BRAK-Mitteilungen 1/2022

fundene „Geschäftsmodell“ weiter betreiben und versuchen, schadenbelastete Verträge über Regressnahme bei den von ihnen bezahlten Rechtsanwälten bzw. deren Vermögensschadenhaftpflichtversicherern zu sanieren. Immerhin liegt nun mit einem Urteil des BGH36 36 Vgl. BGH, Urt. v. 16.9.2021 – IX ZR 165/19 m. Anm. Weinbeer, AnwBl. 2021, 684; Borgmann, NJW 2021, 3324; H.-J. Mayer, FD-RVG 2021, 442967; Grams, FDVersR 2021, 442897, s.a. Mals, SVR 2021, 401 (404) undJungk, NJW 2021, 3630 (3634 f.). die erhoffte höchstrichterliche Entscheidung vor, die Vorgaben und Struktur für die in einigen wichtigen Punkten bislang nicht ganz kohärente Rechtsprechung der Instanzgerichte bringt – wenn auch nicht in die von der Anwaltschaft wohl überwiegend erhoffte Richtung. Der BGH stellt zunächst mit der auch bislang ganz überwiegenden Instanzrechtsprechung fest, ein Deckungsanspruch schließe einen übergangsfähigen Kostenschaden des Mandanten nicht aus, denn es solle den Schädiger nicht entlasten, wenn der Versicherer des Geschädigten den Schaden decke.37 37 Ebenso OLG Frankfurt, Urt. v. 14.7.2021 – 17 U 60/20, beck-online Rn. 57; LG Würzburg, Urt. v. 1.4.2021 – 12 O 2251/19, juris Rn. 74. Obsolet insoweit die gegenteilige Ansicht des OLG München, Urt. v. 25.11.2020 – 15 U 2415/20 Rae Rn. 39 ff. m. zust. Bespr. Karwatzki, VersR 2021, 1412 ff. und Anm. Grams, FDVersR 2021, 435657. Die Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs sei auch nicht deshalb nach Treu und Glauben ausgeschlossen, weil der Rechtsschutzversicherer die Deckungsfrage geprüft und die Aussichtslosigkeit der Rechtsverfolgung selbst hätte erkennen können. Er könne Deckung bei nicht hinreichender Aussicht auf Erfolg unter den Voraussetzungen des § 28 VVG bzw. § 3a ARB ablehnen, müsse dies aber nicht, schon gar nicht gegenüber dem Anwalt seines Versicherungsnehmers. Der Anwalt habe seinen Mandanten – ohne Rücksicht auf das Vorhandensein von Rechtsschutzdeckung – im Zweifel umfassend und möglichst erschöpfend, maßgeblich orientiert an aktueller höchstrichterlicher Rechtsprechung, über Optionen und Erfolgsaussichten von ins Auge gefassten Handlungen, insbesondere die Einleitung eines Rechtsstreits aufzuklären. Diese Verpflichtung ende dabei keineswegs mit Verfahrens- oder Rechtsmitteleinlegung. Ändere sich durch tatsächliche oder rechtliche Erkenntnisse die Ausgangslage, müsse auch hierüber aufgeklärt werden, um insbesondere die Entstehung vermeidbarer Kosten zu verhindern. Sei eine Rechtsdurchsetzung oder -verteidigung aber praktisch aussichtslos, müsse der Anwalt dies klar herausstellen. Ein in dieser Situation erteilter Hinweis, die Aussichten seien „offen“, genüge nicht. Von einer aussichtslosen Klage müsse dem Mandanten abgeraten werden.38 38 Ebenso LG Karlsruhe, Urt. v. 17.12.2020 – 5 O 256/19, beck-online Rn. 34. Die Verpflichtung, den Mandanten durch Aufklärung über Handlungsoptionen und -risiken soweit aufzuklären, dass er zu einer eigenverantwortlichen Entscheidung über die Art der Wahrnehmung seiner Interessen in der Lage ist, könne der Anwalt nicht dadurch erfüllen, dass er unter vollständiger und wahrheitsgemäßer Information vom Rechtsschutzversicherer eine Deckungszusage einhole – auch