BRAK-Magazin Ausgabe 5/2025

OKTOBER 2025 · AUSGABE 5/2025 KOOPERATION STATT KONFRONTATION DER NEUE SCHLICHTER PROF. DR. BERTRAM SCHMITT IM GESPRÄCH Fremdgeld: Aktuelle Entwicklungen und häufige Fragen zu Sammelanderkonten Indien: BRAK im Dialog über Rechtsstaatlichkeit und anwaltliche Rechte Europa: Der Rechtsstaatlichkeitsbericht 2025 und die Anwaltschaft Foto: freepik

MACHT NICHTS ANDERES ALS ALLES SCHNELLER. Möchten auch Sie beim Recherchieren und Schreiben viel Zeit und Mühe sparen? Dann nutzen Sie Answers. Die innovative KI-Lösung beantwortet Ihre Fragen zum Steuerrecht sekundenschnell und so oft Sie wünschen. Auf die erzeugten Inhalte können Sie sich verlassen, denn sie basieren ausschließlich auf unserer erstklassigen Fachliteratur im Steuerrecht und angrenzenden Rechtsgebieten. Bereits jeder zweite Nutzer unserer Datenbank kombiniert seine Module mit Answers. Wann starten Sie? Die KI von Otto Schmidt Überzeugen Sie sich selbst und nutzen die Module und Answers 4 Wochen lang gratis: otto-schmidt.de/answers

IMPRESSUM Bundesrechtsanwaltskammer – Körperschaft des öffentlichen Rechts, Littenstraße 9, 10179 Berlin Redaktion: Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ. (verantwortlich) Verlag: Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln (ausführliches Impressum unter www.brak.de/zeitschriften) EDITORIAL SILIVRI … Rechtsanwalt Dr. Christian Lemke, Vizepräsident der BRAK und Präsident der Rechtsanwaltskammer Hamburg … ist ein eigentlich beschaulicher türkischer Ort am Marmarameer. Allerdings, so heißt es in der Türkei, Silivri ist„kalt“ – es steht für das dortige berüchtigte Hochsicherheitsgefängnis, welches mit über 11.000 Insassen als das größte in Europa gilt. Eine Vielzahl von Oppositionspolitikern – darunter der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu – und deren anwaltliche Vertreter sind dort aufgrund fadenscheiniger Vorwürfe auf häufig unabsehbare Zeit inhaftiert. Weil das Gefängnis dem Image des Bezirkes schade, beantragte der Bürgermeister von Silivri 2022 beim Justizministerium, es umzubenennen. Seitdem heißt es „Marmara Ceza İnfaz Kurumları Kampüsü“, also „Marmara StrafvollzugsanstaltenCampus“. Die Schönfärberei ändert nichts daran, dass es sich um einen Schreckensort handelt. Ein Gelände von rund einer Million Quadratmetern mit acht separaten, geschlossenen „Typ L“-Gefängnissen und hochsicheren Gerichtssälen für Verfahren mit vielen Angeklagten. Einer davon ist eine umgebaute Sporthalle für über 700 Personen, in deren Mitte sich ein Bereich für bis zu 180 Angeklagte befindet, die dort von bewaffnetem Sicherheitspersonal umringt werden. In eben diesem Gerichtsaal fanden im Mai und September die strafgerichtlichen Verhandlungen gegen den gesamten Istanbuler Kammervorstand einschließlich ihres Präsidenten Prof. Dr. İbrahim Kaboğlu statt. Sie wurden bereits im März sämtlich per gerichtlichem Beschluss ihrer Ämter enthoben und wegen Terrorpropaganda und Verbreitung irreführender Informationen angeklagt. Hintergrund sind Veröffentlichungen der Kammer, die eine Untersuchung der Tötung zweier kurdischer Journalisten – aus Sicht des zuständigen Staatsanwalts Terroristen – durch einen türkischen Drohnenangriff forderte und insoweit mutmaßte, es handele sich neben einem Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht auch um ein Kriegsverbrechen. Den betroffenen Kolleginnen und Kollegen drohen langjährige Haftstrafen. Für eine Vielzahl von Anwaltsorganisationen u.a. aus Frankreich, Italien, den Niederlanden, der Schweiz, Griechenland, Norwegen Grund genug, sich mit der türkischen Anwaltschaft zu solidarisieren und Prozessbeobachter zu entsenden, ebenso wie der CCBE, die European Lawyers Foundation, der DAV, die Rechtsanwaltskammer Berlin und selbstverständlich auch die BRAK, für die ich jeweils vor Ort war. Wir alle durften am ersten Prozesstag am 29. Mai die Stellungnahmen der betroffenen Kolleginnen und Kollegen verfolgen. Sie legten eindringlich dar, dass es Ausdruck von Willkür und Missachtung jeder Rechtsstaatlichkeit ist, Kammervorstände strafrechtlich zu belangen, nur weil sie Aufklärung mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen fordern. Und sie machten deutlich, dass sie sich weiterhin für Recht und Gesetz einsetzen. Wir durften miterleben, wie die standhaften Kolleginnen und Kollegen in den Folgeterminen am 9. und 10. September die der Einschüchterung dienende und nach türkischem Recht verfassungswidrige Wahl des Gerichtsortes beanstandeten. Und wir mussten ein Gericht erleben, das alle Argumente an sich abperlen ließ – nicht anders als der anwesende Staatsanwalt, der sich weder äußern noch irgendeinen Antrag stellen mochte, weil er nur nicht (!) instruierter Vertreter seines zuständigen Vorgesetzten sei. Eben dieser soll sich derweil durchaus im Gerichtsgebäude aufgehalten haben – offensichtlich eine allein der Zermürbung dienende Verschleppungstaktik. Weitere Folgetermine sind angesetzt. Offenbar auch um es den vielen internationalen Beobachtern schwerer zu machen, soll gleich über fünf Tage vom 5. bis 9. Januar 2026 verhandelt werden. Die BRAK wird es sich nicht nehmen lassen, die Prozessbeobachtung vor Ort gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland fortzusetzen, weiterhin zu berichten, sich deutlich zu äußern und unseren türkischen Kolleginnen und Kollegen im Kampf für eine freie und unabhängige Anwaltschaft, für Rechtsstaatlichkeit und gegen Willkür solidarisch beizustehen! Foto: BRAK

