BRAK-Mitteilungen 2/2022

terschrieb, wurde versehentlich der fehlerhafte Schriftsatz an das Gericht übermittelt. Der BGH gab dem Wiedereinsetzungsgesuch – im Gegensatz zum Brandenburgischen OLG – statt: Der Prozessbevollmächtigte habe sich darauf verlassen dürfen, dass die Angestellte seine Einzelweisung, den falschen Schriftsatz zu vernichten, befolgt. Eine eigenhändige Vernichtung oder Unkenntlichmachung des falsch adressierten Schriftsatzes durch den Anwalt ist nach ständiger BGH-Rechtsprechung6 6 Z.B. BGH, NJOZ 2020, 727 = FamRZ 2019, 1725. nicht erforderlich. Das OLG hatte bemängelt, dass kein Vortrag dazu erfolgt sei, was denn mit dem neuen, richtigen Schriftsatz passiert war. Der BGH hält Vortrag dazu jedoch für entbehrlich, weil dies für ein etwaiges Verschulden des Prozessbevollmächtigten nicht mehr relevant sei. Bei der Versendung aus dem beA können die Fälle in dieser Form zwar nicht mehr auftreten; dass in den von den Mitarbeitern vorbereiteten Schriftsätzen das falsche Gericht eingetragen ist, aber schon. Der Schriftsatz muss dann natürlich neu ausgefertigt werden, jedoch stellt sich die Frage, was vor der Versendung durch den Anwalt noch zu prüfen ist. Da die Unterschrift in Form der Signatur unmittelbar mit der zu versendenden Datei verknüpft ist, wird man hier wohl nicht mehr zu einem Büroverschulden kommen können. Die korrigierte Datei muss notwendigerweise dem Anwalt nochmals vorgelegt werden, damit dieser sie entweder selbst aus seinem beA versenden oder mit einer qeS versehen zur Versendung durch das Büro zurückgeben kann. In beiden Fällen wird man ihn wohl verpflichtet sehen müssen, den Schriftsatz nochmals auf die von ihm zu überprüfenden Essentialia, zu denen auch das zuständige Gericht gehört, zu überprüfen. Sinnvoll dürfte eine Anweisung an das Büro sein, in solchen Fällen keine Mehrfachversionen der betreffenden Datei zu generieren, sondern die Korrekturen direkt in der fehlerhaften Datei vorzunehmen, um Verwechslungen zu vermeiden. Die Verantwortung wird man aber nicht mehr so leicht auf das Personal verlagern können, es bleibt dann ein Anwaltsverschulden nach § 85 II ZPO. (ju) VORSORGE FÜR VERTRETUNG BEI PLÖTZLICHEN ERKRANKUNGSZUSTÄNDEN, MIT DENEN GERECHNET WERDEN KANN 1. Ein Rechtsanwalt, der sich im Verfassungsbeschwerdeverfahren selbst vertritt, ist hinsichtlich der Sorgfaltsanforderungen, die an die Wahrung einzuhaltender Fristen gestellt werden, nicht wie ein Beteiligter, sondern wie ein Rechtsanwalt zu behandeln. 2. Wer als Rechtsanwalt im Verfassungsbeschwerdeverfahren mit plötzlich akuten Krankheitszuständen rechnen muss, ist verpflichtet, die nach den Umständen gebotenen Vorkehrungen dafür zu treffen, dass im Falle seiner Erkrankung ein Vertreter die Fertigstellung der Verfassungsbeschwerde übernimmt. VerfGH Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 7.12.2021 – 65/21.VB-2 Die Beschwerdeführerin, selbst Anwältin, führte hier einen Regressprozess gegen zwei Rechtsanwältinnen, die sie in einem Scheidungsverfahren vertreten hatten; im Regressprozess vertrat sie sich selbst und unterlag in erster Instanz vor dem LG. Im Berufungsverfahren vor dem OLG erging zunächst ein Versäumnisurteil, gegen das die Beschwerdeführerin Einspruch einlegte. Einen Tag vor dem angesetzten Verhandlungstermin beantragte sie die Aufhebung des Termins, weil ihr die Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln wegen der Corona-Pandemie und wegen eines Migräneanfalls nicht möglich sei. Auch die Anreise mit dem eigenen PKW sei wegen des Erschöpfungszustandes nach dem Migräneanfall nicht durchführbar. Dem Antrag wurde nicht entsprochen. Der Senatsvorsitzende meinte, ausweislich der vorgelegten ärztlichen Bescheinigungen sei der Migräneanfall vorhersehbar gewesen, weshalb sie für eine Vertretung hätte sorgen müssen. Es folgte eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit, die vom Senat verworfen wurde, woraufhin ein zweites Versäumnisurteil erging. Der Beschluss über das Ablehnungsgesuch wurde am 26.2.2021 zugestellt. Gegen diesen Beschluss erhob die Beschwerdeführerin, nach wie vor sich selbst vertretend, Verfassungsbeschwerde beim VerfGH für NRW. Wegen der Versäumung der dafür geltenden Monatsfrist verband sie ihn mit einem Wiedereinsetzungsantrag, den sie – wiederum – mit Krankheit begründete. Ausweislich vorgelegter ärztlicher Bescheinigungen leide sie seit Jahren unter schweren Migräneanfällen, die bis zu einer Woche andauern könnten, unvorhersehbar seien und ihre Arbeitsfähigkeit auf Null herabsetzten. Sie sei dann weitgehend verhandlungs- und reiseunfähig. Die Anfälle würden mehrmals im Monat auftreten. Wegen eines ungewohnt schweren Anfalls sei sie längere Zeit bettlägerig gewesen und habe die Begründung der Verfassungsbeschwerde daher nicht rechtzeitig fertigen können. Die Kammer wies die Verfassungsbeschwerde schon als unzulässig zurück. Zwar scheitere die Zulässigkeit hier nicht schon daran, dass es sich bei dem angefochtenen Beschluss lediglich um eine Zwischenentscheidung handele (was näher ausgeführt wird), aber zur Fristversäumung sei es hier nicht ohne Verschulden der Anwältin gekommen. Sie müsse sich genauso behandeln lassen wie dies bei einer Fremdvertretung der Fall sei. Die konkrete Erkrankung habe sie schon nicht ausreichend glaubhaft gemacht. Zwar könnten grundsätzlich mehrtägige, schwere Migräneanfälle geeignet sein, in verfahrensrelevanter Form Einfluss auf die Entschluss-, Urteilsund Handlungsfähigkeit zu nehmen. Dann reiche aber eine nur allgemein gehaltene ärztliche Bescheinigung zur Glaubhaftmachung nicht aus. Selbst wenn aber hier die konkrete Erkrankung ausreichend glaubhaft geJUNGK/CHAB/GRAMS, PFLICHTEN UND HAFTUNG DES ANWALTS – EINE RECHTSPRECHUNGSÜBERSICHT BRAK-MITTEILUNGEN 2/2022 AUFSÄTZE 86

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