BRAK-Magazin Ausgabe 04/2025

BRAK MAGAZIN 4/2025 8 fung eingelegt. Am 23.2.2025 fand deswegen eine außerordentliche Kammerversammlung statt, zu der auch die internationale Anwaltschaft zur Solidaritätsbekundung eingeladen wurde. In einem gemeinsamen Statement äußerten sich vier UNSonderberichterstatter, darunter die Sonderberichterstatterin für die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten, kritisch zu den beiden Verfahren. PROZESSTAG IN SILIVRI Am 28.5.2025 fand die erste Anhörung statt. Für die Beobachterinnen und Beobachter ging es früh am Morgen mit Reisebussen in die ca. 100 km von Istanbul entfernte Gefängnisstadt Silivri, die als Anstalt für politische Häftlinge bekannt und Europas größter Hochsicherheitstrakt ist. Die Ortswahl wurde vielfach als Versuch kritisiert, der Öffentlichkeit die Teilnahme zu erschweren, auch die Verteidigung sei dadurch beeinträchtigt. Der für die Anhörung gewählte Hauptgerichtssaal ähnelt einer Turnhalle. Er bietet Platz für 200 Angeklagte und deren Verteidiger, die elf angeklagten Vorstandsmitglieder nahmen im vorderen Teil Platz. Vor der „Zuschauertribüne“ am hinteren Ende des Saals und im gesamten Saal verteilt saßen Polizisten. Der Prozess begann mit Unruhe. Offenbar sollten nicht alle vorgesehenen Anwältinnen und Anwälte auftreten dürfen, es scheiterte an Formalia, welche sich offenbar häufig und nicht vorhersehbar ändern. Für die Beobachtenden übersetzten und erklärten türkische Anwältinnen und Anwälte das Geschehen über Messengerdienste. Alle elf Angeklagten kamen in der Anhörung zu Wort. Kaboğlu entschied sich gegen eine klassische Verteidigung und für eine rechtsbasierte Erklärung, in der er zahlreiche materiellrechtliche sowie Verfahrensfehler der Anklage aufzeigte. Er wies zunächst auf die Rolle der Anwaltskammer als öffentliche Institution zum Schutz von Rechtsstaat und Grundrechten hin, der sie durch das Statement nachgekommen sei. Durch die Kriminalisierung der Stellungnahme sei diese Rolle verletzt worden. Zudem habe die Genehmigung des Justizministeriums gefehlt – ein Verfahrensfehler. Diese ist aufgrund von berufsrechtlichen Regelungen bei Ermittlungen gegen Anwälte wegen Vorgängen im Zusammenhang mit ihrer Berufsausübung erforderlich. Außerdem seien Ermittlungsinhalte an die Presse weitergegeben worden. Materiellrechtlich wurde das Fehlen der objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale geltend gemacht: Sollte es sich bei den seit Jahren journalistisch arbeitenden und in der Presse übereinstimmend als Journalisten bezeichneten Getöteten in Wahrheit, wie von staatlicher Seite behauptet, um Terroristen handeln, hätte die Kammer keine Kenntnis davon haben können, schließlich sei man kein Geheimdienst. Fırat Epözdemir wies zudem auf das zeitliche Zusammenfallen beider Prozesse hin, welches ihm die Vorbereitung auf seine Anhörung am nächsten Tag erschwere. Plötzlich war es dann vorbei – das Verfahren sollte am nächsten Tag fortgesetzt werden. Bei den internationalen Beobachtern herrschte Verwirrung darüber, ob man sich nun in zwei Gruppen aufteilen und an beiden Verfahren teilnehmen oder wie geplant geschlossen zu Epözdemirs Anhörung in Istanbul gehen solle. Beide Anhörungen wären aufgrund der geografischen Distanz kaum machbar gewesen. Die Entscheidung fiel für Letzteres. ANHÖRUNG DES INHAFTIERTEN Am nächsten Tag fanden sich die Beobachter also gemeinsam mit zahlreichen türkischen Kolleginnen und Kollegen für das Verfahren gegen das separat angeklagte kurdische Vorstandsmitglied Fırat Epözdemir im möglicherweise größten Gericht Europas, dem Istanbuler Çağlayan-Justizpalast, ein. Er war auf seiner Rückreise von einem Treffen von Vertretern der Anwaltschaft mit dem Europarat am 23.1.2025 verhaftet worden. Vorgeworfen wird ihm die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und Propaganda für selbige aufgrund von Vorgängen aus dem Jahr 2015. Anders als die anderen befand Epözdemir sich am Prozesstag seit beinahe fünf Monaten in Silivri in Untersuchungshaft. Noch vor dem Start des eigentlichen Prozesses kamen aus dem dortigen Gerichtssaal auch guten Nachrichten: Das Verfahren gegen den gesamten Vorstand wurde auf September verschoben, niemand wurde verhaftet. Die Beobachter mussten wieder warten, der vom Gericht ausgewählte Saal war viel zu klein für die bis zu 80 zusätzlichen internationalen Repräsentanten. Innerhalb relativ kurzer Zeit konnten aber zwei andere Gerichtssäle zur Verfügung gestellt werden, in denen das Verfahren über Videoleinwände verfolgt werden konnte, wieder unter Zuhilfenahme der Messenger-Übersetzung. Den Anschuldigungen gegen Epözdemir liegt u.a. eine sich aus seiner Kommunalkandidatur im Jahr 2014 ergebende angebliche Mitgliedschaft in der Partei HDK (Demokratischer Kongress der Völker) zugrunde. Diese soll auf Anweisung der PKK gegründet worden sein. Ferner war Epözdemir zur Koordinierung einer Reise der Anwaltskammer nach Cizre „passives“ Mitglied einer WhatsApp-Gruppe, was seine Verbindung zu illegalen Organisationen untermauern soll. Und es wurde ein Foto vorgelegt, auf dem er ein traditionelles Kopftuch in den kurdischen Farben trägt. Epözdemir wandte dagegen u.a. ein, dass er keine Rolle in der HDK innehabe, die Organisation sei schon nicht illegal, außerdem habe er damals ledig-

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