BRAK MAGAZIN 5/2025 4 KOOPERATION STATT KONFRONTATION Wie Schlichtung die Anwaltschaft stärkt und die Gesellschaft befriedet Seit fast fünfzehn Jahren vermittelt die Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft in Streitigkeiten zwischen Anwältinnen und Anwälten und ihrer Mandantschaft in Haftungs- und Honorarfragen. Im Sommer 2025 hat Prof. Dr. Bertram Schmitt das Amt des Schlichters angetreten. Er war viele Jahre als Richter tätig, zuletzt am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Wie er seine neue Aufgabe als Schlichter sieht und welche Ziele er sich dabei setzt, verrät Schmitt im Gespräch. Herr Professor Schmitt, Sie waren lange Zeit Richter – zuletzt am Internationalen Strafgerichtshof, davor am Bundesgerichtshof. Was hat Sie zur Schlichtungsstelle geführt? Zunächst einmal eine sehr überzeugende Anfrage von Herrn Dr. Wessels. Und Sie haben es ja schon richtig angesprochen: Ich komme aus der Justiz, habe etwa 35 Jahre als Richter gearbeitet, davon 25 Jahre in Deutschland – vom Amtsgericht über Landgericht und Oberlandesgericht bis hin zum Bundesgerichtshof. Ich fühle mich diesem Rechtssystem stark verbunden. Zu einem funktionierenden Rechtsstaat gehört aber nicht nur eine unabhängige Justiz, sondern ebenso eine unabhängige Anwaltschaft. Diese Unabhängigkeit setzt voraus, dass die Anwaltschaft sich selbst verwaltet – frei von staatlicher Fremdbestimmung. Nur so ist sichergestellt, dass Anwältinnen und Anwälte allein im Interesse ihrer Mandanten handeln können. Ein wesentlicher Baustein dieser Selbstverwaltung ist aus meiner Sicht das Angebot einer unabhängigen, fairen, schnellen und unbürokratischen Schlichtung im Konfliktfall. Wenn ich dazu beitragen kann, dieses Instrument zu stärken und damit auch das Vertrauen in die Anwaltschaft zu fördern, freut mich das sehr. Welche gesellschaftliche Bedeutung hat die Schlichtungsstelle? Eine große! Die Unabhängigkeit der Anwaltschaft ist für einen Rechtsstaat unverzichtbar. Gerade in Zeiten, in denen wir weltweit autokratische Bestrebungen sehen, ist es wichtig, nicht nur unabhängige Gerichte, sondern auch eine unabhängige Anwaltschaft zu sichern. Autokratien versuchen nicht nur, die Justiz zu kontrollieren, sondern auch Anwältinnen und Anwälte einzuschränken. Die Schlichtungsstelle hat daher nicht nur die Aufgabe, individuelle Konflikte zu lösen. Sie stärkt zugleich das Vertrauen in die Anwaltschaft und deren Selbstverwaltung – und damit auch in die rechtsstaatliche Ordnung. Die BRAK hat kürzlich gefordert, die Unabhängigkeit der Anwaltschaft im Grundgesetz zu verankern … Damit greift die BRAK ein wichtiges Anliegen auf: die Anwaltschaft besser vor politischen Einflüssen zu schützen. Das Grundgesetz wurde zuletzt durch Vorgaben zur Struktur des BVerfG gestärkt, um demokratiefeindlichen Angriffen zu begegnen. In diese Richtung geht auch die Forderung, die Unabhängigkeit der Anwaltschaft ausdrücklich zu verankern. Konkret schlägt die BRAK vor, in Art. 19 V GG ein Recht auf anwaltlichen Beistand aufzunehmen. Das begrüße ich ausdrücklich. Zugleich wäre es wünschenswert, wenn auch andere Staaten ähnliche Regelungen schaffen würden. Zurück zur Schlichtungsstelle: Was reizt Sie an Ihrer neuen Aufgabe? Ich mag schon den Begriff „Schlichtung“. Eine erfolgreiche Schlichtung bedeutet, dass ein Konflikt durch eine gütliche Einigung beendet wird – also durch Kooperation statt Konfrontation. Das finde ich besonders reizvoll. Schon in meiner Zeit als Zivilrichter habe ich Wert auf Vergleiche gelegt und empfand es immer als befriedigend, wenn ein Streit durch Einvernehmen gelöst wurde. Die Schlichtungsstelle bietet dafür den idealen Rahmen. Sehen Sie Vorteile gegenüber gerichtlicher Schlichtung oder Mediation? Mehrere. Für beide Seiten ist das Verfahren völlig kostenfrei. Es geht schneller und ist unbürokratischer als ein Gerichtsverfahren. Für die AnwaltAußenansicht der Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft

BRAK MAGAZIN 5/2025 5 schaft hat es den Vorteil, dass ein Konflikt mit der eigenen Mandantschaft nicht in einem öffentlichen Prozess ausgetragen werden muss, was dem Ansehen schaden könnte. Allein die Tatsache, dass die Anwaltschaft ein unparteiisches Verfahren mit einem unabhängigen Schlichter anbietet, stärkt ihr Ansehen. Gerade bei Honorarforderungen ist Schlichtung eine elegante Lösung – doch in der Anwaltschaft scheint das Wissen darüber noch nicht so verbreitet zu sein … Das sehe ich genauso. Deshalb ist es auch Teil meiner Aufgabe, die Schlichtungsstelle in der Anwaltschaft bekannter zu machen und die Vorteile deutlicher herauszustellen. Kommen die meisten Fälle aus dem Bereich Honorar oder eher aus Schadensersatzforderungen? Beides kommt vor. Im Tätigkeitsbericht für das Jahr 2024 haben wir erstmals festgestellt, dass Streitigkeiten, die (auch) Schadensersatzansprüche betreffen, Gegenstand in über der Hälfte aller Schlichtungsverfahren waren. Wichtig ist: Wir üben keinen Druck auf Anwältinnen oder Anwälte aus, auf Honorare zu verzichten. Unsere Schlichtungsvorschläge beruhen auf einer seriösen rechtlichen Prüfung. Wo es Spielräume gibt, suchen wir nach Kompromissen. Gibt es auch Fälle, in denen Sie die Honorarforderung in voller Höhe bestätigen? Und wie reagieren Mandantinnen und Mandanten darauf? Ja, das gibt es. Für viele ist es hilfreich, dass eine unabhängige Stelle prüft und bestätigt, dass die Forderung berechtigt ist. Anwältinnen und Anwälte wiederum können sicher sein, dass ihre Teilnahme am Verfahren nicht automatisch bedeutet, Honorar zu verlieren. Haben Sie aktuelle Zahlen zu den Entwicklungen? Die Zahlen steigen spürbar. Vor allem im Jahr 2025 sehen wir einen erheblichen Anstieg der Schlichtungsanträge. Wenn sich der Trend fortsetzt, könnte es bis Jahresende etwa 25 % mehr Verfahren geben als 2024. Woran liegt das? Möglich ist, dass digitale Technologien und auch KIbasierte Plattformen dazu beitragen, dass Ratsuchende schneller den Weg zur Schlichtungsstelle finden. Wir gehen der Frage im nächsten Tätigkeitsbericht nach. Positiv ist: Je mehr Anträge eingehen, desto deutlicher zeigt sich, dass unsere Arbeit angenommen wird. Gleichzeitig steigt aber auch die Arbeitsbelastung enorm. Dank des Einsatzes unserer Mitarbeitenden schaffen wir es dennoch, die Verfahren deutlich schneller abzuschließen als die Gerichte. Allein die Tatsache, dass die Anwaltschaft ein unparteiisches Verfahren mit einem unabhängigen Schlichter anbietet, stärkt ihr Ansehen. Die Schlichtungsstelle bietet seit einiger Zeit die Möglichkeit, Anträge digital einzureichen. Ist das ein relevanter Faktor? Das ist außerordentlich positiv zu bewerten. Die Schlichtungsstelle ist in der Digitalisierung sehr viel weiter als viele andere Institutionen in Deutschland. Ohne diesen Schritt wäre das Arbeitsaufkommen gar nicht mehr zu bewältigen. Natürlich führt die Digitalisierung auch dazu, dass die Akten dadurch „dicker“ werden – sofern man diesen Begriff im digitalen Zeitalter überhaupt noch verwenden mag: Die Parteien schildern umfangreichere Sachverhalte und reichen mehr Material ein. Aber insgesamt überwiegen die Vorteile: Die Verfahren werden beschleunigt und effizienter. Spielt auch der Kostenaspekt eine Rolle? Ja, eindeutig. Für die Mandantschaft wie für die Anwaltschaft ist das Verfahren kostenfrei, es gibt kein Kostenrisiko wie im Gerichtsverfahren. Gleichzeitig ermöglicht die Schlichtung eine endgültige Befriedung des Konflikts, ohne dass eine staatliche Entscheidung nötig wird. Damit bewegen Sie sich gegenläufig zum Trend in der Ziviljustiz – dort sinken die Eingangszahlen. Wie kommt das? Eine abschließende Erklärung haben wir noch nicht. Aber es spricht einiges dafür, dass die Vorteile der Schlichtung zunehmend ins Bewusstsein vor allem der Mandantinnen und Mandanten rücken. Das Verfahren ist kostenfrei, unbürokratisch, unparteiisch und bietet die Chance auf eine befriedende Lösung – und zwar in einem Rahmen, der von beiden Seiten besser akzeptiert wird als ein gerichtliches Urteil. Welche Rückmeldungen erhalten Sie von den Beteiligten – also sowohl aus der Anwaltschaft als auch von Mandantinnen und Mandanten? Es gibt sowohl positive als auch kritische Rückmeldungen. Naturgemäß äußern sich Unzufriedene eher als Zufriedene. Konstruktive Kritik greifen wir aber gerne auf und prüfen, ob wir Abläufe oder Prozesse verbessern können. In rund 8,5 % der Fälle verweigert eine Seite die Teilnahme. Wie gehen Sie mit solchen Fällen um? Zunächst einmal ist die Quote von 8,5 % erfreulich niedrig – das ist ein sehr gutes Ergebnis. In diesen

