DEZEMBER 2025 · AUSGABE 6/2025 AUF GUTE ZUSAMMENARBEIT! DER PARLAMENTARISCHE ABEND DER BRAK Rechtsanwaltsfachangestellte: ein neuer Ehrentag Anwaltschaft in Moldau: Internationale Solidarität wirkt Geldwäscheprävention: künftig bessere Verdachtsmeldungen? Foto: Nils Roth/BRAK
Mit Kommentierungen zum Data Act! Neuauflage! Was braucht es mehr als die gesamten Kommentierungen der IT-rechtsrelevanten europäischen und nationalen Vorschriften sowie der wichtigsten Lizenzen für Open Source-Software in einem Band? Lediglich die Sicherheit, die das Werk mit allen Neuerungen der 2. Auflage liefert: Neu aufgenommen wurden Kommentierungen zum Data Act, zum Digital Markets Act, zum digitalen Vertragsrecht, zum Verbrauchsgüterkauf, zu § 19a GWB, zum Text und Data Mining (§ 44b UrhG) und zu weiteren Open SourceLizenzen wie AGPLv2, CC, EUPL, MPLv2 und SSPL. Verfasst von erfahrenen IT-Rechts-Expertinnen und -Experten, die wissen, worauf es in der Praxis ankommt. „Das Werk ist ein Glücksfall für das IT-Recht… Der Kommentar versteht sich dabei nicht nur als Spiegel der jeweiligen herrschenden Meinung, sondern enthält auch sachkundige pointierte Plädoyers für andere Ansichten.“ FAIT-Recht Prof. Dr. Peter Bräutigam in NJW 2021, 1371. Schuster/Grützmacher IT-Recht Kommentar EU-Recht – Nationales Recht – Besondere Vertragsbedingungen Herausgegeben von RA/FAIT-Recht Prof. Dr. Fabian Schuster und RA/FAIT-Recht Prof. Dr. Malte Grützmacher, LL.M. Bearbeitet von herausragenden Experten aus der Praxis. 2. neu bearbeitete und erweiterte Auflage 2026, 2.762 Seiten, gbd., 249 €. ISBN 978-3-504-56109-3. Das Werk online otto-schmidt.de/bmitr juris.de/itr Answers ohne Tageslimit otto-schmidt.de/answers IT-Kompetenz in konzentrierter Form Informationen und Bestellung: otto-schmidt.de
IMPRESSUM Bundesrechtsanwaltskammer – Körperschaft des öffentlichen Rechts, Littenstraße 9, 10179 Berlin Redaktion: Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ. (verantwortlich) Verlag: Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln (ausführliches Impressum unter www.brak.de/zeitschriften) EDITORIAL TAG DER KANZLEIHELD:INNEN – RECHT.SCHLAU.GENAU. Besser spät als nie! Rechtsanwältin Sabine Fuhrmann, Vizepräsidentin der BRAK und Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Sachsen Die Jahr für Jahr sinkenden Ausbildungszahlen hätten uns längst zu der Frage führen müssen: Warum gibt es keinen bundesweiten Ehrentag für unsere Kanzleimitarbeiterinnen und -mitarbeiter? Aber besser spät als nie! Mit großer Freude kann ich berichten, dass der RENO-Bundesverband, das Forum Deutscher Rechts- und Notarfachwirte, die Bundesnotarkammer, der Deutsche Anwaltverein und die Bundesrechtsanwaltskammer gemeinsam den „Tag der Kanzleiheld:innen – Recht.Schlau.Genau.“ initiiert haben. Die überwältigende Resonanz auf unseren Aufruf, Namensvorschläge einzureichen, hat uns in dieser Idee bestärkt. Es gab unzählige kreative und humorvolle Vorschläge – herzlichen Dank dafür! Von nun an steht an jedem zweiten Mittwoch im November der „Tag der Kanzleiheld:innen – Recht.Schlau. Genau.“ als fester Termin im Kalender. Am 12.11. dieses Jahres fanden bereits in vielen Kanzleien und Berufsschulen erste Aktionen statt. Dabei genügen kleine Gesten, die viel bewirken: ein gemeinsames Frühstück, eine duftende Rose auf dem Schreibtisch oder einfach ein herzliches Dankeschön. Um dem Tag ein visuelles Gesicht zu geben, hat uns die Rechtsfachwirtin Ilka Fleßner ein Logo entworfen. Zudem wurde am 12.11. die ebenfalls ehrenamtlich gestaltete Website www.kanzlei heldinnen.de freigeschaltet, auf der Ideen zum Mitmachen vorgestellt und Informationen gesammelt werden. Ein großes Dankeschön an alle tatkräftigen Unterstützerinnen und Unterstützer! Einmal im Jahr soll nun die Tätigkeit unserer Fachkräfte in Kanzleien und Notariaten besonders sichtbar gemacht werden. Die Ausbildungsberufe Rechtsanwaltsfachangestellte, Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte und Notarfachangestellte müssen wieder verstärkt ins Bewusstsein junger Menschen rücken. Durch eine Vielfalt lokaler und digitaler Initiativen können unsere juristischen Berufe greifbarer und attraktiver werden. Wir wollen erreichen, dass dieser Ehrentag mit Veranstaltungen, Social-Media-Kampagnen, Veröffentlichungen, Willkommensgrüßen für neue Auszubildende und Aktionen in Kanzleien und Berufsschulen begangen wird. Diese Aktivitäten dienen nicht nur der Anerkennung unserer Fachkräfte, sondern stellen auch die Ausbildung als attraktiv dar und zeigen Karrierepfade auf. Die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, Dr. Stefanie Hubig, hat dankenswerterweise die Schirmherrschaft für den„Tag der Kanzleiheld:innen“ übernommen. Damit signalisiert sie die gesellschaftliche Relevanz dieser Berufe und erhöht deren öffentliche Wahrnehmung. Zugleich setzt die Schirmherrschaft ein starkes Zeichen der Wertschätzung für all unsere Kanzleiheld:innen. In ihrem Grußwort heißt es: „Ohne Sie kämen keine Termine zustande, niemand hätte die Fristen auf dem Schirm und vor allem: Niemand würde Rechnungen stellen – weil nur Sie das können. … Gerade jetzt, da unser Rechtsstaat unter Druck steht, brauchen wir Menschen, die dazu beitragen, ihn zu bewahren und zu stärken. Sie arbeiten im Hintergrund, kompetent und zuverlässig. Und so stärken Sie den Rechtsstaat, liebe Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte, Tag für Tag.“ Gemeinsam gilt es, Justiz und Rechtsstaat zu stärken und zukunftsfest zu machen. Der Tag bietet die ideale Plattform, um die Ausbildungsberufe sichtbar zu machen, das gesellschaftliche Bewusstsein für juristische Fachkräfte zu erhöhen, attraktive Karrierewege vorzustellen und unseren Kanzleiheld:innen Wertschätzung entgegenzubringen. Jetzt liegt es an uns, diesen Tag mit Leben zu füllen. Lassen Sie uns gemeinsam diesen Ehrentag jedes Jahr zu einem besonderen Tag machen – und unterstützen Sie uns dabei, ihn in der Öffentlichkeit bekannter zu machen! Bitte merken Sie sich schon heute vor: Den zweiten „Tag der Kanzleiheld:innen. Recht.Schlau.Genau.“ feiern wir am 11.11.2026.