wenn dieser dann hieran im Rahmen eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses gebunden sei. Eine aus dem Mandatsvertrag folgende Pflicht, einen von Anfang an aussichtslosen Rechtsstreit nicht zu führen, gebe es als solche allerdings nicht. Entscheidend sei insoweit einzig die Erfüllung der Pflicht zur Beratung über die Erfolgsaussichten, denn es obliege allein dem rechtsschutzversicherten Mandanten, über die Inanspruchnahme seines Deckungsanspruchs für die beabsichtigte Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen zu entscheiden. Eine Pflichtverletzung ist selbstverständlich zur Begründung eines Schadenersatzanspruchs noch nicht ausreichend. Erforderlich ist weiter Kausalität und deren Nachweis. Auf einen Anscheinsbeweis, der Mandant hätte sich beratungsgerecht verhalten, sei nur dann zurückzugreifen, wenn aus Sicht eines vernünftig urteilenden Mandanten eindeutig eine bestimmte Reaktion nahegelegen hätte, was tatrichterlich festzustellen sei. Der Tatrichter habe dabei zu berücksichtigen, dass das Kostenrisiko durch eine versicherungsrechtlich einwandfrei herbeigeführte Deckungszusage weitestgehend ausgeschlossen ist, was dazu führe, dass schon ganz geringe Erfolgsaussichten den Mandanten dazu veranlassen könnten, den Rechtsstreit zu führen oder fortzusetzen.39 39 Ebenso OLG Frankfurt, Urt. v. 14.7.2021 – 17 U 60/20, beck-online Rn. 52; LG Karlsruhe, Urt. v. 8.10.2021 – 8 O 46/20, beck-online Rn. 53; v. 17.12.2020 – 5 O 256/19, beck-online Rn. 42. Die Grenze der Wirkungen des über die Rechtsschutzversicherung vermittelten Kostenschutzes sei aber dann erreicht, wenn die (weitere) Rechtsverfolgung oder -verteidigung objektiv aussichtlos sei oder werde. Denn das Führen eines tatsächlich aussichtslosen Prozesses liege nicht im Interesse eines vernünftig urteilenden Mandanten, sondern nur im Gebühreninteresse des Anwalts.40 40 Gegenbeispiel: keine Berufungsrücknahme, aber auch kein Auftrag zur Entgegnung auf Hinweisbeschl. nach § 522 II 2 ZPO und damit aussichtslose Rechtsmittelfortführung wegen Rechtsschutzdeckung im Fall des AG Frankfurt a.M., Urt. v. 22.7. 2021 – 32 C 807/21, beck-online Rn. 14. Anscheinsbeweis in exakt diesem Fall annehmend AG Hamburg-Altona, Urt. v. 13.4.2021 – 316 C 91/20, beck-online Rn. 26. Wie sich der Mandant im konkreten Einzelfall entschieden hätte, ist für den BGH nicht relevant.41 41 In Grenzfällen in ausdrücklicher Abstimmung mit dem Mandanten z.B. Klageerhebung von einer Deckungszusage abhängig zu machen, wie es das OLG München, Urt. v. 25.11.2020 – 15 U 2415/20 Rae Rn. 32, für möglich hält, könnte damit problematisch sein. An das Verdikt von ex ante aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen bestehender Aussichtslosigkeit seien hohe Anforderungen zu stellen. Dies komme etwa in Betracht, wenn eine streitentscheidende Rechtsfrage höchstrichterlich abschließend entschieden sei. Würden im Schrifttum Bedenken geäußert, mit denen die Rechtsprechung sich noch nicht auseinandergesetzt habe, könne dies zur Verneinung von völliger Aussichtslosigkeit führen. VÖLKER, DIE RECHTSPRECHUNG ZUR RECHTSSCHUTZVERSICHERUNG IM JAHR 2021 BRAK-MITTEILUNGEN 1/2022 AUFSÄTZE 24

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