BRAK MAGAZIN 5/2025 6 Fällen versuchen wir, telefonisch und schriftlich nachzufassen, um doch noch eine Teilnahme zu erreichen. Das ist schwierig, wenn jemand bereits klar abgesagt hat, gelingt aber manchmal dennoch. Und wenn zwar beide Seiten teilnehmen, aber keine Einigung erzielt wird? Das kommt natürlich auch vor. In solchen Fällen bleibt die Schlichtung ergebnislos. Wir bemühen uns jedoch, die Gründe zu analysieren, und auch die Anwaltschaft stärker einzubeziehen, etwa durch Veranstaltungen auf regionaler oder nationaler Ebene, um die Akzeptanz der Schlichtung weiter zu erhöhen. Wer stellt mehr Schlichtungsanträge – Mandantinnen und Mandanten oder die Anwaltschaft? Der überwiegende Teil kommt von Mandantinnen und Mandanten. Aber auch von der Anwaltschaft steigen die Anträge, und das könnte sich in Zukunft noch verstärken. Haben Sie persönlich manchmal den Wunsch, selbst eine verbindliche Entscheidung zu treffen, gerade wenn die Lösung eigentlich klar auf der Hand liegt? Nein. Die Schlichtung beruht auf Freiwilligkeit und Selbstverantwortung. Wenn beide Parteien sich darauf einlassen und zu einer Lösung kommen, dann ist das völlig ausreichend. Ein Schlichtungsvorschlag überzeugt nur dann, wenn beide Seiten zustimmen. Und das ist für mich vorzugswürdig gegenüber jeder gerichtlichen Entscheidung. Wo sehen Sie das größte Entwicklungspotenzial für die Schlichtungsstelle? Entwicklungspotenzial im klassischen Sinn haben wir nicht, denn wir arbeiten auf der Grundlage klarer gesetzlicher Vorgaben. Aber die Zahlen zeigen, dass die Schlichtung immer stärker angenommen wird. Nach einem über Jahre relativ stabilen Niveau verzeichnen wir jetzt einen deutlichen Anstieg. 2025 liegen wir jetzt schon fast auf dem Niveau des gesamten Vorjahres – und es sind noch gut drei Monate übrig. Gibt es für Sie auch eine rechtspolitische Dimension Ihrer Arbeit als Schlichter? Natürlich geht es im Kern darum, einen konkreten Konflikt zwischen Anwältinnen und Anwälten und ihren Mandantinnen oder Mandanten zu befrieden. Aber das Ganze hat auch eine gesellschaftliche Dimension: Unser gesellschaftliches Klima wird rauer, Kompromissbereitschaft nimmt ab. Wenn eine Institution wie die Schlichtungsstelle dazu beiträgt, Streit zu vermeiden oder zu befrieden, ist das ein Gewinn für die Gesellschaft. In den letzten Jahren sind Anwältinnen und Anwälte, gerade in sozialen Medien, öfter in die Kritik geraten – etwa wenn sie unbeliebte Mandate übernehmen. Sehen Sie da einen Zusammenhang mit dem raueren gesellschaftlichen Klima? Unbedingt. Das ist eine neue und sehr bedenkliche Entwicklung. Sie macht auch vor der Richterschaft nicht halt und trifft ebenso Anwältinnen und Anwälte. Dabei greifen bestimmte Gruppen die Unabhängigkeit der Anwaltschaft an – und zwar gerade dann, wenn Anwälte im Interesse ihrer Mandanten handeln. Doch genau das ist ihr einziger Maßstab. Die Schlichtungsstelle ist Ausdruck der Selbstverwaltung der Anwaltschaft. Kritiker bemängeln, dass diese zu bürokratisch und schwerfällig sei. Was entgegnen Sie diesem Vorwurf? Kritik ist legitim, und jede Institution muss sich ihr stellen. Auch Anwaltskammern und die Bundesrechtsanwaltskammer sind soziale Systeme mit Beharrungstendenzen – das ist normal. Aber man darf die Alternative nicht vergessen: Ohne Selbstverwaltung gäbe es staatliche Fremdbestimmung. Das wäre sicher keine bessere Lösung. Natürlich gibt es das Imageproblem, dass Kammern als elitär oder als „closed shop“ wahrgenommen werden. Aber dem kann man kommunikativ begegnen. Wichtig ist, sich immer vor Augen zu halten, warum Selbstverwaltung existiert: Sie sichert die Unabhängigkeit der Anwaltschaft und trägt damit zur Stabilität des Rechtsstaats bei. Interview: Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer .publ., und Ass. jur. Anja Jönsson Prof. Dr. Bertram Schmitt war Richter u.a. am Internationalen Strafgerichtshof und am Bundesgerichtshof. Seit dem 1.5.2025 ist er Schlichter in der unabhängigen Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft. Foto: Kirsch

Der Lehrgang wird fortlaufend erweitert und aktualisiert Schwierigkeitsgrad: ♦ leicht ♦ mittel ♦ schwer ♦ Effektive Interaktion mit KI Nr. 26257084 Referent Alexander Schmalenberger, LL.B., Rechtsanwalt ♦ Praxis-Kickoff – Schnelle Erfolge im Kanzleialltag Nr. 26257085 Referent Alexander Schmalenberger, LL.B., Rechtsanwalt ♦ Rechtliche Rahmenbedingungen & Compliance (erster Überblick) Nr. 26257086 Referentin Wiebke Reuter, LL.M. (London), Rechtsanwältin ♦ KI-VO – Grundlagen, Geltungsbereich & Strukturen Nr. 26257087 Referent Fritz-Ulli Pieper, LL.M., Rechtsanwalt, Fachanwalt für Informations- und Technologierecht ♦ KI-VO – Hochrisiko-KI & Schnittstellen zu Produktsicherheit & Haftungsrecht Nr. 26257088 Referent Fritz-Ulli Pieper, LL.M., Rechtsanwalt, Fachanwalt für Informations- und Technologierecht Künstliche Intelligenz in der Rechtsberatung Modularer Lehrgang Selbststudium (Lehrvideo) Leitung: Alexander Schmalenberger, L L.B. Rechtsanwalt Beginn: jederzeit Zeitstunde: jeweils 1,0 Es gelten die auf der Homepage ausgewiesenen Kostenbeiträge. Buchung auf www.anwaltsinstitut.de KI generierte Abbildung

