BRAK-Mitteilungen 4/2021

BRAK MIT TEILUNGEN AUGUST 2021 · AUSGABE 4/2021 52. JAHRGANG AKZENTE BLICK IN DIE GLASKUGEL Dr. Ulrich Wessels Die dramatischen Hochwasserereignisse von Mitte Juli wirken immer noch nach. Neben diesen erschütternden Bildern bestimmen Corona und Olympia die Nachrich- ten – und so mancher von uns hat einfach nur das Be- dürfnis, nach fast ein- einhalb Pandemie- Jahren einen relativ unbeschwerten Som- mer zu erleben. Ver- glichen damit wirkt der Bundestagswahl- kampf recht ge- dämpft, die Bundes- tagswahl scheint in sehr weiter Ferne. Doch wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kol- legen, diese Ausgabe der BRAK-Mitteilun- gen lesen, sind es nur noch wenige Wochen bis zur Wahl. Unver- meidlich stellt sich damit die Frage, wer Deutschland ab dem Herbst regie- ren wird und welchen politischen Kurs die neue Regie- rung (eine Koalition – soviel dürfte sicher sein) ein- schlägt. Hellsehen müsste man können! Ganz ohne hellseherische Fähigkeiten liegen hingegen einige Eckpunkte auf der Hand, an denen sich die – wie auch immer zusammengesetzte – künftige Regierung aus Sicht der Anwaltschaft wird messen lassen müssen. Ein ganz zentrales Anliegen ist die Wahrung der anwalt- lichen Verschwiegenheit. Sie dient dem Vertrauensschutz im Mandatsverhältnis und ist ein Kernelement des An- waltsberufs. Klar abzulehnen sind Mitwirkungs- und Of- fenbarungspflichten gegenüber Steuer- und Datenschutz- behörden sowie im Bereich der Geldwäscheaufsicht, so- fern sie Geheimnisse aus Mandatsverhältnissen betreffen. Ebenso zentral ist die anwaltliche Unabhängigkeit. Sie darf nicht tangiert werden durch eine Öffnung der Strukturen anwaltlicher Berufsausübungsgesellschaf- ten, die den Einfluss rein finanzieller Interessen auf die anwaltliche Berufsausübung ermöglichen würde. Dass Kapitalbeteiligungen Dritter an Anwaltskanzleien aus der „Großen BRAO-Reform“ wieder gestrichen wurden, ist gut so – und sie müssen auch künftig verboten blei- ben. Gleiches gilt für Prozessfinanzierungen durch An- wälte. Auch sie müssen weiterhin untersagt bleiben, denn sie führen notwendigerweise zu Interessenkonflik- ten und belasten das Mandatsverhältnis. Das hat der noch amtierende Gesetzgeber erfreulicherweise einge- sehen und das Verbot der Prozessfinanzierung nicht im Rahmen des „Legal Tech-Gesetzes“ gelockert. Diese Ein- sicht erwarten wir auch vom künftigen Gesetzgeber! Der Ende dieses Jahres auslaufende „Pakt für den Rechtsstaat“ muss neu aufgelegt werden – diesmal von Beginn an unter Einbeziehung der Anwaltschaft. Als Or- gan der Rechtspflege und als Rechtsanwender und direk- ter Kontaktpunkt zu rechtsuchenden Bürgerinnen und Bürgern kann sie bestens Verbesserungspotenzial aufzei- gen. Der weiterhin erforderliche Personalaufbau und vor allem die Digitalisierung der Justiz müssen fortgesetzt werden. Denn in der Digitalisierung liegt eine große Chance. Der Zugang zum Recht darf aber nicht durch einen verkürzten Rechtsschutz beschränkt werden. Und er muss auch in der Fläche möglich bleiben. Das erfor- dert ein klares Bekenntnis dazu, keine weiteren Gerichte zu schließen, damit der Rechtsstaat auch weiterhin für Bürgerinnen und Bürger in der Fläche greifbar bleibt. Und schließlich muss auch in Zukunft ein auskömmliches Arbeiten der Anwaltschaft gesichert bleiben. Richtig – die gesetzlichen Anwaltsgebühren wurden erst zu Jah- resbeginn erhöht. Doch dabei dürfen drei Dinge nicht übersehen werden: Nach sieben Jahren war eine Anpas- sung überfällig. Die anwaltliche Vergütung wird nach wie vor nicht regelmäßig an die wirtschaftliche Entwick- lung angepasst wie etwa die Diäten der Bundestagsab- geordneten, die an den Normallohnindex gekoppelt sind. Und die von der Anwaltschaft geforderten strukturellen Verbesserungen wurden nicht umgesetzt. Die neue Re- gierung ist hier also klar in der Pflicht. Noch ein weiterer Punkt ist in diesem Zusammenhang wichtig: Die Altersversorgung der Anwaltschaft darf nicht angetastet werden. Wir fordern daher ein klares Bekenntnis zur berufsständischen Versorgung! Hellsehen können wir zwar nicht – aber wir werden uns nach Kräften dafür einsetzen, dass diese Anliegen der Anwaltschaft im Rahmen der Koalitionsverhandlungen und im Verlauf der kommenden Legislaturperiode Ge- hör finden. Ihr Dr. Ulrich Wessels AKZENTE BRAK-MITTEILUNGEN 4/2021 217

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