BRAK MAGAZIN 6/2025 4 AUF GUTE ZUSAMMENARBEIT! Der parlamentarische Abend der BRAK Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ., BRAK, Berlin „… und am 26. Januar wird Deutschland die Konvention zum Schutz des Anwaltsberufs in Straßburg zeichnen – im Beisein von BRAK und DAV.“ – Gelächter im Saal. Doch was ist an diesen Worten so lustig? Sie stammen von Dr. Johannes Dimroth, ständiger Vertreter der Staatssekretärin im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV). Er sprach beim parlamentarischen Abend der BRAK am 27.11.2025 an der Stelle der Ministerin, Dr. Stefanie Hubig, die wegen des kurzfristig für diesen Abend anberaumten Koalitionsausschusses hatte absagen müssen. Die Spannung, ob die Anwaltschaft in die Unterzeichnung der immerhin zu ihrem Schutz und unter ihrer langjährigen Mitarbeit aufgelegten Konvention des Europarates einbezogen wird, zog sich wie ein roter Faden durch den Abend – bis Dimroth schließlich, und obendrein mit Witz, Klarheit schuf. TRADITIONSREICHER ABEND – UNGEWOHNTER TERMIN Aber der Reihe nach: Der parlamentarische Abend hat seit Langem einen festen Platz im Kalender der BRAK. Traditionell findet er in der ersten Sitzungswoche des Bundestages statt und gibt einen Blick auf die wichtigen rechtspolitischen Themen, die im gerade begonnenen Jahr auf der Agenda stehen. Doch angesichts der Ende Februar 2025 stattfindenden Neuwahlen hätte dieser Termin wenig Sinn gemacht. Und so zierte den ehrwürdigen Treppenaufgang in der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft, für die BRAK und ihre Gäste aus Politik und Justizverwaltung ungewohnt, diesmal ein Weihnachtsbaum. Gekommen waren zahlreiche Mitglieder des Bundestags-Rechtsausschusses, nicht zuletzt dessen amtierender Vorsitzender Carsten Müller, der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Prof. Dr. Günter Krings und der parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Dr. Johannes Fechner. Zudem gaben sich eine Reihe hochrangiger Vertreterinnen und Vertreter des Bundesjustizministeriums die Ehre. ZUERST DIE ARBEIT Tradition ist auch, dass vor dem parlamentarischen Abend die Präsidentinnen und Präsidenten der Rechtsanwaltskammern und das BRAK-Präsidium zusammenkommen. Auf der Agenda der Präsidentenkonferenz stand u.a. die Forderung der BRAKHauptversammlung, in einem neuen Art. 19 V GG ein Grundrecht auf unabhängige anwaltliche Beratung zu verankern. Rheinland-Pfalz – dessen Justizminister Philipp Fernis ebenfalls Gast beim parlamentarischen Abend war – und Bremen brachten im November einen Entschließungsantrag dazu in den Bundesrat ein. Ein weiteres Thema war die Konvention zum Schutz des Anwaltsberufs. Die BRAK hatte sich dafür stark gemacht, dass auch Deutschland sie bald unterzeichnet. Ende November gab die Bundesregierung bekannt, dass die Zeichnung nun beschlossene Sache sei. Ob die Anwaltschaft zu dem Termin am 26.1.2025 eingeladen würde? Das war zunächst offen. ERFOLGREICHER EINSATZ FÜR SAMMELANDERKONTEN Die Präsidentenkonferenz brachte außerdem das System weiter voran, mit dem künftig anwaltliche Sammelanderkonten automatisiert geprüft werden sollen. Nachdem die Hauptversammlung im September die Weichen dafür gestellt hatte, konzipierte die BRAK ein System, das künftig die Konten entsprechend den Vorgaben des europäischen Common Reporting Standard (CRS) prüfen und veralle Fotos: Nils Roth/BRAK BRAK-Präsident Dr. Ulrich Wessels begrüßt die Gäste In der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft
BRAK MAGAZIN 6/2025 5 dächtige Fälle an die Rechtsanwaltskammern melden soll. Das hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) zur Bedingung gemacht, um weiterhin die Nichtanwendung des CRS durch Banken bei anwaltlichen Sammelanderkonten nicht zu beanstanden. Die gute Nachricht: Das BMF verlängerte den Nichtbeanstandungserlass bis Ende 2026 – und gibt der anwaltlichen Selbstverwaltung so Zeit, ihr Prüfsystem zu etablieren. Die Präsidentenkonferenz ebnete den Weg für die weitere Ausarbeitung und Ausschreibung des Konzepts. Später, beim parlamentarischen Abend, hob BRAK-Präsident Dr. Ulrich Wessels in seiner Rede hervor, wie wichtig und fruchtbar der Austausch mit dem BMJV und dem BMF sind, um bei dem komplexen Thema Prävention von Geldwäsche und Steuerhinterziehung das Mandatsgeheimnis möglichst effektiv zu wahren und anwaltliche Sammelanderkonten nachhaltig zu sichern. Vor allem dem Verständnis der zuständigen Abteilungsleiterin im BMJV, Susanne Münch, sei es zu verdanken, dass man eine tragfähige Lösung erzielt habe. Nun geht es an die Umsetzung. ENTSCHEIDEND IST DER RESPEKT Wessels dankte den Vertreterinnen und Vertretern aus Rechtsausschuss und Ministerium herzlich für die gute Zusammenarbeit. Auch wenn man nicht immer einer Meinung sei: „Entscheidend ist der gegenseitige Respekt“, mit dem man miteinander umgeht. Die BRAK wolle mit ihren Stellungnahmen sachkundig aus ihrer praktischen Perspektive unterstützen – besonders dankbar sei sie daher für die Beteiligung an den Reformkommissionen im Zivil- und Strafprozessrecht. Kritische Worte fand Wessels zur Erhöhung der Rechtsmittelstreitwerte, die in einem beschleunigten Verfahren erfolgte. Die gleichzeitige Erhöhung des Zuständigkeitsstreitwerts der Amtsgerichte auf 10.000 Euro unterstütze die BRAK im Grundsatz. Doch Wessels appellierte an die Abgeordneten, sorgsam an den sensiblen Schrauben im Rechtsstaat zu drehen. BERUFSPOLITISCHE BRENNPUNKTE Natürlich waren auch die umfassenden Anpassungen im Berufsrecht Thema. Bei dem aktuellen Referentenentwurf sei man sich in den meisten Punkten einig, doch Diskussionsbedarf sieht Wessels bei der Abwicklung von Kanzleien: Klar ist, dass die Solidargemeinschaft der Kammer nicht Bürgin für finanzielle Exzesse einzelner Anwälte sein darf. Deshalb will die BRAK, dass Abwickler künftig primär die Mandate beenden, das Ministerium schlägt eine Deckelung der Bürgenhaftung vor. Der stellvertretende Staatssekretär Dimroth zeigte sich zuversichtlich, dass man