BRAK MAGAZIN 5/2025 8 WOHIN MIT MEINEM FREMDGELD? Aktuelle Entwicklungen, ein berufsrechtlicher Überblick und häufig gestellte Fragen zu Sammelanderkonten Rechtsanwältin Leonora Holling, Düsseldorf, Rechtsanwalt Christian Bluhm und Rechtsanwältin Julia von Seltmann, BRAK, Berlin* Über das Thema Umgang mit Fremdgeld und anwaltliche Sammelanderkonten ist in der letzten Zeit viel berichtet worden, zuletzt nach der BRAKHauptversammlung am 19.9.2025. Schon vor etwa dreieinhalb Jahren hatten einige Banken damit begonnen, plötzlich Sammelanderkonten von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten zu kündigen und auf die Einrichtung teurer Einzelanderkonten verwiesen. Der Grund: Änderungen in der Anwendung des Geldwäschegesetzes (GwG). Nicht einmal ein Jahr später folgte dann eine zweite Kündigungswelle. Dieses Mal aus steuerrechtlichen Gründen, weil nun auch Sammelanderkonten der Prüfung nach dem Common Reporting Standard (CRS) unterfallen sollten. Das Problem: Die Banken kennen die wirtschaftlich Berechtigten der einzelnen auf einem Sammelanderkonto befindlichen Transaktionen nicht. Kontoinhaber ist die Anwältin bzw. der Anwalt – und diese sind in Bezug auf ihre Mandate zur Verschwiegenheit verpflichtet. Ein erhöhter Prüfungsaufwand, ein erhebliches Haftungsrisiko und bußgeldbewehrte Pflichten für die Banken wären die Konsequenzen, mögliche Kündigungen aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen die Folge. Die BRAK hat daher Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt und mit allen Beteiligten und zuständigen Ministerien verhandelt, um ein Ende der Sammelanderkonten für die Anwaltschaft zu verhindern. Denn diese werden, da sind sich die Kammern und der Deutsche Anwaltverein einig, von vielen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten für die Bearbeitung ihrer Mandate gebraucht. Der Beitrag gibt einen kurzen Überblick über die aktuelle Lage und womit in Zukunft zu rechnen ist. SAMMELANDERKONTEN AUF EINMAL AUF DEM INDEX – WAS WAR PASSIERT? Anwaltliche Anderkonten seien – so die führenden Gremien für die Bekämpfung der Steuerhinterziehung und der Geldwäsche, Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und Financial Action Task Force (FATF) – potenziell gefährdet, von Kriminellen für Steuerhinterziehung und Geldwäsche unter dem Deckmantel der Verschwiegenheit ausgenutzt zu werden. Aus diesem Grund dürften die Banken zum einen als Verpflichtete nach dem GwG kein pauschal geringes Geldwäscherisiko für Sammelanderkonten mehr annehmen und nicht bloß vereinfachte Kundensorgfaltspflichten gem. § 14 GwG anwenden. Entsprechend passte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ihre Auslegungs- und Anwendungshinweise zum GwG für die Kreditwirtschaft an. Zum anderen bemängelte die OECD, dass die wirtschaftlich Berechtigten auf den anwaltlichen Sammelanderkonten nicht identifiziert werden würden und dass deshalb auch eine potenzielle, latente Gefahr für Steuerhinterziehung bestehe, weil über diese Konten und die dort getätigten Transaktionen keine Aufsicht durch die Rechtsanwaltskammern erfolge. Die Forderung der OECD: Entweder erfolgt eine ständige Aufsicht durch die Rechtsanwaltskammern über die Transaktionen ihrer Mitglieder oder die Banken müssen den Common Reporting Standard (CRS) anwenden. COMMON REPORTING STANDARD: OECD LEGT RECHTSANWALTSKAMMERN PRÜFPFLICHT AUF Damit Banken weiterhin Sammelanderkonten für Anwältinnen und Anwälte als Produkt anbieten können, ohne ab 2026 die umfangreichen Prüf- und Meldepflichten nach dem CRS erfüllen zu müssen, ist eine (erneute) Ausnahme von diesen Pflichten nötig. Der CRS ist ein von der OECD geschaffenes internationales Verfahren zum Austausch von Finanzkonteninformationen mit dem Ziel, grenzüberschreitende Sachverhalte aufzudecken und Steuerhinterziehung zu bekämpfen. Der CRS und die darin enthaltenen Prüf- und Meldepflichten für Ban- * Leonora Holling ist Schatzmeisterin der BRAK und Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf. Christian Bluhm ist Referent der BRAK für Geldwäscheprävention und Steuerrecht. Julia von Seltmann ist Geschäftsführerin der BRAK.

BRAK MAGAZIN 5/2025 9 ken und Konteninhaber sind im Gesetz zum automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen (FKAustG) geregelt. Demnach müssten Banken anwaltliche Sammelanderkonten eigentlich als meldepflichtig behandeln, d.h. sie müssten bestimmte Informationen an das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) übermitteln. Nach dem geänderten CRS/FATCA-Anwendungsschreiben des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) gehören anwaltliche Sammelanderkonten gem. § 19 I Nr. 34 lit. g FKAustG seit dem 15.6.2022 nicht mehr zu den vom Standard ausgenommenen Konten, sondern unterliegen den umfangreichen Prüf- und Meldepflichten durch die Banken. Eine erneute Ausnahme von der Prüfpflicht kann das BMF nur dann gewähren, wenn Deutschland die Vorgaben der OECD erfüllt. Das BMF hatte die Prüfpflicht für die Banken in den letzten Jahren noch durch einen Nichtbeanstandungserlass ausgesetzt und diesen zunächst jährlich – zuletzt bis Ende 2025 – verlängert. Eine erneute Verlängerung über das Jahr 2025 hinaus wird das BMF mit Blick auf die OECD-Anforderungen allerdings nur dann gewähren, wenn bis November 2025 ein konkretes Konzept zur Prüfung der Sammelanderkonten durch die Rechtsanwaltskammern vorliegt. Aus diesem Grund hat sich die BRAK vehement dafür eingesetzt, dieses Problem zu beheben und gemeinsam mit dem Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, dem BMF und dem Bankenverband eine Lösung zu finden, um die von den Banken ausgehende Kündigungswelle zu stoppen. WEICHENSTELLUNG FÜR ERHALT VON SAMMELANDERKONTEN: AUTOMATISIERTE PRÜFUNG Auf der BRAK-Hauptversammlung am 19.9.2025 hat sich die große Mehrheit der Rechtsanwaltskammern für ein zentrales elektronisches System zur automatisierten Prüfung der Transaktionen auf Fremdgeldkonten ausgesprochen. Bei dem diskutierten Modell sollen bestimmte Transaktionsdaten auf Sammelanderkonten von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten von einem elektronischen System über eine Schnittstelle der Banken abgerufen werden. Meldet das System eine Auffälligkeit, werden die Daten an die regional zuständige Rechtsanwaltskammer zur weiteren Prüfung übermittelt. In gemeinsamen Gesprächen hatte der Bankenverband zuvor signalisiert, dass eine solche technische Lösung umsetzbar sei. Die BRAK ist nun beauftragt, ein rechtlich-organisatorisches Konzept für ein solches zentrales System zu erarbeiten und die Kosten hierfür zu ermitteln, um eine erneute Verlängerung des Nichtbeanstandungserlasses zu erreichen. In dieser Frist soll das automatisierte Prüfsystem rechtlich und technisch umgesetzt werden. Die Zeichen für einen dauerhaften Erhalt der Sammelanderkonten sind positiv, der Weg bis zur konkreten Umsetzung aber noch langwierig und die rechtlichen, technischen und berufspolitischen Anforderungen herausfordernd. Ein Versprechen dafür, dass Sammelanderkonten nicht von einzelnen Banken und womöglich doch auch aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen heraus gekündigt werden, kann jedenfalls derzeit nicht gegeben werden. Foto: Pixabay

