BRAK MAGAZIN 5/2025 6 Fällen versuchen wir, telefonisch und schriftlich nachzufassen, um doch noch eine Teilnahme zu erreichen. Das ist schwierig, wenn jemand bereits klar abgesagt hat, gelingt aber manchmal dennoch. Und wenn zwar beide Seiten teilnehmen, aber keine Einigung erzielt wird? Das kommt natürlich auch vor. In solchen Fällen bleibt die Schlichtung ergebnislos. Wir bemühen uns jedoch, die Gründe zu analysieren, und auch die Anwaltschaft stärker einzubeziehen, etwa durch Veranstaltungen auf regionaler oder nationaler Ebene, um die Akzeptanz der Schlichtung weiter zu erhöhen. Wer stellt mehr Schlichtungsanträge – Mandantinnen und Mandanten oder die Anwaltschaft? Der überwiegende Teil kommt von Mandantinnen und Mandanten. Aber auch von der Anwaltschaft steigen die Anträge, und das könnte sich in Zukunft noch verstärken. Haben Sie persönlich manchmal den Wunsch, selbst eine verbindliche Entscheidung zu treffen, gerade wenn die Lösung eigentlich klar auf der Hand liegt? Nein. Die Schlichtung beruht auf Freiwilligkeit und Selbstverantwortung. Wenn beide Parteien sich darauf einlassen und zu einer Lösung kommen, dann ist das völlig ausreichend. Ein Schlichtungsvorschlag überzeugt nur dann, wenn beide Seiten zustimmen. Und das ist für mich vorzugswürdig gegenüber jeder gerichtlichen Entscheidung. Wo sehen Sie das größte Entwicklungspotenzial für die Schlichtungsstelle? Entwicklungspotenzial im klassischen Sinn haben wir nicht, denn wir arbeiten auf der Grundlage klarer gesetzlicher Vorgaben. Aber die Zahlen zeigen, dass die Schlichtung immer stärker angenommen wird. Nach einem über Jahre relativ stabilen Niveau verzeichnen wir jetzt einen deutlichen Anstieg. 2025 liegen wir jetzt schon fast auf dem Niveau des gesamten Vorjahres – und es sind noch gut drei Monate übrig. Gibt es für Sie auch eine rechtspolitische Dimension Ihrer Arbeit als Schlichter? Natürlich geht es im Kern darum, einen konkreten Konflikt zwischen Anwältinnen und Anwälten und ihren Mandantinnen oder Mandanten zu befrieden. Aber das Ganze hat auch eine gesellschaftliche Dimension: Unser gesellschaftliches Klima wird rauer, Kompromissbereitschaft nimmt ab. Wenn eine Institution wie die Schlichtungsstelle dazu beiträgt, Streit zu vermeiden oder zu befrieden, ist das ein Gewinn für die Gesellschaft. In den letzten Jahren sind Anwältinnen und Anwälte, gerade in sozialen Medien, öfter in die Kritik geraten – etwa wenn sie unbeliebte Mandate übernehmen. Sehen Sie da einen Zusammenhang mit dem raueren gesellschaftlichen Klima? Unbedingt. Das ist eine neue und sehr bedenkliche Entwicklung. Sie macht auch vor der Richterschaft nicht halt und trifft ebenso Anwältinnen und Anwälte. Dabei greifen bestimmte Gruppen die Unabhängigkeit der Anwaltschaft an – und zwar gerade dann, wenn Anwälte im Interesse ihrer Mandanten handeln. Doch genau das ist ihr einziger Maßstab. Die Schlichtungsstelle ist Ausdruck der Selbstverwaltung der Anwaltschaft. Kritiker bemängeln, dass diese zu bürokratisch und schwerfällig sei. Was entgegnen Sie diesem Vorwurf? Kritik ist legitim, und jede Institution muss sich ihr stellen. Auch Anwaltskammern und die Bundesrechtsanwaltskammer sind soziale Systeme mit Beharrungstendenzen – das ist normal. Aber man darf die Alternative nicht vergessen: Ohne Selbstverwaltung gäbe es staatliche Fremdbestimmung. Das wäre sicher keine bessere Lösung. Natürlich gibt es das Imageproblem, dass Kammern als elitär oder als „closed shop“ wahrgenommen werden. Aber dem kann man kommunikativ begegnen. Wichtig ist, sich immer vor Augen zu halten, warum Selbstverwaltung existiert: Sie sichert die Unabhängigkeit der Anwaltschaft und trägt damit zur Stabilität des Rechtsstaats bei. Interview: Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer .publ., und Ass. jur. Anja Jönsson Prof. Dr. Bertram Schmitt war Richter u.a. am Internationalen Strafgerichtshof und am Bundesgerichtshof. Seit dem 1.5.2025 ist er Schlichter in der unabhängigen Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft. Foto: Kirsch
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