gemeinsam eine gute Lösung für Kammern, Anwaltschaft und Mandantschaft finden werde. Welche Probleme die Abwicklung in der Praxis bereitet, wurde im Laufe des Abends noch an vielen Tischen besprochen. Ein wichtiges Wort zur Unabhängigkeit der Anwaltschaft schloss Wessels an: das Stichwort Fremdbeteiligung an Anwaltsgesellschaften. Der EuGH habe einen klaren Wegweiser gegeben und das bestehende Verbot bestätigt. Dennoch werde aktuell versucht, Fremdbeteiligung durchzusetzen; ein Beispiel sei der Vorstoß Bayerns, Rechtsschutzversicherern eine rechtliche Beratung zu gestatten. Dankenswerter Weise habe der Bundesrat sich einhellig dagegen positioniert. Systemisch brauche man die Versicherer, „aber niemand glaubt doch im Ernst, dass sie ihre Versicherten objektiv beraten“, betonte Wessels unter großem Applaus aus dem Saal. Das Beispiel England zeige, dass Fremdbeteiligungen zum Gegenteil von mehr Zugang zum Recht führten – die dortige Reform sei gescheitert. An die Abgeordneten appellierte er: „Gehen Sie sorgfältig mit unserer Unabhängigkeit und den Begehren des Kapitals um!“ ANGEKOMMENE BOTSCHAFTEN Die Botschaft, dass mehr und vor allem frühzeitige Einbindung wichtig ist, nahm der amtierende Rechtsausschuss-Vorsitzende Carsten Müller mit – Wessels‘ Kritik an der allzu schnellen Erhöhung der Rechtsmittelstreitwerte kam also an. Schließlich erfordert eine fundierte Stellungnahme auch Zeit, sich mit dem Gesetzentwurf auseinanderzusetzen – und obendrein arbeiten die Mitglieder der BRAKFachausschüsse ehrenamtlich. Müller betonte, dass man im Ausschuss die Zusammenarbeit mit der BRAK sehr schätze: Nicht umsonst greifen ganz unterschiedliche Fraktionen immer wieder auf ihre Expertise im Rahmen von Anhörungen zurück. Die praktisch fundierten Bewertungen seien enorm wichtig und hilfreich. Daher habe man sich etwa zum Online-Verfahren auch ausführlich in Einzelgesprächen ausgetauscht. Dr. Jochen Dimroth, ständiger Vertreter der Staatssekretärin im BMJV, bei seiner Rede Carsten Müller, amtierender Vorsitzender des Bundestags-Rechtsausschusses, bei seiner Rede
BRAK MAGAZIN 6/2025 6 Für Lacher sorgte Müller, als er scherzhaft drohte, er könnte das Mikrofon jetzt dazu nutzen, Druck auf das Ministerium zu machen, was die feierliche Zeichnung der Europaratskonvention und die Einbindung der Anwaltschaft angehe… Doch das sei sicher angekommen. Und das war es! Dr. Johannes Dimroth stellte gleich zu Anfang seiner Rede klar, dass man die Zeichnung gemeinsam weiterverfolgen sollte. Denn die praktische Expertise der Anwaltschaft sei dem Ministerium lieb und teuer, daher höre man aufmerksam zu. Auch wenn das Ministerium der BRAK nicht immer folge – das von Wessels zuvor gemachte Angebot, sich von guten Argumenten überzeugen zu lassen, nehme er gerne an. EIN JURISTISCHER NOBELPREIS Eigentlich müsste es auch einen Nobelpreis für Rechtswissenschaft geben, fuhr Dimroth fort; für Arbeit, die den Rechtsstaat stärkt und sichert. Denn der Rechtsstaat habe das dringend nötig, nicht nur in Venezuela, der Heimat der diesjährigen Friedensnobelpreisträgerin María Corina Machado, sondern auch in der Türkei, den USA und vielen anderen Staaten. Rechtsstaatlichkeit sei elementar für die Verteidigung der Demokratie – nicht umsonst griffen autoritäre Regimes stets zuerst Justiz und Anwaltschaft an. Exemplarisch nannte Dimroth die US-Anwältin Rachel Cohen, die medienwirksam wegen der Repressionen der Regierung gekündigt hatte; aber auch die Dresdener Anwältin, die massive Bedrohungen durch die „Identitäre Bewegung“ aushalten musste, weil sie einen „falschen“ Mandanten vertrat, der später ein Attentat verübte. „In welcher Zeit leben wir eigentlich, dass wir öffentlich rechtfertigen müssen, dass jeder anwaltliche Beratung erhalten muss?!“ EINE FRAGE DER POLITISCHEN VERANTWORTUNG Die Bundesregierung setze sich deshalb, fuhr Dimroth fort, für den Schutz der Anwaltschaft ein und unterzeichne am 26. Januar in Straßburg die Europaratskonvention – und, als Replik auf Wessels‘ und Müllers Worte: „…und zwar im Beisein von BRAK und DAV“. Noch eine angekommene Botschaft: Die deutsche Anwaltschaft hat sich viele Jahre bei der Erarbeitung des Konventionstextes eingebracht, nun ist sie auch beim Abschluss des Projekts dabei. Doch für BRAK-Präsident Wessels ist es damit nicht getan. In seiner Rede wiederholte er die Forderung der Hauptversammlung, ein Recht auf unabhängigen anwaltlichen Beistand im Grundgesetz zu verankern. Wessels erläuterte, warum eine einfachgesetzliche Regelung in der BRAO nicht genügt und welche Lücken die Rechtsprechung des BVerfG und auch die Konvention lassen. Es sei eine Frage der politischen Verantwortung, den Rechtsstaat nachhaltig abzusichern – und dazu gehöre eine unabhängige Anwaltschaft als Fundament. „Wir teilen Ihre Sorgen“, entgegnete Dimroth hierauf, doch er verwies auf das bestehende hohe Schutzniveau. Er freue sich auf die Diskussion darüber, ob ein neues Grundrecht notwendig sei. Klar sei jedenfalls: Der Rechtsstaat müsse von oben durchgesetzt, aber auch von unten gelebt werden, durch mutige Menschen wie US-Anwältin Rachel Cohen oder die Dresdener Anwältin, aber auch durch Institutionen wie die BRAK. AUF GUTE ZUSAMMENARBEIT! „Lassen Sie uns weiter so gut zusammenarbeiten!“ schloss Dimroth seine Rede – und sprach damit aus, woran allen Beteiligten liegt. Die vielen angeregten Gespräche im weiteren Verlauf des Abends legten den Grundstein dafür. Denn dafür braucht es, abseits des Tagesgeschäfts, auch Zeit, um zuzuhören und nachzufragen. Kammerpräsidentinnen-Runde (v.l.n.r.): Dr. Vera Hofmann (Berlin), Ilona Treibert (Bamberg), Sabine Fuhrmann (Sachsen), Leonora Holling (Düsseldorf), Anne Riethmüller (München), Dr. Brunhilde Ackermann (BGH) und Ellen Neugebauer (Brandenburg); es fehlt: Ulrike Paul (Stuttgart) Angeregte Gespräche beim Vorempfang Dr. Till Steffen, parlamentarischer Geschäftsführer der GRÜNEN (li.) und Susanne Hierl, rechtspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion (re.)
