BRAK-Mitteilungen 4/2021

und eine Existenzgefährdung der Sozietät durch einen schlagartigen Abfluss von Finanzmitteln zu vermeiden, sei die angemessene Form der Abfindung die Auftei- lung der Sachwerte und die rechtlich unbeschränkte Möglichkeit, um Mandanten zu werben. 8 8 BGH , NZG 2008, 623 (627); NJW 2010, 2660 Rn. 2 f.; NJW 2016, 3597 Rn. 16; OLG Oldenburg , BeckRS 2018, 50183 Rn. 34; Goette , AnwBl. 2007, 637 (643). Im Falle des Ausscheidens einzelner Gesellschafter bevorzugt die Rechtsprechung somit eine Realteilung aller Vermö- genswerte einschließlich der Mandatsbeziehungen, weil der Anteil der Mandanten, der dem Ausgeschiedenen folgt, seinen Anteil am immateriellen Gesellschaftsver- mögen in aller Regel adäquat abbildet. 9 9 Vgl. Soergel/ Hadding/Kießling , BGB, 13. Aufl. 2011, § 738 Rn. 54; Pieronczyk , Auf- lösung und Ausscheiden, 219 f. Gehen Sozietät und Sozius auf diese Art und Weise vor, ist mit dem gleichberechtigten Werben um Mandanten, der immaterielle Wert des Gesellschaftsanteils kompen- siert. Das gilt unabhängig davon, wie erfolgreich dieser Wettbewerb im Endergebnis ist. Weitergehende wech- selseitige Ausgleichsansprüche bestehen auch bei letzt- lich extrem ungleicher Mandatsverteilung nicht. 10 10 BGH, NJW 2010, 2660 Rn. 7 f.; Pieronczyk , Auflösung und Ausscheiden, 220; Goet- te , ZGR 46 (2017), 426 (436); krit. Frhr. v. Falkenhausen , AnwBl 2020, 502 (503). Et- was anderes gilt nur, wenn der Wettbewerb um die Mandanten von vornherein faktisch ausgeschlossen war, weil der ausscheidende Sozius treuwidrig vom Wettbewerb ausgeschlossen wurde, 11 11 BGH , NJW-RR 1995, 1182 (1182 f.); Goette , ZGR 46 (2017), 426 (433). intern eine quo- tale Aufteilung des Mandantenstammes vereinbart war, 12 12 Goette , ZGR 46 (2017), 426 (435). der Sozius in den Ruhestand eintritt und die Mandatsmitnahme für ihn daher unmöglich ist, 13 13 Bunk , Vermögenszuordnung, Auseinandersetzung und Ausscheiden in Sozietät und Gemeinschaftspraxis, 2007, 152 ff.; Henssler/Michel , NZG 2012, 401 (409). oder er während seiner Zeit in der Sozietät – etwa als Mana- ging Partner – keinen Mandantenkontakt hatte. 14 14 Bunk , Vermögenszuordnung, 152 ff.; Westermann , AnwBl. 2007, 103 (108). II. WECHSELWIRKUNGEN ZWISCHEN ABFINDUNG UND MANDATSMITNAHME 1. GESTALTUNGSFREIHEIT FÜR ANWÄLTE Aus dieser Modifikation des BGH ergeben sich erheb- liche Gestaltungsspielräume für Anwälte hinsichtlich Klauseln zur Abfindung und zum nachvertraglichen Wettbewerb, die gewerblich geprägten Gesellschaften ansonsten verwehrt bleiben. Da diese Gesellschaften den ausscheidenden Gesellschafter regelmäßig nur durch eine Geldleistung abfinden können, läge im Aus- schluss dieses Zahlungsanspruchs ein Verstoß gegen die §§ 138 I, 723 III BGB, weil der Gesellschafter seines Anteils am Gesellschaftsvermögen beraubt würde. 