BRAK-Mitteilungen 3/2022

lich 71-tägige (!) Hauptverhandlung bestellt und das Kammergericht den Antrag auf eine Pauschgebühr abgelehnt. Der VerfGH Berlin23 23 VerfGH Berlin, Beschl. v. 22.4.2020 – 177/19. hatte die unzureichende Vergütung als Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit gerügt. Daraufhin hatte das KG anstatt der Festsetzung der beantragten Pauschgebühr von rund 100.000 Euro die gesetzlichen Höchstgebühren um 127,50 Euro (!) erhöht. Der VerfGH Berlin hat nunmehr klargestellt, dass die Bestellung zum Pflichtverteidiger bereits in die Berufsausübungsfreiheit eingreift und dass eine aufgrund des Umfangs oder der Schwierigkeit des Verfahrens unangemessene Vergütung des Pflichtverteidigers ein Sonderopfer darstellt. In diesem Fall hat ein angemessener Ausgleich des Sonderopfers stattzufinden. Diesem Anspruch ist das KG mit einer nur unmerklichen Erhöhung der Wahlverteidigergebühren nicht gerecht geworden. e) VERGLEICH ÜBER KOSTEN DES ADHÄSIONSVERFAHRENS Mit der instanziellen Zuständigkeit und der Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Kosten eines durch Vergleich abgeschlossenen Adhäsionsverfahrens beschäftigt sich eine Entscheidung des OLG Celle24 24 OLG Celle, Beschl. v. 21.9.2021 – 2 Ws 270/21. . Die Parteien hatten sich über die Kosten des Adhäsionsverfahrens dahingehend geeinigt, dass das Gericht gem. § 91a ZPO über die Kosten entscheiden solle. Das LG hat in einem gesonderten Beschluss über die Kosten entschieden. Das Strafurteil und den Beschluss hat der Angeklagte jeweils mit Rechtsmitteln (Revision zum BGH und sofortige Beschwerde zum OLG) angefochten. Das OLG Celle hat zunächst klargestellt, dass die Parteien grundsätzlich die Dispositionsfreiheit über die Kosten des Adhäsionsverfahrens haben. Üben sie die Freiheit nicht aus, hat das Gericht über die Kosten im Urteil zwingend gem. § 472a II StPO (und nicht durch Beschluss nach § 91a ZPO) zu entscheiden. Damit ist auch der Rechtsmittelweg vorgezeichnet. Die fehlerhafte Entscheidung durch Beschluss ist nicht durch das OLG, sondern gem. § 464 III 3 StPO durch den BGH zu prüfen. f) VERFAHRENSGEBÜHREN BEI EINZIEHUNG Dass in Strafverfahren bei der Einziehung Verfahrensgebühren nach Nr. 4142 VV-RVG anfallen, wird häufig vergessen. Das AG Bremen25 25 AG Bremen, Beschl. v. 4.3.2021 – 87 Ds 310 JS 53638/15 (29/18). hatte über den besonderen Fall eines selbstständigen Einziehungsverfahrens zu entscheiden. Das AG stellt hierzu fest, dass die besondere Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV-RVG nicht isoliert entstehen kann sondern dass im isolierten Einziehungsverfahren immer auch die allgemeine Verfahrensgebühr entsteht, sowie ggf. auch die Grundgebühr und Terminsgebühren entstehen können. Die Grundgebühr kann jedoch nur dann entstehen, wenn der Bevollmächtigte den Betroffenen nicht bereits im Hauptverfahren vertreten hat. Welche Qualität die Tätigkeit des Rechtsanwalts für den Anfall der Gebühr Nr. 4142 VV-RVG erfüllen muss, hatte das KG26 26 KG, Beschl. v. 30.6.2021 – 1 WS 16/21. zu entscheiden. Das KG stellt dazu fest, dass für den Anfall der Gebühr keine spezifische, z.B. gerichtliche Tätigkeit erforderlich ist. Es reicht jede Tätigkeit mit Bezug zur Einziehung (also auch eine reine, nach außen nicht in Erscheinung tretende Beratungstätigkeit) aus. g) BEMESSUNG DER GEBÜHR IN BUSSGELDSACHEN Ein ständiges Ärgernis ist die gerichtliche Praxis, in Bußgeldsachen die Bemessung nicht von der Mittelgebühr, sondern von einer herabgesetzten Mittelgebühr ausgehend vorzunehmen, wie es z.B. das AG Bad Salzungen27 27 AG Bad Salzungen, Urt. v. 30.9.2021 – 1 C 121/21. entschieden hat. Diese Praxis ist ein Anachronismus. Sie stammt aus der Zeit der BRAGO, also vor 2004, als das Gesetz zwischen Gebühren in Straf- und Bußgeldsachen nicht differenzierte. Durch das RVG wurde nicht nur die Differenzierung zwischen Gebühren in Straf- und Bußgeldsachen, sondern sogar eine Differenzierung zwischen verschieden bedeutsamen Bußgeldsachen eingeführt. Jeder Grund für herabgesetzte Gebühren in Bußgeldsachen ist damit entfallen. Der Ansatz von herabgesetzten Gebühren in Bußgeldsachen ist als willkürliche und damit ungesetzliche „Recht“sprechung zu bezeichnen. 4. SOZIALRECHT a) GEBÜHREN IM WIDERSPRUCHSVERFAHREN Im Sozialrecht sind erfreuliche Entscheidungen selten. Eine Ausnahme ist die Entscheidung des LSG SchleswigHolstein28 28 LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 19.2.2021 – L 3 AL 18/18. zur Erstattungsfähigkeit von Beratungskosten im Widerspruchsverfahren. Die Partei hatte sich im sozialrechtlichen Widerspruchsverfahren selbst vertreten, jedoch im Hintergrund zuvor eine rechtsanwaltliche Beratung in Anspruch genommen. § 63 I SGB X spricht von den Kosten einer zweckentsprechenden Rechtsverfolgung, bzw. Abs. 2 von den Gebühren eines hinzugezogenen Rechtsanwalts. Vom engen Wortlaut der Vorschrift ist die rechtsanwaltliche Beratung daher nicht umfasst. Da aber die höheren Kosten der rechtsanwaltlichen Geschäftstätigkeit erstattungsfähig sind, sind es jedenfalls nach § 63 I SGB X auch die niedrigeren Beratungskosten. b) GEBÜHRENBEMESSUNG NACH TERMINSDAUER – DER EIN-MINUTEN-TERMIN Mit einem seltenen Fall beschäftigt sich das LSG Thüringen.29 29 LSG Thüringen, Beschl. v. 27.10.2020 – L 1 SF 285/19 B. Im zu entscheidenden Fall fand nämlich nur ein Ein-Minuten-Termin statt. HINNE, DIE ENTWICKLUNG DER RECHTSANWALTSVERGÜTUNG 2021/2022 AUFSÄTZE BRAK-MITTEILUNGEN 3/2022 139

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