www.anwaltsinstitut.de NEU! Wissen festhalten – Zeit gewinnen Profitieren Sie von unserem neuen KI-Bonus und machen Sie mehr aus Ihrer Fortbildung: Zu ausgewählten Fortbildungen erhalten Sie jetzt eine KI-erzeugte Mitschrift* und einen kompakten KI-Podcast* zur optimalen Nachbereitung – Ganz ohne Zusatzkosten! Sie müssen nichts weiter tun. Nach dem Vortrag stehen Ihnen die Inhalte zeitnah in Ihrem Teilnehmerkonto zur Verfügung. *KI-generiert und nicht menschlich geprüft Achten Sie auf dieses Symbol › Bonus Ihre Fortbildung mit KI-BONUS KI-Mitschrift - Übersichtliches PDF - Wiedergabe des Vortragsinhalts - Enthält Beispiele, Definitionen und Hinweise KI-Podcast - Kompakte Zusammenfassung - Kerninhalte in Dialogform aufbereitet - Ideal für unterwegs und zwischendurch
BRAK MAGAZIN 6/2025 8 KÜNSTLICHE INTELLIGENZ IN DER KANZLEI Der neue Leitfaden des CCBE Ass. jur. Anja Jönsson und Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ., BRAK, Berlin Nicht nur im Alltag, sondern auch im professionellen Umfeld ist künstliche Intelligenz in aller Munde. Inzwischen gibt es ein breites Angebot, von einfachen Zusammenfassungen mit kostenfreien KITools wie ChatGPT bis hin zu juristischen Recherchen und Vertrags- oder Schriftsatzentwürfen mit spezialisierten, juristisch trainierten Tools. Zahlreiche Kanzleien setzen sie bereits ein. Das führt u.a. zu der Frage, wie anwaltliche Leistungen unter KIEinsatz zu honorieren sind und ob man sie sinnvoll mit den bisherigen Stundenhonorarsätzen abbilden kann oder ob ganz andere Preismodelle nötig sind. Denn mit dem Einsatz von KI-Tools wird vielfach die Erwartung verbunden, Kosten zu sparen, schneller zu Ergebnissen zu gelangen und die Ressourcen der eigenen Kanzlei effizienter zu nutzen. In jüngster Zeit wurden auch Fälle bekannt, in denen Anwälte offensichtlich fehlerhafte KI-generierte Zitate ungeprüft übernommen hatten (zu den resultierenden Haftungsfragen s. Denz, BRAK-Mitt. 2025, 316). Sie werfen ein Schlaglicht auf sog. Halluzinationen als eines der mit KI-Nutzung verbundenen Risiken – und zugleich auf das Spannungsfeld zwischen technologischen Möglichkeiten und berufsrechtlichen Anforderungen. Auf diese Risiken hat der Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) mit seinem im Herbst 2025 veröffentlichten umfangreichen Leitfaden zum Einsatz generativer Künstlicher Intelligenz (generative KI) durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte reagiert. Der Leitfaden verfolgt keinen abwehrenden Ansatz, sondern entwickelt einen praxisorientierten Rahmen für den verantwortungsvollen Umgang mit der Technologie unter Wahrung der etablierten berufsethischen Standards. TECHNOLOGISCHE GRUNDLAGEN Der Leitfaden erläutert zunächst die technischen Grundlagen: Was ist generative KI und wie funktionieren Sprachmodelle (Large Language Models – LLMs)? Ohne deren probabilistische, also auf Zufallsvariablen und Wahrscheinlichkeitsberechnungen basierende Arbeitsweise zu kennen, lässt sich die Verlässlichkeit, Haftung und Nachprüfbarkeit von KI-Tools im anwaltlichen Kontext nicht richtig einschätzen. TECHNOLOGIEBEDINGTE RISIKEN Der CCBE-Leitfaden identifiziert mehrere technologiebedingte Risiken, die bei unsachgemäßem Einsatz unmittelbar zu Berufspflichtverletzungen führen können: Halluzinationen: LLMs generieren regelmäßig faktisch falsche oder erfundene Informationen; das ist eine Folge ihrer probabilistischen Arbeitsweise. Dokumentiert sind z.B. Fälle, in denen nicht existierende Gerichtsentscheidungen mit plausibel klingenden Aktenzeichen, fiktive Gesetzeszitate oder erfundene wissenschaftliche Quellen ausgegeben wurden. Die Übernahme solcher Inhalte in Schriftsätze oder Gutachten kann zu gravierenden Fehlberatungen führen. Datenschutz- und Vertraulichkeitsrisiken: Viele cloudbasierte KI-Tools verarbeiten Eingabedaten zu Trainingszwecken weiter. Mandantendaten, die in solche Systeme eingegeben werden, verlassen die geschützte Kanzleiumgebung und können potenziell für andere Nutzende reproduziert oder extern gespeichert werden. Bias und systematische Verzerrungen: Trainingsdaten spiegeln häufig historische oder gesellschaftliche Voreingenommenheiten wider. Diese können sich in juristischen Analysen und Empfehlungen manifestieren und die Objektivität der Rechtsberatung beeinträchtigen. Intransparenz der Algorithmen: Der sog. Black-BoxEffekt erschwert die Nachvollziehbarkeit von KI-Entscheidungen. Anwältinnen und Anwälte können meist nicht erkennen, auf welcher Datenbasis und mit welcher Logik ein bestimmtes Ergebnis zustande kam. Foto: freepik
BRAK MAGAZIN 6/2025 9 Automation Complacency: Das Phänomen beschreibt die Tendenz, maschinell generierte Ergebnisse unkritisch zu übernehmen und unzureichend zu prüfen – eine direkte Gefährdung der anwaltlichen Sorgfaltspflicht. BERUFSRECHTLICHE ANFORDERUNGEN Der CCBE betont, dass die traditionellen anwaltlichen Pflichten auch beim Einsatz generativer KI uneingeschränkt gelten. Vier Kernbereiche stehen im Fokus: 1. Verschwiegenheitspflicht und Datenschutz Der Leitfaden formuliert klare Grenzen: Persönliche und vertrauliche Mandantendaten dürfen nur dann in KI-Systeme eingegeben werden, wenn der Anbieter rechtsverbindlich zusichert, dass diese Daten weder gespeichert noch für Trainingszwecke oder andere Zwecke weiterverarbeitet werden. Bei Nutzung öffentlich zugänglicher oder standardisierter KI-Modelle fordert der CCBE vollständige Anonymisierung. Sämtliche identifizierenden Informationen – Namen, Adressen, Aktenzeichen, spezifische Sachverhaltsdetails – müssen entfernt werden, und zwar so, dass auch aus dem Kontext keine Rückverfolgbarkeit möglich ist. Die DSGVOKonformität eingesetzten Systeme ist zwingend sicherzustellen. 2. Sorgfaltspflicht und fachliche Kompetenz Der CCBE formuliert eine klare Prüfpflicht: Jeder KIgenerierte Output muss von einem Anwalt oder einer Anwältin vollständig auf sachliche Richtigkeit, Vollständigkeit und juristische Plausibilität überprüft werden. Dies umfasst insbesondere: – Verifikation aller zitierten Rechtsnormen in Originalquellen – Überprüfung der Existenz, Aktualität und Einschlägigkeit von Gerichtsentscheidungen – Kontrolle der Relevanz und Anwendbarkeit der recherchierten Inhalte auf den konkreten Fall – Prüfung der logischen Stringenz rechtlicher Argumentationen KI darf ausschließlich assistierend eingesetzt werden, etwa für Entwürfe oder Zusammenfassungen. Zentrale juristische Bewertungen, taktische Erwägungen und finale Schriftsätze bleiben menschliche Aufgabe. 3. Unabhängigkeit und professionelle Autonomie Die berufliche Unabhängigkeit gewährleistet, dass Rechtsrat ausschließlich den Mandanteninteressen und dem Gesetz verpflichtet ist. KI-Systeme können diese Unabhängigkeit auf mehreren Ebenen gefährden. Vor allem kann Bias in Trainingsdaten den Output verzerren. Anwältinnen und Anwälte müssen diese Gefahr kennen und KI-Ergebnisse kritisch hinterfragen, statt sie als objektive Wahrheit zu übernehmen. 4. Transparenz und Mandanteninformation Der Leitfaden empfiehlt außerdem, die Mandantschaft aktiv darüber zu informieren, dass generative KI bei der Bearbeitung des Mandats genutzt wird. Außerdem sollte der Einsatz sorgfältig dokumentiert werden, sowohl zur internen Qualitätssicherung als auch zur etwaigen Nachweisführung gegenüber Berufsaufsicht und Mandantschaft. GOVERNANCE-STRUKTUREN FÜR KANZLEIEN Zudem entwickelt der Leitfaden konkrete Empfehlungen für organisatorische und technische Maßnahmen. Dazu zählen u.a. interne Richtlinien für die KI-Nutzung, ein zentrales Verzeichnis aller eingesetzten KI-Systeme und ihrer Einsatzzwecke sowie regelmäßige Schulungen für alle Mitarbeitenden zu verantwortungsvoller KI-Nutzung. HAFTUNG UND VERANTWORTUNG BLEIBEN MENSCHLICH Der CCBE-Leitfaden ist ein Wegweiser, der dabei hilft, berufsethische und -rechtliche Anforderungen in das KI-Zeitalter zu übersetzen. Materialien, die Anwaltschaften in der ganzen Welt zur KI-Nutzung durch Anwältinnen und Anwälte erarbeitet haben (s. Anhang zum Leitfaden), geben ergänzende Aufschlüsse. Die Kernaussage des CCBE ist deutlich: Generative KI ist ein kaum noch verzichtbares Werkzeug zur Effizienzsteigerung, doch sie funktioniert nur sicher und berufsrechtskonform unter der strengen, kritischen und voll verantwortlichen Kontrolle des Anwalts und der Anwältin. Anwältinnen und Anwälte sollten daher Vorsorge treffen und ihre Compliance-Strukturen schnell anpassen, um die Effizienzvorteile von KI nutzen zu können, ohne die Integrität, Vertraulichkeit und Qualität ihrer Rechtsberatung zu gefährden. Speziell auf die deutsche Rechtslage zugeschnitten sind die von der BRAK herausgegebenen Hinweise zum Einsatz von künstlicher Intelligenz, erarbeitet vom Vorsitzenden des BRAK-Ausschusses RDG, Dr. Frank Remmertz. Die Empfehlungen befassen sich vor allem mit den berufsrechtlichen Vorgaben nach §§ 43, 43a II, 43e BRAO sowie den Anforderungen nach der KI-Verordnung.