15 15 MüKoBGB/ Schäfer , § 738 Rn. 61 m.w.N. Ein solcher Verstoß tritt für Anwälte durch den Abfin- dungsausschluss hingegen nicht ein, weil der ausschei- dende Sozius seinen Vermögensanteil durch die Mit- nahme von Mandanten realisieren kann. 2. KUMULATION VON ABFINDUNG UND MANDATS- MITNAHME Abfindungszahlung und Mandatsmitnahme sind auch kumulativ möglich, können aber nur bei ausdrücklicher Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag beansprucht wer- den, da eine doppelte Abgeltung des Praxiswerts kaum im Interesse der Sozien liegt und damit im Wege der er- gänzenden Vertragsauslegung regelmäßig nicht zu be- gründen ist. 16 16 BGH , NJW 1995, 1551; NJW 2000, 2584; NJW 2010, 2660 Rn. 2; OLG Karlsruhe , NZG 2001, 654 (655); MüKoBGB/ Schäfer , § 738 Rn. 70; Pieronczyk , Auflösung und Ausscheiden, 233; Goette , DStR 2000, 1021 (1023 f.). 3. KEINE GLEICHZEITIGE BESCHRÄNKUNG VON ABFINDUNG UND MANDATSMITNAHME Vice versa ist ein simultaner Ausschluss der Abfindung für den Praxiswert als auch des nachvertraglichen Wett- bewerbs nicht zulässig. Derartige Gestaltungen stellen sowohl eine sittenwidrige Benachteiligung des aus- scheidenden Sozius gemäß § 138 I BGB i.V.m. Art. 12 GG als auch eine unzulässige Kündigungsbeschrän- kung nach § 723 III BGB dar, weil dem Sozius die Mög- lichkeit genommen wird, sich künftig eine wirtschaft- liche Existenz aufzubauen. Denn so würde der ausschei- dende Sozius gänzlich vom Praxiswert der Sozietät aus- geschlossen und seine Beteiligung entwertet, obwohl er durch seine Tätigkeit für die Gesellschaft zur Schaffung und Mehrung der immateriellen Vermögenswerte bei- getragen hat. 17 17 BGH , WM 1979, 1064, (1065); NJW 1994, 796 (796 f.); NJW 2011, 2355 Rn. 22; MüKoBGB/ Schäfer , § 738 Rn. 68; Pieronczyk , Auflösung und Ausscheiden, 225 f.; Westermann , AnwBl. 2007, 103 (108); Goette , AnwBl 2007, 637 (644). In diesen Konstellationen zeigt die Rechtsprechung die Tendenz, die Abfindungsklausel aufrechtzuerhalten und das nachvertragliche Wettbewerbsverbot als nichtig anzusehen, um die vom BGH befürwortete Realteilung durch Wettbewerb zu ermöglichen. 18 18 OLG Celle , NJOZ 2007, 3455 (3456); LG Heidelberg , BeckRS 2014, 3138; zust. MüKoBGB/ Schäfer , § 738 Rn. 7, 69. Vorzugswürdig ist die umgekehrte Sichtweise. Denn der Sozius, der sich unter Umständen jahrelang und durch mehrere Instan- zen an das Wettbewerbsverbot gehalten hat, weist nach dieser Zeitspanne nicht mehr die notwendige Mandantenbindung auf, um seinen anteiligen Praxis- wert durch Wettbewerb zu realisieren und muss daher eine Abfindung in Geld. 19 19 Zutr. Hirtz , AnwBl. 2008, 82 (89); Frhr. v. Falkenhausen , AnwBl. 2020, 502 (504). Auch die höchstrichterliche Rechtsprechung geht näm- lich davon aus, dass sich die aufgebaute Mandanten- bindung jedenfalls zwei Jahre nach dem Ausscheiden verflüchtigt hat, sodass der ausgeschiedene Sozius der Sozietät wie jeder andere Wettbewerber gegenüber- tritt. 20 20 Hierzu BGHZ 201, 205 Rn. 38 = NJW 2014, 3442 m.w.N. Spätestens nach zwei Jahren kann der Ausge- schiedene aus der Unwirksamkeit der Wettbewerbs- klausel daher keinen Nutzen mehr ziehen und erhält im Ergebnis keine Kompensation für den Praxiswert. Entge- hen ließe sich dieser Konsequenz allenfalls, wenn man in der Aufnahme der unwirksamen Wettbewerbsklausel BRAK-MITTEILUNGEN 4/2021 AUFSÄTZE 238

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