BRAK-Mitteilungen 3/2023

BRAK MITTEILUNGEN JUNI 2023 · AUSGABE 3/2023 54. JAHRGANG AKZENTE ABGESPECKT Dr. Ulrich Wessels Die Diskussionen darüber, wie Hauptverhandlungen im Strafprozess zu dokumentieren sind, reißen auch mit dem im Mai vom Bundeskabinett beschlossenen Regierungsentwurf nicht ab. Viele in der strafrechtlichen Anwaltspraxis und der Strafrechtswissenschaft, und auch die BRAK, hatten seit Langem eine audiovisuelle Aufzeichnung im Strafprozess gefordert. Mit großem Paukenschlag wurde dann im November 2022 der Referentenentwurf für ein Gesetz zur Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung vorgelegt. Der lang ersehnte Entwurf versprach: Statt der bisherigen handschriftlichen Notizen der Richterinnen und Richter und des mageren „Der Zeuge sagte zur Sache aus.“ im Protokoll sollte eine moderne audiovisuelle Dokumentation kommen, so wie sie in vielen unserer Nachbarstaaten bereits seit einiger Zeit erfolgreich praktiziert wird. Das hätte viele Vorteile, die (nicht nur) die BRAK aufgezeigt hat. Der Kern ist: Für alle Verfahrensbeteiligten wäre nachvollziehbar, welchen Inhalt die Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung hatte. Das würde die Richterinnen und Richter vom Mitnotieren entlasten und gäbe ihnen eine authentische Dokumentation dessen, was Zeugen und Sachverständige ausgesagt haben – ein wichtiges Hilfsmittel für die Entscheidungsfindung, ein Instrument, um Missverständnisse und Auseinandersetzungen über den Inhalt von Aussagen zu vermeiden und sie auch für spätere Rechtsmittelinstanzen nachvollziehbar zu machen. Gerade weil es im Strafverfahren um einen staatlichen Grundrechtseingriff von großer Tragweite, gegebenenfalls sogar um eine Freiheitsstrafe geht, ist das von besonderer Bedeutung. Der Ansatz des Referentenentwurfs ist begrüßenswert. Doch er erntete unerwartet scharfe Kritik aus den Reihen der Richterschaft und Staatsanwaltschaft. Auf dem Richter- und Staatsanwaltstag musste sich der Bundesjustizminister gar dafür ausbuhen lassen. Dabei beabsichtigte der Entwurf eines sicher nicht: Misstrauen gegenüber den in der Justiz Tätigen zum Ausdruck zu bringen. Eine audiovisuelle Dokumentation würde auch nicht, wie von Kritikern angeführt, das Aussageverhalten von Zeuginnen und Zeugen beeinträchtigen. Dafür hat die vom Ministerium eingesetzte Expertengruppe, der auch Aussagepsychologen angehören, keinerlei Anhalt gefunden. Auch bisherige Erfahrungen mit VideoVernehmungen im Ermittlungsverfahren sprechen nicht dafür. Der massive Protest aus der Justiz, aber auch von Seiten der Länder, die vor allem die hohen Kosten der Einführung audiovisueller Aufzeichnungstechnik anführten, fruchtete dennoch. Der im Mai vorgestellte Regierungsentwurf trägt der Kritik Rechnung, indem er aus der audiovisuellen Aufzeichnung eine reine Audioaufzeichnung macht und den Zeitplan für die Einführung etwas weniger straff gestaltet. Einen zentralen Punkt behält er jedoch bei: Strafgerichtliche Hauptverhandlungen müssen aufgezeichnet und die Aufzeichnungen automatisch transkribiert werden. Das ist im Grundsatz gut – auch wenn auf diese Weise nicht die beste mögliche Dokumentation kommt, die man sich hätte wünschen können und die mit heutiger Technik umsetzbar gewesen wäre. Auch eine abgespeckte Dokumentation in Form einer Audioaufzeichnung bringt schließlich einen wesentlichen Fortschritt gegenüber handschriftlichen Notizen und „Der Zeuge sagte zur Sache aus.“. Es ist deshalb ausdrücklich zu begrüßen, dass die Bundesregierung trotz der von Interessenverbänden und einem Teil der Richterschaft geäußerten vehementen Kritik an ihrem Reformvorhaben festhält. Denn klar ist, dass das bestehende Protokollsystem dringend reformbedürftig ist. Die Einführung einer zeitgemäßen Dokumentation strafgerichtlicher Hauptverhandlungen bleibt also weiterhin eine zentrale rechtspolitische Aufgabe in dieser Legislaturperiode. Wenn die Dokumentation aber schon nur in abgespeckter Form kommen soll, muss sie jedenfalls mit Hochdruck und ohne weitere Verzögerungen kommen. Dafür werden wir uns auch weiterhin einsetzen. Ihr Dr. Ulrich Wessels AKZENTE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2023 141

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