BRAK MAGAZIN 6/2025 10 EUROPEAN LAWYERS’ DAY 2025 Neue Konvention zum Schutz der Anwaltschaft im Fokus Ass. jur. Sarah Pratscher, BRAK, Brüssel In diesem Jahr fand der vom Rat der europäischen Anwaltschaften (CCBE) im Jahr 2014 ins Leben gerufene „European Lawyers‘ Day“ am 25. Oktober statt und stand ganz im Zeichen der neu geschaffenen Konvention des Europarats zum Schutz des Anwaltsberufs. Europaweit machten Rechtsanwaltskammern und Anwaltsorganisationen die Öffentlichkeit auf die tragende Rolle der Anwaltschaft für den Schutz der Rechtsstaatlichkeit und den Zugang zum Recht aufmerksam und würdigten die gemeinsamen Werte der Anwaltschaft und ihren Beitrag zum Justizsystem. Der European Lawyers‘ Day ist traditionell in den European Day of Justice eingebettet und unterstreicht die Verknüpfung zwischen Anwaltschaft, Bürgerrechten und europäischer Justizförderung. Schwerpunktthemen waren zuletzt u.a. die Unabhängigkeit der Anwaltschaft, die Verschwiegenheitspflicht und die Durchsetzung des Rechts in Kriegszeiten. DIE KONVENTION ZUM SCHUTZ DER ANWALTLICHEN BERUFSAUSÜBUNG In diesem Jahr war der European Lawyers’ Day der neuen Konvention zum Schutz des Anwaltsberufs gewidmet, dem ersten umfassenden, völkerrechtlich verbindlichen Abkommen zum Schutz der Anwaltschaft. Sie wurde am 12.3.2025 vom Ministerkomitee des Europarats angenommen, nachdem ihr Text zuvor über mehrere Jahre hinweg in einer Arbeitsgruppe unter intensiver Beteiligung des CCBE und europäischer Anwaltsorganisationen – auch der BRAK – erarbeitet wurde. Am 13.5.2025 wurde sie in Luxemburg zur Unterzeichnung ausgelegt. Seither haben 23 Staaten die Konvention unterzeichnet, darunter Frankreich, Polen, Italien und das Vereinigte Königreich. Deutschland beabsichtigt, am 26.1.2026 zu unterzeichnen. Die Konvention soll durch die Festlegung von Mindeststandards die Unabhängigkeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie ihrer Selbstverwaltungsorgane absichern und einen diskriminierungsfreien Zugang zum Beruf sowie einen effektiven Schutz vor Bedrohungen und Eingriffen in die anwaltliche Tätigkeit garantieren. Damit soll ein effektiver Zugang zum Recht für jedermann gewährleistet und der Rechtsstaat nachhaltig gestärkt werden. AKTIVITÄTEN ZUM EUROPEAN LAWYERS’ DAY UND ZUR KONVENTION Die BRAK und zahlreiche regionale Kammern engagieren sich seit über zehn Jahren intensiv für die Konvention. Zudem berichtete sie aus Anlass des European Lawyers‘ Day auf ihren Kanälen zu den aktuellen Entwicklungen rund um die Konvention. Ferner richtete sie im Juni 2025 gemeinsam mit dem Bar Council of England and Wales, der Czech Bar Association und dem Deutschen Anwaltverein eine Festveranstaltung in Brüssel zur Annahme der Konvention aus, bei der im Rahmen von Impulsvorträgen und Podiumsdiskussionen ein intensiver fachlicher Austausch erfolgte. Auch andere europäische Anwaltschaften sind sehr aktiv. Die dänische Rechtsanwaltskammer veröffentlichte zum European Lawyers‘ Day einen Artikel über die Konvention in einer führenden nationalen Zeitung. In Estland zeigte das Justizministerium mit einer Presseerklärung seine Unterstützung der Konvention. Die rumänische Rechtsanwaltskammer organisierte eine Konferenz zur Feier des European Lawyers‘ Day und der Konvention. Die slowenische Rechtsanwaltskammer organisierte eine Diskussionsrunde zum Thema „Legal regulation of the protection of legal privilege between lawyers and clients“. Beim World Law Congress rief der Präsident der spanischen Rechtsanwaltskammer zu einer stärkeren Unterstützung der Konvention auf. Tony Fisher von der Law Society of England and Wales, ein Mitverfasser der Konvention, trug sowohl auf der Commonwealth Law Conference als auch vor dem International Bar Leaders Senate der Union Internationales des Avocats zur Konvention vor. Außerdem organisierte die Law Society eine Diskussionsrunde für die Präsidenten verschiedener Rechtsanwaltskammern zur Konvention. Zahlreiche Kammern machten durch ihre sozialen Medien auf den European Lawyers’ Day aufmerksam. Foto: CCBE
BEA – DAS BESONDERE ELEKTRONISCHE ANWALTSPOSTFACH BRAK empfiehlt qualifizierte elektronische Signatur Ass. jur. Anja Jönsson, BRAK, Berlin Die Frage, ob auch bei beA-Nachrichten von Berufsausübungsgesellschaften (BAG) Personenidentität zwischen Signatur und Versand erforderlich ist, bleibt ungeklärt. Laut aktuellem BGH-Beschluss vom 16.9.2025 (VIII ZB 25/25) muss bei einer Einreichung über das Gesellschaftspostfach einer BAG nicht zwingend der einfach signierende Anwalt auch der versendende VHN-Berechtigte sein – anders als bei Einreichungen über das persönliche Anwaltspostfach. Der Fall: Einfache Signatur über BAG-Postfach Eine Rechtsanwaltsgesellschaft reichte für die Klägerin eine Berufungsbegründung über ihr Gesellschaftspostfach ein. Der Schriftsatz war von einem Partner einfach signiert. Das Landgericht sah die Form des § 130a III 1 Halbs. 2 ZPO als nicht gewahrt an. Es forderte – in Anlehnung an die Rechtsprechung zum persönlichen beA – eine Identität zwischen dem Absender (der Gesellschaft) und der signierenden Person (dem Anwalt). Da diese fehle, sei die Einreichung unwirksam. Feststellungen des BGH zur Formwirksamkeit Der BGH stellte fest, dass die Berufungsbegründung formwirksam eingereicht wurde und die Rechtsauffassung des Landgerichts fehlerhaft ist. Keine Übertragbarkeit der Rechtsprechung zum persönlichen beA: Die Anforderung der Personenidentität (Postfachinhaber = Signierender = Sender) gilt laut BGH nur für das persönliche Anwaltspostfach (§ 31a BRAO). Diese Grundsätze können nicht auf das Gesellschaftspostfach übertragen werden. Systemimmanente Trennung von Absender und Handelndem: Beim Gesellschaftspostfach ist die BAG (eine juristische Person) die Postfachinhaberin und „Absenderin“. Sie muss sich für die Signatur und den Versand zwingend durch eine natürliche Person (einen Anwalt) vertreten