BRAK-Mitteilungen 1/2023

AUFSÄTZE DIE STAR-UNTERSUCHUNG 2022 BRINGT ES ANS LICHT WIEVIEL MANGEL KÖNNEN SICH ANWALTSKANZLEIEN ALS TEIL DES RECHTSSTAATS LEISTEN? RECHTSFACHWIRTIN SABINE VETTER, LL.M.* Vor dem Hintergrund eines sich seit Jahren abzeichnenden Fachkräftemangels, der besonders auch die Anwaltschaft betrifft, hat das Statistische Berichtssystem für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (STAR) 2022 detaillierte Daten zur Situation des nicht-anwaltlichen Kanzleipersonals erhoben. Dabei geht es neben Gehältern und freiwilligen Zusatzleistungen u.a. um Weiterbildung, den qualifikationsgemäßen Einsatz von Fachpersonal und um die Nutzung von Legal Tech-Instrumenten in Kanzleien. Die Autorin stellt die Ergebnisse von STAR 2022 im Detail dar, bewertet sie und zeigt mögliche Ansätze auf, um Fachkräfte zu gewinnen und langfristig an Kanzleien zu binden. * Die Autorin ist geprüfte Rechtsfachwirtin in der Kanzlei Lothar Wegener in Würzburg und LL.M. im Bereich „Betreuung, Vormundschaft, Pflegschaft“. Sie ist Vorsitzende des Berufsbildungsausschusses der Rechtsanwaltskammer Bamberg und Mitglied im Vorstand des Forum Deutscher Rechts- und Notarfachwirte e.V. I. HINTERGRUND DER UNTERSUCHUNG Das Statistische Berichtssystem für Rechtsanwälte (STAR) wurde vom Institut für Freie Berufe (IFB) im Auftrag der BRAK 1993 ins Leben gerufen, um die wirtschaftliche und berufliche Lage der Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen zu durchleuchten. Aufgrund der Erhebungen sind neueste Entwicklungen in der Advokatur erkennbar. Die STAR-Erhebung 2022 fand vor dem Hintergrund eines immer deutlicher werdenden Fachkräftemangels im Bereich der freien Berufe allgemein, aber auch in der Anwaltschaft statt. Die Befunde sind alarmierend, handelt es sich doch um (Ausbildungs-)Berufe, die in besonderem Maß für das Funktionieren der Rechtspflege relevant sind. Justiz und Verwaltung stehen vor demselben Problem wie die Anwaltschaft und stehen damit auch in Konkurrenz zu ihr um qualifiziertes Personal. Die Hintergründe für diese Entwicklung sind zu erforschen und Lösungskonzepte zu erarbeiten, will man nicht längerfristig auf einen Stillstand der Rechtspflege zusteuern, weil das Fachpersonal fehlt. Dazu braucht es vor allem einen genaueren Blick auf die Situation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kanzleien. 1. MITARBEITERINNEN UND MITARBEITER IN KANZLEIEN – UNBEKANNTE WESEN Im Zeitraum vom 26.8. bis 14.9.2022 erhob der Bundesverband der Freien Berufe e.V. (BFB) Daten, in denen jeder zweite Freiberufler offene Stellen meldete.1 1 Vgl. Pressemitt. des BFB v. 3.11.2022; dazu Creutzburg, FAZ v. 2.11.2022: „Wenn die Praxis schließt, weil die Arzthelferin fehlt“. Besonders hoch sei der Bedarf in den Kernbereichen der freiberuflichen Vertrauensdienstleistungen, also einem sensiblen Bereich, in dem direkter Kontakt zu Patienten oder Mandanten notwendig ist. Wir bewegen uns im Bereich einer gesellschaftlich unverzichtbaren Dienstleistung, in der aufgrund des Personalmangels mittlerweile knapp zwei Drittel der Befragten Aufträge ablehnen müssen und nahezu jeder zweite angibt, seine Dienstleistung nur noch eingeschränkt anbieten zu können. Die derzeit vom BFB angegebenen 340.000 offenen Stellen verteilen sich über alle freien Berufe, aber wie steht es um die Anwaltschaft? Können wir uns einen Fachkräftemangel (weiterhin) leisten? Den Forschungsbericht des Soldan Instituts „Personal in Anwaltskanzleien“2 2 Kilian/Dreske, Personal in Anwaltskanzleien, Forschungsberichte des Soldan Instituts Bd. 21, 2018. leitete Kilian 2018 mit dem Tenor ein „Über diese Mitarbeiter ist wenig bekannt“. Zusammen mit BRAK, DAV, ReNo Bundesverband und Verdi hat das Soldan Institut eine Studie zum Thema „Personal in Anwaltskanzleien“ durchgeführt. Seit dieser Zeit rückt das Thema immer weiter in den Fokus. Berufsverbände, aber auch engagierte Einzelpersonen, sowohl auf Arbeitgeber- als auch auf Arbeitnehmerseite, klären über das „unbekannte Wesen ReNo“ auf. Auf allen Kanälen3 3 Einige Beispiele: Jun, ReFas halten und bewerben; Beck aktuell Leadership Podcast mit Constanze Eich; Noe, Ausbildung verantwortungsvoll übertragen; Informationen der BRAK zu Rechtsanwaltsfachangestellten (inkl. Podcast); Tietje/Vetter, Anwaltspraxis Magazin v. 11.10.2021 „Fachkräfte erfolgreich sichern“; BFB, Interview mit einer Auszubildenden; Wolf, MKG v. 28.4.2021 „Die Anwaltskanzlei als Ausbilder“ Teil I und Teil II. wird mit einem großen Kraftakt versucht, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken und das Blatt zu wenden. Auszubildende schreiben Beiträge, um positiv über ihre Ausbildung zu berichten. Diverse Fachbeiträge über Mitarbeiterführung oder Arbeitspsychologie rücken in den Fokus bzw. tauchen erstmalig im Zusammenhang mit Rechtsanwaltskanzleien auf. 2. DIE STAR-UNTERSUCHUNG 2022 Die STAR-Untersuchung 2022 soll ebenfalls einen Beitrag dazu leisten, die Situation von nicht-anwaltlichem Fachpersonal zu ergründen. Bislang wurde die STAR-Erhebung in etwa im zweijährigen Turnus durchgeführt und enthielt hauptsächlich Daten zur wirtschaftlichen BRAK-MITTEILUNGEN 1/2023 AUFSÄTZE 2

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