiz derzeit, ob das Fremdbesitzverbot auch für das geltende Recht unverändert Bestand haben soll. Das hatten sich die Regierungsparteien in ihrem Koalitionsvertrag zur Aufgabe gemacht. Der Minister deutete bereits zu Jahresbeginn beim parlamentarischen Abend der BRAK und auch an anderer Stelle an, dass man über eine Öffnung nachdenke. Zunächst will Buschmann dazu eruieren lassen, inwieweit die Anwaltschaft überhaupt Bedarf an einer Finanzierung durch Investoren sieht. Dabei soll auch die BRAK eng eingebunden werden. Eine sinnvolle Maßnahme – und ein erfreuliches Kooperationsangebot. Diskutiert wurde das Fremdbesitzverbot im Rahmen der großen BRAO-Reform in erster Linie im Zusammenhang mit Legal Tech. In diesem Bereich könnte eine Öffnung eventuell sinnvoll sein. Gleichwohl kann man, wie Schaeffer (BRAK-Mitt. 2023, 198 f.), zurecht in Frage stellen, ob es eine originär anwaltliche Aufgabe ist, Legal TechLösungen zu entwickeln. Doch die Tragweite des Fremdbesitzverbots geht weit über den Bereich Legal Tech hinaus. Die bisherige Diskussion hatte insofern einen verengten Blickwinkel. Interesse, sich an Kanzleien zu beteiligen, haben vor allem Rechtsschutzversicherer und Prozessfinanzierer, für die es höchst attraktiv wäre, dadurch ihre Wertschöpfungsketten zu verlängern. Anwaltshonorare wären dann etwa für Versicherer kein reiner Schadensaufwand mehr, sondern auch Teil des Unternehmensgewinns. Interessenkonflikte und Einflussnahmen auf die Prozessführung wären daher greifbare Gefahren. Denn dass ein Investor vorrangig an Rendite (mindestens am Ausbleiben von Verlusten) interessiert ist und weniger am Zugang zum Recht, liegt auf der Hand. Öffnet man anwaltliche Berufsausübungsgesellschaften für diese Akteure, führt das auf längere Sicht zu einer grundlegenden Umgestaltung des Anwaltsmarktes. Eine Öffnung des Fremdbesitzverbots jetzt zu diskutieren, ist wichtig und richtig, um zu erkennen, ob eine Nachjustierung nötig ist. Maßstab dabei muss aber vor allem der Schutz der Unabhängigkeit der Anwaltschaft sein. Ihr Dr. Ulrich Wessels AKZENTE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2023 203

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