BRAK-Mitteilungen 6/2022

Der Kläger bot im Rahmen eines von ihm organisierten Lehrganges Leistungskontrollen an, die unter Verwendung des Programms „GoTo meeting“ absolviert werden sollten. Den Teilnehmern wurde der Aufgabentext per E-Mail übersandt. Der Veranstalter achtete darauf, dass die Teilnehmer ihre Kameras einschalteten und dass die Teilnehmer vor der Kamera ebenso sichtbar gewesen seien, wie das Klausurpapier. Im Verfahren vor dem VG Freiburg beantragte der Kläger festzustellen, dass die von ihm im Rahmen der Fachanwaltslehrgänge durchgeführten Leistungskontrollen von der beklagten Kammer als Aufsichtsarbeiten anzuerkennen seien, hilfsweise festzustellen, dass die Kammer verpflichtet wäre, durch geeignete Maßnahmen die Durchführung von Leistungskontrollen als sogenannte Online-Klausuren zu überwachen und dem Kläger die ordnungsgemäße Durchführung zu bestätigen. Die aus Sicht des VG zulässige Klage hatte keinen Erfolg. Das VG stellte darauf ab, dass die vom Kläger durchgeführten Online-Klausuren keine „Aufsichtsarbeiten“ i.S.d. § 4a I FAO darstellten. So sei eine Aufsichtsarbeit von der physischen Anwesenheit einer Aufsichtsperson geprägt. Auch die Pandemie gebiete es nicht, einer Vorschrift im Wege der Auslegung allein deshalb einen anderen Inhalt beizumessen, weil das Schreiben von Präsenzklausuren für kurze Zeiträume unmöglich oder jedenfalls erschwert wäre. Es stünde der Satzungsversammlung frei, Online-Klausuren den Aufsichtsarbeiten nach § 4a FAO gleichzustellen und den hierfür gebotenen rechtlichen Rahmen normativ vorzuzeichnen. Das Gericht betont weiter, dass es sich bei den Klausuren gem. § 4a FAO um die einzig vorhandene Qualitätskontrolle handele, die der Überprüfung diene, ob die jeweilige Person in der Lage sei, das theoretisch vermittelte Wissen aus dem Fachanwaltskurs auf einen zu begutachtenden Fall anzuwenden. Schließlich bestünde die Gefahr von Täuschungsversuchen. Der Fachanwaltsausschuss der Satzungsversammlung hat sich, wie vorstehend bereits berichtet, aufgrund der besprochenen Entscheidungen veranlasst gesehen, der Satzungsversammlung eine präzisierende Darstellung in § 4a FAO vorzuschlagen. Die Entscheidung des VG Freiburg zeigt jedoch auch Aspekte auf, die im Zusammenhang mit der Erörterung eines Reformbedarfs von § 4 FAO Beachtung finden sollten. So weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass der historische Normgeber bei Schaffung der Bestimmung in § 4a FAO Online-Klausuren gar nicht in seinen Willen aufnehmen konnte und dies ersichtlich nicht getan hätte. Auch sei das Verfahren zur Erlangung des Fachanwaltstitels streng formalisiert. Dies müsste auch für das Verständnis von § 4 FAO und für das dort aufgestellte Erfordernis der Absolvierung eines Lehrgangs gelten, der sich auf mindestens 120 Zeitstunden beläuft. Weder hatte der historische Normgeber Online-Lehrgänge im Blick, noch erschien es ihm vorstellbar, einen Lehrgang im Selbststudium zu absolvieren. 2. ERWERB DER BESONDEREN PRAKTISCHEN ERFAHRUNGEN NACH § 5 FAO Der Entscheidung des Anwaltssenats des BGH vom 19.4.202210 10 BGH, Urt. v. 19.4.2022 – AnwZ (Brfg) 1/22, BRAK-Mitt. 2022, 216. lag ein Fall zugrunde, bei dem für die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen für den Erwerb der Fachanwaltsbezeichnung „Fachanwältin für Vergaberecht“ maßgeblich war, ob die Antragstellerin nachgewiesen hatte, dass die von ihr vorgelegten Fälle i.S.v. § 5 I 1 FAO persönlich und weisungsfrei bearbeitet worden waren. a) PERSÖNLICHE UND WEISUNGSFREIE BEARBEITUNG Die Klägerin legte in ihrem Antrag Fälle vor, die sie eigenständig und weisungsfrei bearbeitet hätte, deren Schriftsätze jedoch von anderen Rechtsanwälten unterzeichnet worden waren, da es im Interesse der jeweiligen Mandanten gelegen hätte, dass die unterzeichneten Rechtsanwälte nach Außen auftreten würden. Die Rechtsanwaltskammer lehnte den Antrag ab. Der Nachweis der notwendigen gerichtlichen Verfahren sei nicht erbracht. Es ergäben sich nach Prüfung der überlassenen Handakten zu den gerichtlichen Verfahren keine nennenswerten Anzeichen für eine über ein Wirken im Hintergrund hinausgehende Fallbearbeitung. Die anwaltlichen Bestätigungen der unterzeichnenden Rechtsanwälte würden die Nachweislücken nicht schließen. Der AGH Rheinland-Pfalz hatte der dagegen gerichteten Klage der Klägerin bereits entsprochen.11 11 AGH Rheinland-Pfalz, Urt. v. 16.11.2021 – 2 AGH 5/20, Beck RS 2021, 54092. Zur Begründung seiner Entscheidung stellte er darauf ab, dass die Klägerin die erforderlichen Nachweise einer persönlichen und weisungsfreien Bearbeitung erbracht hätte. Der AGH erhob Beweis durch Zeugeneinvernahme der unterzeichnenden Rechtsanwälte. Danach stand für den AGH fest, dass die inhaltliche Arbeit der fraglichen Schriftsätze der Klägerin oblegen habe. Es komme danach nicht darauf an, ob sich aus den von der Klägerin vorgelegten Handakten Hinweise auf eine Bearbeitung durch die Klägerin ergäben oder nicht. Vielmehr seien die anwaltlichen Versicherungen der die Schriftsätze unterzeichnenden Rechtsanwälte heranzuziehen, die ihre Erklärungen in den Zeugenaussagen weiter nachvollziehbar konkretisiert hätten. Der AGH hat daraus den Schluss gezogen, dass die Voraussetzungen von § 5 FAO zur persönlichen und weisungsfreien Fallbearbeitung vorlagen und die Klägerin einen entsprechenden Nachweis, der ihr nach § 6 FAO oblag, auch geführt hätte. Der gegen die Entscheidung des AGH gerichtete Antrag der Rechtsanwaltskammer auf Zulassung der Berufung gegen seine Entscheidung blieb vor dem Anwaltssenat des BGH ohne Erfolg. ENGEL, DIE ENTWICKLUNG DES FACHANWALTSRECHTS IM JAHR 2022 AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 6/2022 307

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