lassen. Die vom Landgericht geforderte Identität (Gesellschaft = Anwalt) ist logisch unmöglich und würde die Nutzung des Gesellschaftspostfachs für einfach signierte Dokumente vereiteln. Maßstab für die Wirksamkeit beim Gesellschaftspostfach: Für die Formwirksamkeit genügt es, dass der Schriftsatz einfach signiert ist und über den sicheren Übermittlungsweg „Gesellschaftspostfach“ versandt wird. Dieser Versand muss durch eine Person erfolgen, der die Gesellschaft das Recht zur Versendung eingeräumt hat (ein VHN-Berechtigter). Dies muss ein vertretungsberechtigter und postulationsfähiger Anwalt der Gesellschaft sein (§ 23 III 7 RAVPV). Offene Frage: Identität von Signierendem und Sendendem? Die Entscheidung lässt die Frage offen, ob der Anwalt, der den Schriftsatz einfach signiert, identisch sein muss mit dem VHN-berechtigten Anwalt, der den Versand vornimmt. Der Senat neigt dazu, dies zu verneinen. Er zieht die Parallele zum Behördenpostfach, bei dem eine solche Identität ebenfalls nicht gefordert wird. Eine abschließende Entscheidung war hierzu jedoch nicht nötig. Bedeutung des „Nachrichtenjournals“ Im vorliegenden Fall hatte die Klägerin mittels eines „Nachrichtenjournals“ nachgewiesen, dass der signierende Anwalt den Versand selbst vorgenommen hatte. Der BGH rügt, dass das Landgericht diesen Beweis (unter Verletzung des rechtlichen Gehörs) ignoriert hat. Solange der VHN die Person des Senders technisch nicht ausweist, muss der Partei der Nachweis über das Nachrichtenjournal offenstehen. Beweisführung und Praxis Nutzt man die einfache Signatur, sollte der Nachweis über die Person des Senders gesichert werden. Im BGH-Fall erfolgte dies erfolgreich durch Vorlage eines Nachrichtenjournals. Der BGH betonte, dass dieser Beweis zulässig und zu berücksichtigen ist. Solange die Frage der Identität von Signierendem und Sendendem nicht abschließend geklärt ist, empfiehlt die BRAK, Nachrichten aus dem Gesellschaftspostfach stets mit einer qualifizierten elektronischen Signatur (qeS) eines vertretungsberechtigten Anwalts zu versehen. Die Hinweise im beA-Anwenderportal wurden nach dem aktuellen BGH-Beschluss entsprechend angepasst. Bild: Freepik
BRAK MAGAZIN 6/2025 12 DIE ANWALTSCHAFT IN MOLDAU Internationale Solidarität und ein Streik für Rechtsstaatlichkeit zeigen Wirkung Rechtsanwältin Ilona Treibert, Bayreuth, Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Bamberg Moldau, seit 1991 von der Sowjetunion unabhängig, hat rund 2,4 Mio. Einwohner, rund 700.000 leben in der Hauptstadt Chişinău. Die Amtssprache ist Rumänisch, es wird aber auch Russisch und Französisch gesprochen. Seit Juni 2022 ist die Republik Moldau offiziell EU-Beitrittskandidat. Das Referendum im Oktober 2024 ging nur knapp pro EU-Beitritt aus. Im Land gibt es etwa 3.200 Anwältinnen und Anwälte, wovon etwa 2.000 aktiv sind, gut die Hälfte von ihnen in der Hauptstadt. Es gibt eine nationale Anwaltskammer und vier regionale Anwaltskammern mit eigenen Berufsgerichten. Moldau ist assoziiertes Mitglied im Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE). Die Anbindung an den Westen erfolgt v.a. durch Kontakte in Frankreich, Polen und Deutschland. Auch über soziale Medien wird Kontakt gepflegt und mit großer Wissbegierigkeit der fachliche Austausch gesucht. EINE HERZLICHE VERBINDUNG Erstmals war ich für die BRAK im November 2023 mit der Konrad-Adenauer-Stiftung in Chișinău. Nach einer Abendveranstaltung „Women for Justice“ trug ich am nächsten Tag bei der Veranstaltung „Lawyers’ Profession in Germany and Moldova – current challenges and development“ zur anwaltlichen Selbstverwaltung und zum Berufsgeheimnis in Deutschland vor. Im September 2024 war ich für die BRAK beim 2. Anwaltstag in Moldau. Im Fokus stand hier die EuGH-Entscheidung zum Fremdbesitz an Anwaltskanzleien. Beim 6. Internationalen Anwaltsforum der BRAK im April 2025 kamen Präsident Doren Popescu und Chișinăus Kammerpräsident Alexandru Țurcan zum Gegenbesuch. Zum 3. Anwaltstag unter dem Titel „Legal profession in the EU“ war ich Mitte September wieder in Chișinău, mit einem Vortrag zur juristischen Ausbildung in Deutschland. Zu den Anwaltstagen in 2024 und 2025 kamen Gäste aus Frankreich, Polen, Deutschland, Georgien, Rumänien, Bulgarien und der Ukraine, ebenso CCBE-Vizepräsident Roman Završek. Interessant ist hier, wer nicht dabei (oder nicht eingeladen?) war. Das Interesse der moldauischen Kolleginnen und Kollegen und der fachliche Austausch waren von Beginn an hervorragend, die Gastfreundschaft enorm. Den Flughafen-Shuttle übernahm nicht nur bei mir Präsident Popescu selbst. MOLDAUS ANWALTSCHAFT UNTER DRUCK Im Juli 2025 schlug er im internationalen Netzwerk Alarm. Das Parlament hatte Änderungen des Anwaltsrechts verabschiedet, welche die Selbstverwaltung und die anwaltliche Unabhängigkeit untergraben und die staatliche Kontrolle verstärken – ohne die gesetzlich vorgesehene Beteiligung der Anwaltschaft. Dadurch sieht Moldaus Anwaltschaft grundlegende rechtsstaatliche Prinzipien verletzt und rief deshalb einen Generalstreik aus. Beim CCBE in Brüssel lief daraufhin die Maschine an: Die Kollegen aus Polen und Frankreich sowie der CCBE sandten Schreiben an Staatspräsidentin Maia Sandu und Justizministerin Veronica MihailovMorraru. Darin betonten sie u.a. die Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung der Konvention zum Schutz des Anwaltsberufs, zu deren ersten Unterzeichnern die Republik Moldau zählt. INTERNATIONALE SOLIDARITÄT WIRKT Das Ergebnis war eine Einladung der Justizministerin. Bei dem Treffen Anfang September sicherte sie zu, dass das Gesetzgebungsverfahren gestoppt wird und mögliche Änderungen mit der Kammer besprochen werden. Die CCBE-Delegation betonte ihr Interesse daran, dass Moldau schnell der EU beitritt und unterbreitete Lösungsangebote. Das Treffen zeigt, welche Auswirkungen eine vereinte und gut kommunizierte Reaktion auf das europäische Rechtsumfeld haben kann – und dass die Verteidigung unserer Grundwerte unseres ganzen Einsatzes bedarf. Im Ergebnis wurde die Verabschiedung des Gesetzes zurückgehalten, darüber soll nach den Parlamentswahlen am 28.9.2025 das neue Parlament – nach Anhörung der Kammer – beraten. Genau hierfür hatte auch Moldaus Anwaltschaft gestreikt. Kolleginnen und Kollegen, die mit einer solchen Begeisterung Demokraten sein und der EU angehören wollen, sollten wir auch weiter mit allen Kräften unterstützen. Ilona Treibert (Mitte) beim 3. Anwaltstag in Chișinău