BRAK MAGAZIN 5/2025 10 HÄUFIGE FRAGEN UND (BERUFSRECHTLICHE) VERHALTENSEMPFEHLUNGEN Vor diesem Hintergrund fassen die Autor:innen die wichtigsten Fragestellungen im Umgang mit Fremdgeld zusammen, die sich bei der Kündigung eines Sammelanderkontos ergeben könnten. Was sind Fremdgelder? Unter „Fremdgeld“ i.S.d. § 43a VII BRAO, § 4 BORA versteht man Gelder, über die der Rechtsanwalt/die Rechtsanwältin zwar kraft seiner/ihrer Kontoinhaberschaft verfügen kann, die aber nicht in seinem/ ihrem wirtschaftlichen Eigentum stehen und nicht seinen/ihren eigenen Zwecken dienen, also dem Rechtsanwalt/der Rechtsanwältin materiell-rechtlich nicht„zustehen“. Wie gehe ich richtig mit Fremdgeldern um? Welche berufsrechtlichen Verpflichtungen habe ich? Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sind bei der Behandlung der ihnen anvertrauten Vermögenswerte zu der erforderlichen Sorgfalt verpflichtet (§ 43a VII 1 BRAO). Nähere Bestimmungen zum Umgang mit Fremdgeld sind § 4 BORA zu entnehmen: Fremdgelder und sonstige Vermögenswerte, insbesondere Wertpapiere und andere geldwerte Urkunden, sind unverzüglich an die Berechtigten weiterzuleiten (§ 4 I 1 BORA). Fremdgelder müssen nicht unverzüglich weitergeleitet werden, soweit etwas anderes mit dem Mandanten in Textform vereinbart ist (§ 4 I 8 BORA). Über Fremdgelder ist unverzüglich, spätestens mit Beendigung des Mandats, abzurechnen (§ 4 I 6 BORA). Sonstige Vermögenswerte sind gesondert zu verwahren (§ 4 I 7 BORA). Eigene Forderungen dürfen nicht mit Geldern verrechnet werden, die zweckgebunden zur Auszahlung an andere als die Mandantin oder den Mandanten bestimmt sind (§ 4 II BORA). Was mache ich, wenn ich kein Sammelanderkonto mehr habe und wenn meine Bank mir keines mehr zur Verfügung stellt? Solange eine unverzügliche Weiterleitung an die Berechtigten nicht möglich ist, sind Fremdgelder grundsätzlich auf Anderkonten zu verwalten. Dies sind in der Regel Einzelanderkonten (§ 4 I 2 BORA). Dies gilt nicht, soweit etwas anderes in Textform mit dem Mandanten vereinbart ist (§ 4 I 8 BORA). Darf ich über mein Geschäftskonto Fremdgelder entgegennehmen und weiterleiten bzw. verwalten? Solange Fremdgelder unverzüglich weitergeleitet werden (§ 4 I 1 BORA), dürfen diese auch über Geschäftskonten laufen. Fremdgelder dürften aber nur dann über Geschäftskonten„verwaltet“ werden (d.h. über einen längeren Zeitraum), wenn der Mandant diesem zustimmt und dies in Textform vereinbart wird (§ 4 I 8 BORA). Dem könnten aber die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) der Banken entgegenstehen, die für Geschäftskonten einen bestimmten/anderen Verwendungszweck vorschreiben. Die zweckwidrige Nutzung eines Geschäftskontos kann grundsätzlich zu einer Kündigung durch die Bank führen. Die Bank könnte verlangen, dass für jeden einzelnen wirtschaftlich Berechtigten kostenpflichtige Einzelanderkonten eingerichtet werden. Muss ich Fragen meiner Bank zu den wirtschaftlich Berechtigten und zu der Herkunft des Geldes auf meinem Geschäftskonto beantworten? Banken haben einerseits als Verpflichtete nach dem GwG präventive Sorgfaltspflichten zur Verhinderung von Geldwäsche zu erfüllen (§ 2 I Nr. 1 GwG) und andererseits steuerliche Prüfpflichten nach dem FKAustG sowie nach dem Kreditwesengesetz (KWG). Gem. § 24c KWG müssen Kreditinstitute grundsätzlich Informationen über die wirtschaftlich Berechtigten von Konten vorhalten. Nach den Auslegungs- und Anwendungshinweisen der BaFin zum GwG für Kreditinstitute (AuA) müssen die Banken zur Erfüllung ihrer Kundensorgfaltspflichten Informationen zu den wirtschaftlich Berechtigten ihrer Kunden einholen (§§ 10 ff. GwG). Da auch Sammelanderkonten seit dem Jahr 2021 nach den AuA der BaFin nicht mehr pauschal den vereinfachten Sorgfaltspflichten gem. § 14 GwG unterliegen, müssen die Banken grundsätzlich regelmäßig ihre anwaltlichen Kunden auffordern, Informationen zu denjenigen Mandanten, zu deren Gunsten die Konten unterhalten werden (= wirtschaftlich Berechtigte der Kundenbeziehung zwischen Rechtsanwalt und Bank), zu übermitteln. Dies geschieht häufig dadurch, dass die Bank die Konteninhaber dazu auffordert, Listen mit den Namen aller wirtschaftlich Berechtigten zu übersenden (siehe AuA der BaFin zum GwG, Besonderer Teil für Kreditinstitute, Ziffer 7.2.1). Ob die Erfüllung der Pflicht der Anwältin/des Anwalts gegenüber ihrer/seiner Bank, zu Mandanten, zu den wirtschaftlich Berechtigten (§ 10 I Nr. 2 GwG) und zur Herkunft von Vermögenswerten (vgl. § 10 I Nr. 5 lit. b) GwG) Auskunft zu erteilen und die zur Identifizierung erforderlichen Informationen und auch Unterlagen zur Verfügung zu stellen (§ 11 VI GwG), eine Verletzung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht darstellt, muss in jedem Einzelfall geprüft werden. Es empfiehlt sich, die Mandanten auf die Offenlegungspflicht explizit hinzuweisen und deren Einwilligung einzuholen.

