BRAK-Magazin Ausgabe 5/2025

IMPRESSUM Bundesrechtsanwaltskammer – Körperschaft des öffentlichen Rechts, Littenstraße 9, 10179 Berlin Redaktion: Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ. (verantwortlich) Verlag: Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln (ausführliches Impressum unter www.brak.de/zeitschriften) EDITORIAL SILIVRI … Rechtsanwalt Dr. Christian Lemke, Vizepräsident der BRAK und Präsident der Rechtsanwaltskammer Hamburg … ist ein eigentlich beschaulicher türkischer Ort am Marmarameer. Allerdings, so heißt es in der Türkei, Silivri ist„kalt“ – es steht für das dortige berüchtigte Hochsicherheitsgefängnis, welches mit über 11.000 Insassen als das größte in Europa gilt. Eine Vielzahl von Oppositionspolitikern – darunter der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu – und deren anwaltliche Vertreter sind dort aufgrund fadenscheiniger Vorwürfe auf häufig unabsehbare Zeit inhaftiert. Weil das Gefängnis dem Image des Bezirkes schade, beantragte der Bürgermeister von Silivri 2022 beim Justizministerium, es umzubenennen. Seitdem heißt es „Marmara Ceza İnfaz Kurumları Kampüsü“, also „Marmara StrafvollzugsanstaltenCampus“. Die Schönfärberei ändert nichts daran, dass es sich um einen Schreckensort handelt. Ein Gelände von rund einer Million Quadratmetern mit acht separaten, geschlossenen „Typ L“-Gefängnissen und hochsicheren Gerichtssälen für Verfahren mit vielen Angeklagten. Einer davon ist eine umgebaute Sporthalle für über 700 Personen, in deren Mitte sich ein Bereich für bis zu 180 Angeklagte befindet, die dort von bewaffnetem Sicherheitspersonal umringt werden. In eben diesem Gerichtsaal fanden im Mai und September die strafgerichtlichen Verhandlungen gegen den gesamten Istanbuler Kammervorstand einschließlich ihres Präsidenten Prof. Dr. İbrahim Kaboğlu statt. Sie wurden bereits im März sämtlich per gerichtlichem Beschluss ihrer Ämter enthoben und wegen Terrorpropaganda und Verbreitung irreführender Informationen angeklagt. Hintergrund sind Veröffentlichungen der Kammer, die eine Untersuchung der Tötung zweier kurdischer Journalisten – aus Sicht des zuständigen Staatsanwalts Terroristen – durch einen türkischen Drohnenangriff forderte und insoweit mutmaßte, es handele sich neben einem Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht auch um ein Kriegsverbrechen. Den betroffenen Kolleginnen und Kollegen drohen langjährige Haftstrafen. Für eine Vielzahl von Anwaltsorganisationen u.a. aus Frankreich, Italien, den Niederlanden, der Schweiz, Griechenland, Norwegen Grund genug, sich mit der türkischen Anwaltschaft zu solidarisieren und Prozessbeobachter zu entsenden, ebenso wie der CCBE, die European Lawyers Foundation, der DAV, die Rechtsanwaltskammer Berlin und selbstverständlich auch die BRAK, für die ich jeweils vor Ort war. Wir alle durften am ersten Prozesstag am 29. Mai die Stellungnahmen der betroffenen Kolleginnen und Kollegen verfolgen. Sie legten eindringlich dar, dass es Ausdruck von Willkür und Missachtung jeder Rechtsstaatlichkeit ist, Kammervorstände strafrechtlich zu belangen, nur weil sie Aufklärung mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen fordern. Und sie machten deutlich, dass sie sich weiterhin für Recht und Gesetz einsetzen. Wir durften miterleben, wie die standhaften Kolleginnen und Kollegen in den Folgeterminen am 9. und 10. September die der Einschüchterung dienende und nach türkischem Recht verfassungswidrige Wahl des Gerichtsortes beanstandeten. Und wir mussten ein Gericht erleben, das alle Argumente an sich abperlen ließ – nicht anders als der anwesende Staatsanwalt, der sich weder äußern noch irgendeinen Antrag stellen mochte, weil er nur nicht (!) instruierter Vertreter seines zuständigen Vorgesetzten sei. Eben dieser soll sich derweil durchaus im Gerichtsgebäude aufgehalten haben – offensichtlich eine allein der Zermürbung dienende Verschleppungstaktik. Weitere Folgetermine sind angesetzt. Offenbar auch um es den vielen internationalen Beobachtern schwerer zu machen, soll gleich über fünf Tage vom 5. bis 9. Januar 2026 verhandelt werden. Die BRAK wird es sich nicht nehmen lassen, die Prozessbeobachtung vor Ort gemeinsam mit unseren Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland fortzusetzen, weiterhin zu berichten, sich deutlich zu äußern und unseren türkischen Kolleginnen und Kollegen im Kampf für eine freie und unabhängige Anwaltschaft, für Rechtsstaatlichkeit und gegen Willkür solidarisch beizustehen! Foto: BRAK

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