BRAK MAGAZIN 6/2025 13 NETZWERKEN OHNE TALENT? Wie Anwält:innen auch ohne Small-Talk-Gene ein starkes berufliches Netzwerk aufbauen Rechtsanwältin Dr. Anja Schäfer, Karriere-Coach & Mentorin für Jurist:innen, Berlin Ein gutes Netzwerk ist ein Karriere- oder MandatsBooster – gerade im juristischen Umfeld. Beziehungen öffnen Türen, ermöglichen Austausch auf Augenhöhe bzw. die Akquise von Mandantinnen und Mandanten und fördern die berufliche Weiterentwicklung. Schätzungen zufolge werden beispielsweise mehr als die Hälfte aller Stellen allein über persönliche Kontakte vergeben. Trotzdem fällt vielen Anwälten und Anwältinnen das Netzwerken schwer. Besonders introvertierte Persönlichkeiten fühlen sich beim Small Talk im Arbeitsalltag oder auf großen Veranstaltungen unwohl. Doch: Erfolgreiches Networking ist keine Frage des Talents, sondern der Haltung – und die können sich Juristinnen und Juristen aneignen, wie die nachfolgenden Tipps zeigen: TIPP 1: QUALITÄT VOR QUANTITÄT Wer ins Networking mit der Intention startet, interessante Menschen kennenzulernen und sich offen auszutauschen, nimmt sich selbst den Druck – und schafft Raum für eine echte Verbindung. Denn es geht auf Netzwerkveranstaltungen (und darüber hinaus) nicht darum, mit besonders vielen Personen ins Gespräch zu kommen. Es reicht völlig aus, nur einige wenige neue Kontakte oder gar nur einen zu knüpfen, um deren Potenzial auszuloten und die Beziehung direkt zu vertiefen. TIPP 2: INTERESSE SCHLÄGT SELBSTDARSTELLUNG Ein guter Gesprächseinstieg gelingt über ehrliches Interesse. Fragen Sie, was Ihr Gegenüber beruflich beschäftigt bzw. was sie oder ihn mit der Veranstaltung verbindet oder welche rechtliche Frage die Person gerade umtreibt. Nutzen Sie sichtbare Hinweise wie Namensschilder oder Veranstaltungsinhalte, um erste Gesprächsansätze zu finden. Stellen Sie Detailfragen und geben Sie so Ihren Gesprächspartnerinnen und -partnern die Gelegenheit, über sich und die eigenen (Fach-)Themen zu sprechen. Auf diese Weise zeigen Sie nicht nur Ihre Aufmerksamkeit, sondern gewinnen auch die des Gegenübers. TIPP 3: EIN GUTES GESPRÄCH BRAUCHT KEIN DREHBUCH, SONDERN OFFENHEIT Die besten Gespräche entstehen, wenn Sie frei von Erwartungen sind und die andere Person auch. Gehen Sie ohne festes Ziel in einen ersten Kontakt – auch bei Personen, die Sie zu kennen glauben. Zeigen Sie sich offen und sprechen Sie auch über sich, indem Sie Ihre Expertise zeigen und Ihrem Gegenüber mit wertvollen Informationen oder guten Geschichten in Erinnerung bleiben. TIPP 4: KÖRPERSPRACHE WIRKT – IMMER Oft unterschätzt, aber entscheidend: Ihre Körpersprache. Sie verrät mehr über Ihr Interesse als Worte. Denn wenn Mimik, Gestik und Ausstrahlung Ihren Worten widersprechen, verliert das Gesagte an Glaubwürdigkeit. Steuern Sie daher Ihre Körpersignale bewusst. Denn Ihr Gegenüber spürt, ob Sie präsent oder gedanklich schon beim nächsten Programmpunkt sind. Wenn ein Thema nicht (mehr) passt, wechseln Sie es – oder beenden Sie das Gespräch. TIPP 5: WER GIBT, BLEIBT IN ERINNERUNG Sie müssen nicht immer gleich Kontakte oder Informationen „zurückgeben“ oder Ihr Gegenüber weiterempfehlen. Ein wertschätzender Abschluss reicht: Sagen Sie, was Sie inspiriert hat oder was Sie aus dem Gespräch mitnehmen. Dann wirkt Ihr Feedback wie ein Geschenk – und bleibt im Gedächtnis. FAZIT Netzwerken ist kein Wettbewerb der Lautesten. Es lebt von Echtheit, Empathie und Interesse. Wer zuhört, Fragen stellt und wertschätzend agiert, baut Schritt für Schritt ein Netzwerk auf, das langfristig trägt – auch ohne großes „Networking-Talent“. Foto: Ps.INL/shutterstock.com
FÜNF JAHRE „(R)ECHT INTERESSANT!“ Geburtstags-Edition mit Fact-Checking und Generationendialog Ass. jur. Anja Jönsson, BRAK, Berlin Am 8.10.2020 – Mitten im ersten Pandemie-Herbst – ging die erste Folge von „(R)ECHT INTERESSANT!“ online. Fünf Jahre und über 250 Episoden später lud BRAK-Pressesprecherin und Podcast-Initiatorin Stephanie Beyrich im Oktober zur großen „Birthday Edition“ ihres Live-Podcast-Events „Salongespräche“ in die Berliner Littenstraße ein. Rund 50 „Lauscher und Lauscherinnen“ folgten der Einladung und erlebten einen Abend, der das gewohnte „Wohnzimmer-Feeling“ des Salons mit Party-Atmosphäre verband. Unter den Gästen: treue Fans, Vertreterinnen und Vertreter von Rechtsanwaltskammern und ehemalige Podcast-Gäste. Anwesend waren unter anderem der ehemalige Bremer Strafverteidiger und Menschenrechtler Bernhard Docke, der die Freilassung von Murat Kurnaz aus Guantanamo erkämpfte; Marcello V. Orlik vom @Volksverpetzer; Susanne Kirchhoff, Richterin und Direktorin am Amtsgericht Bad Iburg; Emilia De Rosa, ehemalige Vorsitzende des Bundesverband rechtswissenschaftlicher Fachschaften e.V.; Susanne Wanagas, Geschäftsführerin der Rechtsanwaltskammer Mecklenburg-Vorpommern und viele weitere Teilnehmende. LIVE-ATMOSPHÄRE IM BERLINER SALON Das BRAK-eigene Wohnzimmer-Studio wurde kurzerhand um eine Bar und ein Fingerfood-Buffet erweitert. Die Atmosphäre: gelöst, feierlich, fast familiär. Stephanie Beyrich führte wie gewohnt temporeich und wortgewandt durch den Abend. Im Zentrum standen drei Salongespräche, die das Motto „Fact or Fiction“ sezierten: von juristischer Fiktion über forensische Fakten bis zur Entlarvung gesellschaftlicher Mythen. Anne Lehmann, Illustratorin und Graphic Recorderin, filterte das Wesentliche aus den Talkrunden heraus und verwandelte es in lebendige Bilder, die im Anschluss auf einem großen Monitor sichtbar waren. TALK 1: WENN KI ZUM TÄTER WIRD – FIKTION TRIFFT REALITÄT Den Auftakt machte Florian Schwiecker. Von 2001 bis 2009 war er Strafverteidiger in Berlin, heute ist er Bestseller-Autor und Chief Partnership Officer bei Corti, einem dänischen Unternehmen für Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen. Unter dem Titel „War KI der Killer?