BRAK MAGAZIN 4/2025 9 lich für den Gemeindevorsitz kandidiert. Die Dienstreise nach Cizre sei im Rahmen der Berufsausübung erfolgt, ferner habe es dazu bereits ein Verfahren gegeben, welches rechtskräftig eingestellt worden war. Neue Beweise gebe es nicht. Schließlich könne das Foto keine strafrechtliche Anklage begründen, da die Tat jedenfalls verjährt wäre. Am Ende des Prozesstages wurde Epözdemir zur großen Überraschung und vor allem Erleichterung aller unter richterlicher Aufsicht aus der Haft entlassen, ein Ausreiseverbot wurde verhängt. Die Prozessbeobachter konnten ihn am späten Abend in den Räumlichkeiten der Istanbuler Kammer in Empfang nehmen. Insgesamt nahmen etwa 80 Beobachterinnen und Beobachter aus der Anwaltschaft an den beiden Tagen teil. Vertreten waren die Anwaltschaften u.a. aus Frankreich, Belgien, der Schweiz, den Niederlanden, dem Kongo, Bulgarien und Italien, sowie Organisationen wie der CCBE, die Union Internationale des Avocats, Lawyers4Lawyers und Advocats sans Frontières. Ebenfalls im Gerichtssaal anwesend waren einige konsularische Gesandte. VERANSTALTUNG ÜBER NEUE EUROPARATSKONVENTION Am 27.5.2025, dem Vortag des ersten Prozesses, führte die Istanbuler Kammer gemeinsam mit der Vereinigung der Rechtsanwaltskammern der Türkei eine Konferenz über die neue Europaratskonvention zum Schutz des Anwaltsberufs durch. Zahlreiche der Prozessbeobachter traten als Sprecher auf. Betont wurde von Gastgebern wie Gästen das gemeinsame Bekenntnis zu europäischen und internationalen Grundrechten und Standards, insbesondere zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und zur EMRK, sowie das Engagement der Türkei bei der Erarbeitung der neuen Europaratskonvention und die Hoffnung der türkischen Kolleginnen und Kollegen auf die Unterzeichnung durch ihr Land. Dr. Lemke saß für die BRAK auf dem Panel und appellierte mit Blick auf die deutsche Geschichte an die Pflicht eines jeden Anwalts und einer jeden Anwältin, solche Normen in ihrer täglichen Arbeit lebendig zu machen. Wenige Tage zuvor fand in Istanbul zudem eine internationale familienrechtliche Tagung statt, an der für die BRAK die Familienrechtsexpertin Dr. Kerstin Niethammer-Jürgens teilnahm. Auch in diesem Rahmen wurde die Solidarität mit dem Istanbuler Kammervorstand bekundet. PERSPEKTIVE Es stellt sich die Frage, was man als europäische Anwaltsverbände noch tun könnte, um die türkischen Kolleginnen und Kollegen zu unterstützen. Im September werden die Verfahren gegen den Kammervorstand sowie gegen Epözdemir fortgesetzt, die deutsche Anwaltschaft wird wieder als Beobachterin teilnehmen und dadurch Flagge zeigen. Eine weitere Möglichkeit liegt in der Unterstützung als Amicus Curiae im Verfahren. Der französische nationale Anwaltsverband CNB ist diesen Schritt bereits gegangen. Der CCBE wird sich in den straf- und zivilrechtlichen Verfahren gegen den Vorstand als Amicus Curiae einbringen. Die BRAK hat beschlossen, sich dem anzuschließen. Außerdem muss unbedingt Öffentlichkeit auch in Deutschland hergestellt werden, in Bezug auf das Vorgehen gegen die Anwaltschaft. Den europäischen Anwaltskammern kommt hier eine besondere Rolle zu und dem dient auch dieser Bericht. Am 19.6.2025, nach Rückkehr der Beobachter, ist erneut Mehmet Pehlivan, Anwalt des inhaftierten Istanbuler Bürgermeisters İmamoğlu, wegen Vorwürfen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit verhaftet worden. Die BRAK hat sich ebenso wie der CCBE in einer Pressemitteilung klar dazu verhalten. Der türkische Staat, hochgeschätzter Partner der EU in Wirtschafts- wie in außenpolitischen Angelegenheiten und einst Verbündeter in Sachen Lawyers‘ Convention und europäische Grundrechte darf nicht verloren gehen. Foyer des Silivri-Gefängnisses: Kammerpräsident Prof. Kaboğlu (8. v.l.) im Kreise der Prozessbeobachter, u.a. mit BRAK-Vizepräsident Dr. Lemke (6. v.r.) Foto: Astrid Gamisch
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