BEA – DAS BESONDERE ELEKTRONISCHE ANWALTSPOSTFACH Bye bye, cyberJack Secoder! Warum Sie nur mit einem aktuellen Kartenlesegerät Ihr beA weiter nutzen können Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ., BRAK, Berlin Die Sicherheitstechnik entwickelt sich ständig weiter – und macht auch vor Kartenlesegeräten nicht Halt. Weil aktuelle Sicherheitsanforderungen darauf nicht mehr abbildbar sind, wird ab Ende 2025 ein in vielen Kanzleien eingesetzter Kartenleser vom beA-System nicht mehr unterstützt. Wie Sie erkennen, ob Ihr Gerät betroffen ist, und was zu tun ist, damit Sie weiterhin Ihr beA nutzen können, erläutert dieser Beitrag. Voraussichtlich ab Ende November 2025 wird die im besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) zur Ansteuerung der Kartenlesegeräte eingesetzte Standardsoftware das Kartenlesegerät cyberJack secoder der Firma REINER SCT nicht mehr unterstützen. Das Gerät kann dann für das Arbeiten im beA nicht mehr genutzt werden. Grund für die Abkündigung ist, dass die Firma REINER SCT bereits vor einiger Zeit den Support für dieses Gerät eingestellt hat. Es wurde in der Einführungsphase des beA zwischen 2015 und 2017 hergestellt, seine Nutzung ist unter Anwältinnen und Anwälten relativ weit verbreitet. Die neuesten Sicherheitsanforderungen lassen sich darauf jedoch nicht mehr abbilden. Dies trifft auch auf weitere ältere Kartenlesegeräte zu, die ebenfalls vom Hersteller abgekündigt wurden. Ist mein Kartenleser betroffen? Sollten Sie einen Kartenleser der Firma Reiner nutzen, können Sie in der Regel am Typenschild auf der Rückseite erkennen, um welches Gerät es sich handelt. Zudem wird der Modellname auch im Display des Kartenlesers angezeigt, wenn er am Rechner angeschlossen wird. Aber Obacht: „Secoder“ ist kein eindeutiger Modellname, sondern bezeichnet die im Gerät eingesetzte Software. Diese wird auch in aktuellen und weiterhin mit dem beA funktionierenden Kartenlesern genutzt, die deshalb ebenfalls „Secoder“ als Teil ihres Modellnamens haben können. Das Datenblatt des Geräts enthält eine ausführliche Beschreibung. Weitere Erläuterungen, wie Sie erkennen können, welches Kartenlesegerät Sie im Einsatz haben, finden Sie im beA-Anwenderhandbuch. Ist der cyberJack Secoder jetzt noch nutzbar? Zum aktuellen Zeitpunkt ist der cyberJack Secoder noch mit dem beA verwendbar. Der Hersteller stellt auch noch Aktualisierungen der Treibersoftware zur Verfügung. Aber eben nur noch bis Ende November – daher müssen Sie handeln! Welche Möglichkeiten gibt es? Um Einschränkungen beim Zugriff auf Ihr beA zu vermeiden, tauschen Sie Ihr abgekündigtes Kartenlesegerät bitte frühzeitig gegen ein aktuelles Gerät aus. Im beA-Anwenderhandbuch sind alle unterstützten Geräte aufgelistet. Sie können darüber hinaus auch ein Softwarezertifikat bei der Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer bestellen, über das Sie auch ohne Verwendung eines Kartenlesegeräts auf das beA-System und die mobile beA-App zugreifen können. Bitte beachten Sie aber, dass für einige Aktivitäten – z.B. die Erstregistrierung oder die Vergabe von Berechtigungen – die Anmeldung mittels einer beA-Karte erforderlich ist. Das Softwarezertifikat reicht hierzu nicht aus. Sie brauchen Unterstützung? • Alle unterstützten Kartenlesegeräte finden Sie im beA-Anwenderhandbuch. • Bezugsquellen für Kartenlesegeräte sind neben den Websites der Hersteller solcher Geräte auch OnlineMarktplätze, der Elektronikfachhandel sowie die Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer. • Möchten Sie speziell Geräte der Firma Reiner SCT weiterbenutzen, finden Sie diese auf der Website desHerstellers sowie ergänzende Informationen dazu in dessen Supportportal. • Bei Fragen zum beA wenden Sie sich per E-Mail (servicedesk@beasupport.de) oder telefonisch (030 21787017) an den beA-Anwendersupport.

BRAK MAGAZIN 5/2025 12 BRAK BAUT PARTNERSCHAFT MIT INDIEN AUS Rechtsanwältin Swetlana Schaworonkowa, LL.M. BRAK, Berlin Auf Einladung der Bar Association of India (BAI) reisten BRAK-Vizepräsident André Haug und Referentin Swetlana Schaworonkowa nach Neu-Delhi. Ziel der Reise war die Teilnahme an der 2. New Delhi Rule of Law Convention sowie der Ausbau bilateraler Kontakte zu indischen Partnerorganisationen vor Ort. Damit setzte die BRAK ihre Strategie fort, die internationale Vernetzung der deutschen Anwaltschaft auszuweiten und die Bedeutung des Berufsstands im globalen Rechtsdialog weiter zu stärken. AUSBAU DER PARTNERSCHAFT MIT DER BAR ASSOCIATION OF INDIA Deutschlands Partnerschaften im Indo-Pazifik zu diversifizieren, ist eines der zentralen Ziele deutscher Politik. Die Beziehungen zur aufstrebenden Wirtschaftsmacht Indien haben in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Diese Diversifizierung soll zum einen die wirtschaftliche Abhängigkeit von China reduzieren, zum anderen – im Kontext systemischer Rivalität mit autoritären Staaten – eine Kooperation mit solchen Staaten herbeiführen, mit denen Deutschland gemeinsame Werte teilt: mit so genannten Wertepartnern. Auch die BRAK möchte ihre Beziehungen zu Indien weiter ausbauen. In den vergangenen Jahren haben sich die Beziehungen der BRAK zur BAI immer weiter vertieft. Die BAI ist die wichtigste freiwillige Organisation der Anwaltschaft des Landes und ein Zusammenschluss von Anwaltskammern, einschließlich der Bezirksanwaltskammern, der Anwaltskammern der obersten Gerichte und der Anwaltskammer des Obersten Gerichtshofs. Sie wurde 1959 gegründet und der Verband vertritt den indischen Rechtsberuf in allen wichtigen internationalen Organisationen, darunter in der International Bar Association, der Union Internationale des Avocats (UIA) und in der Law Association for Asia and the Pacific (LAWASIA). Vertreter der BAI wurden vor allem in der LAWASIA in verschiedene Ämter gewählt und mit dem Engagement der BRAK in der LAWASIA begann auch eine erste Kooperation mit der BAI. Diese hat sich in den vergangenen Jahren äußerst positiv entwickelt, und im April 2025 unterzeichneten BRAK und BAI im Rahmen des 6. Internationalen Anwaltsforums ein Memorandum of Understanding (MoU), um die Kooperation zu ehren, aber auch weiter auszubauen. BILATERALE TREFFEN MIT PARTNERORGANISATIONEN VOR ORT Die Reise nach Neu-Delhi diente nun dazu, den Dialog über Rechtsstaatlichkeit, anwaltliche Rechte und internationale Kooperationen zu vertiefen und die in diesem MoU angelegten Kontakte mit Leben zu füllen. Erste Station war ein Besuch im Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in Neu-Delhi. Dort standen die Themen Rechtsstaatlichkeit und Kooperationsmöglichkeiten im Mittelpunkt. In einem ersten Kennenlerngespräch wurden Schnittmengen identifiziert, die eine künftige Zusammenarbeit in verschiedenen Projekten ermöglichen. Gerade im Bereich der Rechtsstaatlichkeitsförderung könnten die BRAK und die KAS in Indien künftig enger kooperieren. Beim anschließenden Treffen mit dem Chargé d’Affaires der Deutschen Botschaft, Georg Enzweiler, erhielten die Delegierten Einblicke in die aktuellen deutsch-indischen Beziehungen, insbesondere zu Wirtschaftsfragen und geopolitischen Entwicklungen. Für die anwaltliche Praxis waren dabei die wirtschaftliche Bedeutung Indiens für deutsche Unternehmen, die rechtlichen Rahmenbedingungen für Investitionen sowie die außenpolitische Rolle Indiens im Verhältnis zu China und Russland von besonderem Interesse. Ergänzend wurde auch der Kontakt zur IndoGerman Association for Legal Cooperation (IGAL) geUnterzeichnung des Memorandum of Understanding im April 2025

