BRAK-Mitteilungen 1/2023

sionsinstanz wegen nicht angemessener Aufklärung über die Rechtsmittelrisiken in Anspruch. Der Pflichtverstoß des Anwalts als solcher war nicht ernstlich bestreitbar: Statt die vollständige oder jedenfalls praktisch aussichtslose Aussicht einer Berufung im Verhältnis zu seinem Mandanten klar herauszustellen und zu begründen, hatte er das erstinstanzliche Urteil diesem gegenüber lediglich als oberflächlich und hinsichtlich der schadensstiftenden Tätigkeit der Kapitalanlagegesellschaft als nicht versicherte unternehmerische Treuhand fehlerhaft und eine Berufung als „notwendig“ bezeichnet. Verschwiegen hatte der Rechtsanwalt seinem Mandanten unverständlicherweise auch den ihm bekannten Umstand, dass derselbe Senat, der über das Berufungsverfahren zu entscheiden haben würde, in einem Parallelverfahren eine solche bereits zurückgewiesen hatte. Zu den Erfolgsaussichten einer Nichtzulassungsbeschwerde hatte der Anwalt den Mandanten überhaupt nicht beraten – aber die letztlich erfolgreiche Kostendeckungsanfrage eingeholt, die später vom BGH-Anwalt mit Erfolg unterfüttert wurde. Der Instanzanwalt habe nicht vorgetragen, dass er die Pflicht zur Aufklärung und Beratung des Mandanten mit dessen Einverständnis allein auf den Revisionsanwalt übertragen oder das Mandat mit Abschluss der zweiten Instanz geendet habe. Das einschränkungslos angenommene Verkehrsanwaltsmandat im Revisionsverfahren und das Verdienen der Gebühr nach Nr. 2300 VV-RVG kann also auch eine unerfreuliche Kehrseite aufweisen. Anders als das erstinstanzliche LG, das noch jedenfalls geringe Erfolgsaussichten festgestellt und damit den Nachweis der Kausalität der Pflichtverletzung für den Kostenschaden wegen des bei einem rechtsschutzversicherten Mandanten nicht anwendbaren Anscheinsbeweises zu beratungsgerechtem Verhalten verneint hatte, verurteilte das OLG Karlsruhe den Anwalt in voller geltend gemachter Höhe. Es legte mit ausführlicher Begründung dar, dass sowohl die Berufung als auch die Nichtzulassungsbeschwerde von vorherein, auch beim notwendigen Anlegen hoher Hürden für dieses Verdikt, objektiv ohne jede Erfolgschance gewesen, weil die von der Treuhandgesellschaft unstreitig begangenen haftungsbegründenden Pflichtverletzungen zweifelsohne nicht vom Deckungsumfang der verklagten Vermögensschadenhaftpflichtversicherung umfasst gewesen seien. Aufgrund dessen greife auch bei einem rechtsschutzversicherten Mandanten der vom Anwalt nicht erschütterte Anscheinsbeweis, dass dieser sich bei gehöriger Aufklärung trotz Rechtsschutzdeckung gegen die Durchführung der aussichtslosen Rechtsmittel entschieden hätte. PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT RECHTSANWÄLTIN ANTJE JUNGK, RECHTSANWÄLTE BERTIN CHAB UND HOLGER GRAMS* * Die Autorin Jungk ist Leitende Justiziarin, der Autor Chab Leitender Justiziar bei der Allianz Versicherungs-AG, München; der Autor Grams ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Versicherungsrecht in München. In jedem Heft der BRAK-Mitteilungen kommentieren die Autoren an dieser Stelle aktuelle Entscheidungen zum anwaltlichen Haftungsrecht. HAFTUNG HAFTUNG FÜR AUSSICHTSLOSE PROZESSFÜHRUNG GGF. AUCH BEI MANDAT NUR UNTER DER BEDINGUNG VON RECHTSSCHUTZDECKUNG Der Deckungsanspruch gegen seinen Rechtsschutzversicherer schließt die Annahme eines (Kosten-) Schadens des Mandanten infolge einer Beratungspflichtverletzung des Rechtsanwalts auch dann nicht aus, wenn der Mandant nur einen Auftrag unter der Bedingung einer Deckungszusage erteilt. BGH, Urt. v. 29.9.2022 – IX ZR 204/21, DB 2022, 2986; WM 2022, 2369; BRAK-Mitt. 2023, 62 Anm. Cornelius-Winkler(in diesem Heft) Ein Mandant nimmt seinen früheren Anwalt aus abgetretenem Recht seines Rechtsschutzversicherers auf Ersatz eines Kostenschadens wegen Erhebung einer von vornherein aussichtslosen Klage und Einlegung einer ebenso aussichtslosen Berufung in Anspruch. Die Verfahrenskosten hatte der Rechtsschutzversicherer des Mandanten getragen, der Ersatzansprüche gegen den Anwalt an seinen Versicherungsnehmer abtrat. Die Klage blieb in den Vorinstanzen erfolglos. Auf die vom OLG zugelassene Revision hob der BGH das Berufungsurteil auf und verwies die Sache zurück. Ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Klägers gegen den Anwalt wäre nach § 86 I VVG auf den Rechtsschutzversicherer übergegangen. Diesen Anspruch habe der Versicherer an den Kläger wirksam rückabgetreten. Die Rechtsschutzversicherung sei eine Schadensversicherung i.S.v. § 86 I 1 VVG. Danach gehe ein dem Versicherungsnehmer gegen einen Dritten zustehender Ersatzanspruch auf den Versicherer über, soweit dieser den Schaden ersetzt. Ein Schadensersatzanspruch des AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 1/2023 25

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