BRAK-Mitteilungen 6/2022

Angaben im Transfervermerk sind beide Schriftsätze als elektronisches Dokument aus dem besonderen Anwaltspostfach von Rechtsanwalt W und damit auf einem sicheren Übermittlungsweg (§ 46c IV 1 Nr. 2 ArbGG) übermittelt worden. Sie weisen auch eine ausreichende einfache Signatur auf. Bei einem nach dem Briefkopf als solcher ausgewieseEinzelanwalt nen Einzelanwalt ist zu dessen Identifizierung regelmäßig der maschinenschriftliche Abschluss des Schriftsatzes mit „Rechtsanwalt“ ausreichend. Hierdurch wird ohne Weiteres erkennbar, dass der Kanzleiinhaber – vorliegend Rechtsanwalt W – Urheber der schriftlichen Prozesshandlung ist und die inhaltliche Verantwortung für das betreffende Dokument übernimmt. Weitere Rechtsanwälte sind im Briefkopf der Schriftsätze nicht aufgeführt. Insofern unterscheidet sich der Streitfall maßgeblich von dem Sachverhalt, der der von dem Kl. herangezogenen Entscheidung des BSG v. 16.2.2022 (B 5 R 198/21 B Rn. 9) zugrunde lag. Deshalb kommt es nicht mehr darauf an, ob die darüber geleistete – mit den Schriftsätzen eingescannte – Unterschrift entzifferbar ist. [3] II. Die Beschwerde ist auch begründet. Das Landesarbeitsgericht hat bei seiner Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag betreffend die außerordentliche fristlose Kündigung v. 15.10.2020 den Anspruch der Bekl. auf rechtliches Gehör aus Art. 103 I GG verletzt (§ 72 II Nr. 3 Alt. 2 ArbGG). Das führt in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zur Aufhebung seines Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht (§ 72a VII ArbGG), ohne dass es auf die Zulässigkeit und Begründetheit der weiteren von der Bekl. erhobenen Rügen ankäme. [4] 1. Das Landesarbeitsgericht hat zwar wiedergegeben und damit zur Kenntnis genommen, dass die Bekl. die außerordentliche fristlose Kündigung v. 15.10.2020 auch auf den Verdacht pflichtwidrigen Verhaltens des Kl. stützt (vgl. S. 13, erster Absatz des Berufungsurteils). Es hat dieses Vorbringen jedoch bei der Urteilsfindung wieder aus den Augen verloren und deshalb nicht in Erwägung gezogen (vgl. BVerfG v. 27.5.1970 – 2 BvR 578/69 – zu III der Gründe, BVerfGE 28, 378). Die Entscheidungsgründe des Urteils beschäftigen sich an keiner Stelle mit einer „Verdachtskündigung“ und ihren Voraussetzungen. [5] 2. Der darin liegende Gehörsverstoß ist für die Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag betreffend die außerordentliche fristlose Kündigung v. 15.10. 2020 erheblich. Hierfür genügt es, dass das Landesarbeitsgericht bei Prüfung der Voraussetzungen einer Verdachtskündigung möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Das kann nicht ausgeschlossen werden. [6] 3. Die Zurückverweisung umfasst die weiteren Kündigungsschutzanträge gegen die außerordentliche Kündigung v. 26.10.2020 sowie die ordentlichen Kündigungen v. 17.9.2020, 15.10.2020 und 26.10.2020 sowie den Antrag des Kl. auf vorläufige Weiterbeschäftigung. [7] 4. Demgegenüber verbleibt es bei der Abweisung seines Auflösungsantrags auf der Basis der bis zum ersten Berufungsurteil vermeintlich eingetretenen Auflösungsgründe. Allerdings ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts insoweit – wie der als unechter Hilfsantrag angebrachte Auflösungsantrag selbst – auflösend bedingt durch die Abweisung eines der Kündigungsschutzanträge im fortgesetzten Berufungsverfahren. Überdies könnte der Kl. einen neu angebrachten Auflösungsantrag nach der Zurückverweisung (nur) auf Gründe stützen, die erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung im ersten Berufungsverfahren entstanden sind. [8] 5. Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass dem Landesarbeitsgericht die Schriftsätze aus dem Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren nicht vorliegen. [9] III. Von einer weiteren Begründung wird nach § 72a V 5 ArbGG abgesehen. HINWEISE DER REDAKTION Zur einfachen elektronischen Signatur bei einer Sozietät vgl. auch die vorangehend abgedruckte Entscheidung des BGH auf S. 336 in diesem Heft. ANMERKUNG: Die Entscheidung des 2. Senats des BAG wurde vielfach als Vereinfachung für Einzelanwältinnen und Einzelanwälte bei der formwahrenden Einreichung von Schriftsätzen rezipiert: Der abschließende Vermerk „Rechtsanwältin“ bzw. „Rechtsanwalt“ genüge als einfache Signatur, wenn man einen Schriftsatz auf einem sicheren Übermittlungsweg i.S.v. § 130a III ZPO (und den Parallelregelungen in den übrigen Verfahrensordnungen, hier § 46c III ArbGG) einreiche. Ganz so einfach ist es indes nicht, und die Entscheidung des BAG steht auch nicht, wie von einigen angenommen, im Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH.1 1 BGH, Beschl. v. 7.9.2022 – XII ZB 215/22, BRAK-Mitt. 2022, 336 (in diesem Heft). Dieser hatte kürzlich „Rechtsanwalt“ ohne Namenswiedergabe ausdrücklich nicht als einfache Signatur i.S.v. § 130a III ZPO genügen lassen – ebenso wie übrigens der 5. Senat des BAG in einer früheren Entscheidung.2 2 BAG, Beschl. v. 14.9.2020 – 5 AZB 23/20, BRAK-Mitt. 2020, 367 Ls. 1 und Rn. 15. Tatsächlich legen beide Gerichte dieselben Maßstäbe zugrunde; das BAG kommt lediglich aufgrund unterschiedlich gelagerter Sachverhalte bei der Subsumtion unter dieselben zu einem anderen Ergebnis als der BGH. In dem vom BGH entschiedenen Fall ging es um eine Kanzlei mit mehreren Berufsträgern. Beide Gerichte gehen von der in Art. 3 Nr. 10 EIDASVO niedergelegten Definition einer „einfachen“ elektronischen Signatur aus. Eine solche Signatur besteht aus Daten in elektronischer Form, die anderen elektroELEKTRONISCHER RECHTSVERKEHR BERUFSRECHTLICHE RECHTSPRECHUNG BRAK-MITTEILUNGEN 6/2022 339

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0