BRAK MAGAZIN 5/2025 13 knüpft. Die 2017 gegründete Organisation vernetzt Jurist:innen, politische Entscheidungsträger:innen sowie Wirtschaftsvertreter:innen, um den Austausch zu Rechtskultur, Investitionsmöglichkeiten und Streitbeilegung zu fördern. Im Gespräch mit dem Co-Vorsitzenden Nalin Kolhi wurde eine künftige Kooperation zwischen BRAK und IGAL ins Auge gefasst. 2. NEW DELHI RULE OF LAW CONVENTION Am 30. und 31.8.2025 fand im India Habitat Centre in Neu-Delhi die 2. Internationale Rechtsstaatskonferenz der BAI statt. Über 33 Jurisdiktionen waren vertreten, darunter Anwaltsorganisationen aus Afrika, den Arabischen Emiraten, Brasilien, Russland, Frankreich und Ost- sowie Südostasien. Das Tagungsthema lautete „Global Economic Governance and Principles of the Rule of Law“. In Plenar- und Arbeitsgruppensitzungen wurden zentrale Fragen diskutiert wie die indische Rechtsstaatstradition, internationale wirtschaftliche Gerechtigkeit, Anti-Geldwäsche-Regelungen, digitale Governance, Schuldenkrisen, kommerzielle Streitbeilegung sowie Klima- und Finanzgerechtigkeit. Die Konferenz gab damit einen umfassenden Überblick über viele aktuelle Herausforderungen der internationalen Rechtsordnung. GROSSES INTERESSE AN DER EUROPARATSKONVENTION BRAK-Vizepräsident André Haug stellte in der Plenarsitzung die Europaratskonvention zum Schutz des Anwaltsberufs vor. Der Europarat hat die Konvention im März verabschiedet und im Mai 2025 zur Unterzeichnung bereitgestellt. Ziel der Konvention ist der Schutz von Anwältinnen und Anwälten vor Bedrohungen, Einschüchterungen und unzulässigen Eingriffen in ihre Berufsausübung. Die Vertragsstaaten werden verpflichtet, effektive Maßnahmen zu ergreifen, um die freie und unabhängige Ausübung des Anwaltsberufs zu sichern, die Vertraulichkeit zu gewährleisten und die Unabhängigkeit der Anwaltskammern zu schützen. Sie wurde bereits von 18 Staaten unterzeichnet. Der Beitrag von BRAK-Vizepräsident André Haug stieß auf großes Interesse, da die Themen unabhängige Berufsausübung der Anwaltschaft wie auch leider Angriffe auf die Anwaltschaft weltweit und damit auch in Asien von wachsender Relevanz sind. Die Konferenz endete mit einem gemeinsamen Statement, das die Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit, fairer Governance und globaler wirtschaftlicher Verantwortung hervorhebt. Dieses Dokument dient als Grundlage für die künftige Zusammenarbeit zwischen der BAI und ihren internationalen Partnern, zu denen auch die BRAK zählt. FAZIT Die Delegationsreise nach Indien war ein wichtiger Schritt zur Intensivierung des internationalen Austauschs der BRAK. Die Teilnahme an der 2. New Delhi Rule of Law Convention stärkt die bilateralen Beziehungen zur BAI, eröffnete neue Kooperationsmöglichkeiten und setzte ein klares Signal für die gemeinsame Verteidigung anwaltlicher Rechte im internationalen Kontext. Allerdings ist es wichtig, die Entwicklungen der aufstrebenden Wirtschaftsmacht genau zu beobachten. Indien identifiziert sich klar als Land des globalen Südens und pflegt gute Beziehungen zu den westlichen Ländern, aber auch zu Russland. Auch die durch Grenzkonflikte belasteten Beziehungen zu China scheinen sich derzeit stark zu verändern. Fraglich ist, ob Indien dieser Spagat gelingen wird, zumal sich auch die Kritik an der derzeitigen indischen Regierung häuft. Aktuell jedoch sollen die geknüpften Kontakte durch gemeinsame Workshops, Studienreisen und Projekte weiter vertieft werden. Konkret geplant ist eine Gemeinschaftsveranstaltung mit der BAI und der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) im indischen Chennai zum Thema Schiedsgerichtsbarkeit. Damit soll nicht nur die internationale Vernetzung der Anwaltschaft gestärkt, sondern auch die Position der BRAK als verlässliche Partnerin im globalen Rechtsstaatsdiskurs gefestigt werden. Für die deutsche Anwaltschaft eröffnet sich damit die Chance, ihre Stimme in internationalen Debatten deutlicher hörbar zu machen und den Schutz anwaltlicher Unabhängigkeit auch jenseits der europäischen Grenzen aktiv mitzugestalten. BRAK-Vizepräsident André Haug im August 2025 bei der 2nd Neu Dehli Rule of Law Convention

BRAK MAGAZIN 5/2025 14 10 FRAGEN ZUM SCHIEDSGUTACHTEN Prof. Dr. Reinhard Greger, Richter am BGH a.D., Univ.-Prof. i.R., Ebermannstadt Als eine Art „Zwischending“ zwischen Privatgutachten und gerichtlichem Gutachten können Schiedsgutachten – feststellend oder leistungsbestimmend, bindend oder nicht – auf unterschiedliche Weise zur Konfliktlösung beitragen. Das Instrument kann sowohl für die außergerichtliche wie auch für die gerichtliche Streitbeilegung nutzbar gemacht werden. Im Folgenden wird es vorgestellt. 1. WAS IST EIN SCHIEDSGUTACHTEN? Kennzeichnend ist, dass die Konfliktparteien gemeinsam eine sachkundige Person (oder mehrere) damit beauftragen, eine zwischen ihnen streitige Frage zu entscheiden. Vom Privatgutachten unterscheidet es sich durch die gemeinsame Beauftragung, vom Gerichtsgutachten dadurch, dass der Sachverständige nicht vom Gericht, sondern durch Vertrag mit den Parteien bestellt wird. Der Unterschied zur Schiedsgerichtsabrede besteht darin, dass der Gutachter keine vollstreckbare Entscheidung über den streitigen Anspruch treffen, sondern nur über eine rechtliche oder tatsächliche Vorfrage entscheiden soll. 2. WELCHE GESTALTUNGSMÖGLICHKEITEN GIBT ES? Die Parteien können den Gutachter mit einer gestaltenden Entscheidung beauftragen, z.B. mit der Bestimmung der angemessenen Höhe eines Anspruchs (§ 317 BGB). Sie können ihm aber auch die Feststellung eines tatsächlichen oder rechtlichen Umstands übertragen (laut Rechtsprechung nach § 317 BGB analog). Die Parteien können vereinbaren, welche Bindungswirkung das Votum haben soll. Üblicherweise verpflichten sie sich, die Entscheidung des Gutachters als verbindlich zu behandeln, denn nur dadurch wird der Streit endgültig ausgeräumt. Die Parteien können aber auch eine bedingte, vorläufige, einseitige Bindungswirkung oder gänzlich fehlende Verbindlichkeit vereinbaren. Im letzteren Fall spricht man von Expertenvotum (expert opinion), bei vorläufiger Bindungswirkung von Adjudikation. 3. WORIN LIEGT SEINE BEDEUTUNG FÜR DIE AUSSERGERICHTLICHE STREITBEILEGUNG? Nicht selten scheitert eine Einigung daran, dass die Parteien über eine für sie wichtige Tatsachen- oder Rechtsfrage keinen Konsens erzielen können. In solchen Fällen kann das feststellende Schiedsgutachten Verhandlungsblockaden auflösen und zu einer Lösung im Wege von Verhandlungen oder eines Verfahrens der außergerichtlichen Streitbeilegung beitragen. Dies kann auch im Verlauf eines solchen Verfahrens geschehen, etwa wenn im Rahmen einer Mediation eine interessengerechte Lösung daran scheitert, dass die Parteien über einen für sie wesentlichen Umstand unvereinbare Ansichten vertreten, z.B. über den Wert eines Grundstücks, über die Vertragsgemäßheit eine Leistung, über die Durchsetzbarkeit einer Forderung vor einem ausländischen Gericht. Auch das rechtlich nicht bindende Expertenvotum kann eine Einigung befördern. Als Einschätzung eines neutralen, sachkundigen Dritten bietet es eine wertvolle Orientierungshilfe und kann faktische Bindungswirkung entfalten. Ein leistungsbestimmendes Schiedsgutachten kann hilfreich sein, wenn die Parteien sich im Verhandlungswege oder in einem außergerichtlichen Streitbeilegungsverfahren dem Grunde nach geeinigt haben, aber über die angemessene Höhe eines zugestandenen Anspruchs im Unklaren bzw. unterschiedlicher Ansicht sind. In diesem Fall können sie sich darauf verständigen, dass ein Dritter (etwa der bisherige Schlichter oder Mediator) eine Leistungsbestimmung nach § 317 BGB trifft. Dafür können sie ihm auch einen bestimmten Rahmen vorgeben (high/low arbitration) oder vereinbaren, dass der Betrag gelten soll, der am nächsten an ihren (verdeckt niedergelegten) letzten Angeboten liegt (last offer arbitration). Foto: Designed by rawpixel.com / Freepik

