BRAK-Mitteilungen 3/2023

[45] Somit ist auf die Fragen 2 und 3 zu antworten, dass Art. 4 II der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet, dem Erfordernis gemäß dieser Bestimmung, dass die Klausel klar und verständlich abgefasst sein muss, nicht genügt, wenn dem Verbraucher vor Vertragsabschluss nicht die Informationen erteilt worden sind, die ihn in die Lage versetzt hätten, seine Entscheidung mit Bedacht und in voller Kenntnis der wirtschaftlichen Folgen des Vertragsabschlusses zu treffen. ZuFrage4 [46] Mit Frage 4 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 3 I der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet und die daher den Hauptgegenstand des Vertrags betrifft, bereits deshalb, weil sie dem Transparenzerfordernis gem. Art. 4 II der Richtlinie nicht entspricht, als missbräuchlich anzusehen ist. [47] Zu Art. 5 der Richtlinie 93/13 hat der Gerichtshof missbräuchliche Klausel? entschieden, dass die Transparenz einer Vertragsklausel einen der Gesichtspunkte darstellt, die bei der vom nationalen Gericht anhand von Art. 3 I dieser Richtlinie vorzunehmenden Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Klausel zu berücksichtigen sind. Bei dieser Beurteilung hat das nationale Gericht unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände der Rechtssache zunächst zu prüfen, ob ein Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben vorliegt, und dann, ob zum Nachteil des Verbrauchers ein erhebliches Missverhältnis im Sinne dieser Bestimmung besteht (Urt. v. 3.10.2019, Kiss und CIB Bank, C-621/17, EU:C:2019:820, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung). [48] Nach der oben in Rn. 36 dargestellten Rechtsprechung hat das Erfordernis der Transparenz der Vertragsklauseln gem. Art. 4 II und gem. Art. 5 der Richtlinie 93/13 dieselbe Tragweite (vgl. in diesem Sinne auch Urt. v. 30.4.2014, Ka´sler und Ka´slern´e Ra´bai, C-26/13, EU:C:2014:282, Rn. 69). Die Folgen der fehlenden Transparenz einer Vertragsklausel sind mithin nicht unterschiedlich zu behandeln, je nachdem ob diese den Hauptgegenstand oder einen anderen Gesichtspunkt des Vertrags betrifft. [49] Nach der oben in Rn. 47 dargestellten Rechtsprechung ist die Missbräuchlichkeit einer Klausel eines Verbrauchervertrags zwar grundsätzlich im Wege einer Gesamtwürdigung zu beurteilen, bei der nicht nur die fehlende Transparenz der Klausel berücksichtigt wird. Nach Art. 8 der Richtlinie 93/13 können die Mitgliedstaaten aber ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher gewährleisten. [50] Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass sich die Republik Litauen, wie aus dem Vorlagebeschluss und den Erklärungen der litauischen Regierung hervorgeht, dafür entschieden hat, ein höheres Schutzniveau zu gewährleisten. Nach Art. 6.2284 VI des Zivilgesetzbuchs sind Klauseln, die dem Transparenzerfordernis nicht genügen, nämlich als missbräuchlich anzusehen. [51] Da es den Mitgliedstaaten freisteht, in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften ein höheres Schutzniveau vorzusehen, steht die Richtlinie 93/13, nach der eine Klausel eines Verbrauchervertrags bei fehlender Transparenz nicht automatisch für missbräuchlich zu erklären ist, nicht dem entgegen, dass sich diese Rechtsfolge aus den innerstaatlichen Rechtsvorschriften ergibt. [52] Somit ist auf Frage 4 zu antworten, dass Art. 3 I der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen ist, dass eine Klausel eines zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen, nach der sich die Vergütung Letzterer nach dem Zeitaufwand richtet und die daher den Hauptgegenstand des Vertrags betrifft, nicht bereits deshalb, weil sie dem Transparenzerfordernis gem. Art. 4 II der Richtlinie nicht entspricht, als missbräuchlich anzusehen ist, es sei denn, der Mitgliedstaat, dessen innerstaatliches Recht auf den betreffenden Vertrag anwendbar ist, hat dies gem. Art. 8 der Richtlinie ausdrücklich vorgesehen. Zu den Fragen 5 und 6 [53] Es bietet sich an, die Fragen 5 und 6 zusammen zu prüfen. Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob Art. 6 I und Art. 7 I der Richtlinie 93/13 dahin auszulegen sind, dass sie in Fällen, in denen ein zwischen einem Rechtsanwalt und einem Verbraucher geschlossener Vertrag über die Erbringung von Rechtsdienstleistungen nach der Aufhebung einer für missbräuchlich erklärten Klausel, nach der sich die Vergütung für die betreffenden Dienstleistungen nach dem Zeitaufwand richtet, nicht fortbestehen kann und in denen die Dienstleistungen bereits erbracht sind, dem entgegenstehen, dass das nationale Gericht auch dann, wenn dies dazu führt, dass der Gewerbetreibende für seine Dienstleistungen überhaupt keine Vergütung erhält, die Lage wiederherstellt, in der sich der Verbraucher ohne die Klausel befunden hätte, oder die Klausel durch eine Vorschrift des innerstaatlichen Rechts über die höchst zulässige Vergütung für die Beratung oder Vertretung durch einen Rechtsanwalt oder durch seine eigene Beurteilung der Höhe der Vergütung, die es für die betreffenden Dienstleistungen für angemessen hält, ersetzt. [54] Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs muss es die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel ermöglichen, dass die Sach- und Rechtslage wiederhergestellt wird, in der sich der Verbraucher ohne die missbräuchliche Klausel befunden hätte (vgl. in diesem Sinne Urt. v. 31.5.2018, Sziber, C-483/16, EU:C:2018:367, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung). EUROPA BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 3/2023 179

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