“ entwickelte sich ein Dialog über die Ethik von künstlicher Intelligenz. In dem Kriminalroman „Der 1. Patient“ – vierter Band der Justiz-Krimi-Reihe, die Schwiecker mit Rechtsmediziner Michael Tsokos schrieb – geht es um KI in der Medizin. Die zentrale Frage: Was wäre, wenn eine KI-gesteuerte Operation schiefläuft? Wer trägt die Verantwortung – der Arzt oder das KI-System? War die Datenlage vollständig und wie valide waren die Informationen? Schwiecker wechselte von der Fiktion zur Realität: Der Gesundheitssektor stehe unter enormem Druck. Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte arbeiten mehr als 48 Stunden pro Woche, zu viele verlassen den Beruf. „KI kann dazu beitragen, diesem Problem zu begegnen, indem sie die Belastung des Personals verringert“, führte Schwiecker aus. Dokumentationen würden vereinfacht, sodass mehr Zeit für die Patientenversorgung bleibe. Aber der KI-Einsatz im Gesundheitswesen werde ganz zu Recht genau unter die Lupe genommen, da Fehler schwerwiegende Folgen haben können. Während generative KI einen Werbeflyer schreiben könne, stelle die Beratung und Dokumentation kranker Menschen die KI vor ganz andere Herausforderungen. Schwiecker warnte vor den Gefahren allgemeiner Sprachmodelle (LLMs): „KI denkt nicht wie ein Experte – sie denkt wie das Internet“. Diese Modelle könnten„halluzinieren“, damit seien sie für den Einsatz im Gesundheitswesen – und implizit auch in der Justiz – grundlegend ungeeignet. Foto: @jm_lensman Foto: Anne Lehmann Florian Schwieker Graphic Recording zu Nina Hagner
BRAK MAGAZIN 6/2025 15 TALK 2: BLUT LÜGT NICHT – DER CSI-FAKTENCHECK „Wir brauchen die SpuSi!“ Wer Krimis sieht, kennt diesen Satz. Für Blutspuren am Tatort ist Nina Hagner vom Kriminaltechnischen Institut des Landeskriminalamts Berlin zuständig. „Blut lügt nicht! Dexter, CSI und Co. im Faktencheck“ hieß der zweite Talk. Kriminalhauptkommissarin Hagner ist angehende Sachverständige für Blutspurenmusteranalyse (BPA) und entzauberte, was wir aus Krimi-Serien zu wissen glauben. Mit dem Blick der SpuSi-Expertin und möglicherweise mit dem Herzen einer Künstlerin (vor ihrer Polizeikarriere studierte Hagner Kunst) betrachtet sie Blutspuren. Tropfen sind keine simplen Punkte, sondern kleine Kunstwerke der Bewegung. Ihre Form verrät, wohin sie geflogen sind – etwa nach einem brutalen Schlag.„Nicht jedermanns Sache“, bekennt Hagner, „man wird oft schräg angesehen.“ Doch für sie liegt Schönheit in diesen Spuren. Hagner erklärte die drei groben Kategorien von Blutspuren: passive Spuren (Kontakt, Tropfen, Blutlachen), Spritzfelder (durch direkte Einwirkung wie Schläge, aber auch sekundär durch aufprallende Tropfen) und veränderte Spuren (geronnen, verdünnt). Die Analyse dieser Muster ist entscheidend, um die Plausibilität von Aussagen zu prüfen. Hagners trockenes Beispiel:„Also, wenn jetzt die tatverdächtige Person sagt: ‚Ich habe in Notwehr gehandelt‘, dann können wir im besten Fall anhand der Blutspurenmuster sagen: ‚Hmm, nee, eher nicht.‘“ Einer der größten Faktenchecks des Abends galt einer universellen Fehlannahme: In der Luft bewegt sich Blut nicht tropfenförmig. Es fliegt als Kugel! TALK 3: GENERATIONENKONFLIKT – MYTHOS ODER WAHRHEIT? Das Finale war ein Realitätscheck: „Gen Z vs. Gen X vs. Boomer“. Mit Moderatorin Stephanie Beyrich war eine Vertreterin der Generation X dabei, mit Jörg Müller, Präsident des OLG Karlsruhe, ein Boomer und Rechtsreferendarin Ines A. Garritsen vertrat die Generation Z. Die Fiktion: Die Gen Z ist faul, will nur Homeoffice und viel Geld. Generation X gilt als ehrgeizig, konsumorientiert, skeptisch. Die Boomer sind Workaholics und technikfeindlich. Die Fakten: Es ist komplizierter. Und vor allem: Es ist eine Frage der Persönlichkeit, nicht des Geburtsjahres. Jörg Müller überraschte, indem er das einseitige Arbeitsleben der eigenen Generation als„Defizit“ bezeichnete und den Wunsch der Jüngeren nach Ausgleich verteidigte: Nur weil man andere Lebensbereiche wichtig nehme, heiße das nicht, dass man „im Beruf nicht lebt“. Wenig Lust auf Arbeit? Müller stellte klar: „Die Leute gibt es, die gibt es auch bei uns, die alle diese Eigenschaften haben, aber ihre Geburtsjahrgänge unterscheiden sich erheblich. Ich habe auch Leute mit 30, die bereits auf die Rente warten. Das hat letztlich mit Geburtsjahren nichts zu tun.“ Ines Garritsen analysierte den „Zeitgeist“ ihrer Generation: Geprägt von Social Media (dem Wissen, was alles möglich ist) und der Corona-Pandemie (der Unsicherheit, ob man es erleben kann), entstehe der Wunsch, Dinge jetzt zu tun. Mit einer Studie des Nürnberger Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung konterte Stephanie Beyrich die Mythen. Fakt 1: Die Erwerbsbeteiligung der Gen Z ist seit 2015 überproportional gestiegen. Fakt 2: Die gewünschte Arbeitszeit unterscheidet sich nicht von anderen Gruppen. Fakt 3: Der Rückgang der Arbeitgeberbindung ist bei der Gen Z niedriger als bei allen anderen. Fazit des Dialogs: Mehr Verständnis, weniger Abwertung. Ein gelungener Abschluss für einen Abend, der bewies, dass Klischees eben manchmal nur Klischees sind und Vorurteile dazu da, widerlegt zu werden. Und: Jörg Müller ist kein Boomer – er ist nur eben schon länger jung! Foto: @jm_lensman Drei Generationen im Realitätscheck: Ines A. Garritsen, Stephanie Beyrich und Jörg Müller (v.l.n.r.)
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