BRAK MAGAZIN 5/2025 15 4. WIE VERHÄLT ES SICH ZUM GERICHTS- ODER SCHIEDSGERICHTSVERFAHREN? Wenn die Parteien vereinbart haben, dass das Schiedsgutachten bindend sein soll, kann die mit ihm getroffene Tatsachenfeststellung in einem etwa folgenden Zivilprozess oder Schiedsverfahren nicht mehr bestritten werden. An rechtliche Feststellungen des Schiedsgutachters ist das Gericht jedoch nicht gebunden (iura novit curia). Die in einem gestaltenden Schiedsgutachten bestimmte Leistung kann nötigenfalls eingeklagt werden. Die Bindungswirkung entfällt allerdings, wenn die Leistungsbestimmung offenbar unbillig ist (§ 319 I 1 BGB). Auf die offenbare Unrichtigkeit eines feststellenden Schiedsgutachtens wendet die Rechtsprechung diese Vorschrift analog an. Wird das Gutachten auf diese Weise angegriffen, muss das Gericht prüfen, ob eine offenbare Unbilligkeit bzw. Unrichtigkeit tatsächlich vorliegt und ggf. die ersetzende Entscheidung treffen. Da dies zu neuem Streit führt, kann es sich empfehlen, die Vorschrift in der Schiedsgutachtenabrede abzubedingen. 5. WOFÜR EIGNET SICH DAS SCHIEDSGUTACHTEN? Zur Ausräumung aller Meinungsverschiedenheiten über Tatsachen-, Rechts- oder Billigkeitsfragen, zu denen ein neutraler Sachkundiger eine objektive Beurteilung liefern kann. Im Gerichtsverfahren kann es zur Vermeidung des unter Umständen beschwerlichen und aufwändigen Sachverständigenbeweises genutzt werden. 6. WELCHE VORTEILE BIETET ES? Durch die gemeinsame Einschaltung einer sachkundigen Autorität räumen die Parteien einen Streitpunkt aus, behalten im Übrigen aber die Autonomie über die Lösung ihres Konflikts. Während Privatgutachten oft zur Zementierung von Positionen führen, Gerichtsgutachten häufig (bei mindestens einer Partei) keine Akzeptanz finden, entschärft das Schiedsgutachten die Gegensätzlichkeit. Die Auswahl des Sachverständigen und die Bestimmung der Modalitäten der Begutachtung liegen in den Händen der Parteien. Sie können z.B. auch vereinbaren, dass ein paritätisch besetztes Gutachtergremium entscheiden soll. Zudem bietet das Verfahren Vertraulichkeit. Anders als das Gerichtsgutachten wird das Schiedsgutachten nicht in öffentlicher Verhandlung erstattet; es kann auch vereinbart werden, dass der Schiedsgutachter nicht als Zeuge benannt werden darf. 7. WIE WIRD DAS VERFAHREN EINGELEITET? Die Parteien vereinbaren die Einholung eines Schiedsgutachtens und verständigen sich über die Modalitäten (z.B. Bindungswirkung, Befristung, Auswahl des Gutachters, evtl. Unterstützungsmaßnahmen, Kostentragung, Ruhen eines schon anhängigen Rechtsstreits). Sodann schließen sie mit dem bzw. den Sachverständigen einen Schiedsgutachtervertrag. 8. WIE WIRKT SICH DIE ABREDE AUF VERJÄHRUNGSFRISTEN AUS? Die Schiedsgutachtenabrede begründet ein vorübergehendes Leistungsverweigerungsrecht und hemmt damit nach § 205 BGB die Verjährung. Ab Beginn des Begutachtungsverfahrens tritt zudem Hemmung nach § 204 I Nr. 8 BGB ein. 9. IST DIE ABREDE DURCHSETZBAR? Verweigert eine Partei die Durchführung des vereinbarten Schiedsgutachtenverfahrens (z.B. indem sie nicht am Vertragsschluss mit dem Gutachter mitwirkt, den Vorschuss auf dessen Vergütung nicht bezahlt oder eine notwendige Untersuchungsmaßnahme des Gutachters verhindert), kann die andere sogleich auf die vom Gutachter zu bestimmende Leistung klagen; die Bestimmung erfolgt dann durch das Gericht (entspr. §§ 315 III 2 Hs. 2, 319 I 2 BGB). Auch beim feststellenden Schiedsgutachten entfällt in diesem Fall die Stillhaltepflicht und kann Klage erhoben werden. Erhebt eine Partei entgegen der Schiedsgutachtenabrede sogleich Klage, wird diese auf entsprechenden Einwand als zurzeit unbegründet abgewiesen. 10. WELCHE KOSTEN ENTSTEHEN? Die Vergütung des Sachverständigen ist von den Parteien gemeinsam zu tragen. Sie kann frei ausgehandelt werden; die Vorschriften des JVEG gelten nicht. Der Gutachter kann dadurch zwar höhere Sätze aushandeln; so können jedoch auch besonders qualifizierte Gutachter gewonnen werden, die nicht bereit wären, zu den Stundensätzen des JVEG zu arbeiten. Im Endeffekt können die Kosten zudem geringer sein, weil der Schiedsgutachter weniger Zeit benötigt. Anders als der Gerichtsgutachter muss er nicht dem Richter die zur Urteilsbildung erforderliche Sachkunde vermitteln, sondern sein Gutachten nur kurz begründen. Zudem entfällt der beim Sachverständigenbeweis oftmals entstehende Aufwand für mündliche Anhörungen, Ergänzungs- oder Obergutachten. Der Beitrag ist der letzte Teil der Serie „10 Fragen zur außergerichtlichen Streitbeilegung“, die wichtige Streitbeilegungsmethoden vorstellt. Die gesamte Serie erscheint in Kürze als Broschüre.

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0