BRAK MAGAZIN 4/2025 16 WAS WÄRE, WENN? Verfassungsblog untersucht Vulnerabilität der Justiz Was wäre, wenn…? Mit dieser Frage befasst sich seit einigen Jahren der vom Juristen Maximilian Steinbeis gegründete Verfassungsblog, ein akademischer Open-Access-Blog, der sich mit verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Themen beschäftigt. Begonnen hatte es mit dem „Thüringen-Projekt“, in dem wissenschaftlich über gut eineinhalb Jahre am Beispiel Thüringens untersucht wurde, welche Spielräume eine autoritärpopulistische Partei hätte, um ihre Macht zum Schaden der Demokratie einzusetzen. Das Forschungsprojekt endete im Dezember 2024. Einige Monate zuvor hatten die Thüringerinnen und Thüringer die AfD zur stärksten Fraktion im Landtag gewählt und das Projekt mit erschreckender Aktualität versehen. Seitdem kann man zuschauen, wie sich die Vorhersagen aus dem Thüringen-Projekt verwirklichen: Seit Monaten blockiert die Fraktion den Richterwahlausschuss und vor wenigen Wochen wurde ein von der AfD benannter Rechtsanwalt auch mit Stimmen der Regierungsfraktionen zum stellvertretenden Richter des Landesverfassungsgerichts gewählt. Der Verfassungsblog hat nun ein neues Projekt gestartet: das „Justiz-Projekt“. Fragen dazu an den Münchener Rechtsanwalt Lennart Laude, zugleich wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Justiz-Projekt. Warum hat der Verfassungsblog jetzt das neue Projekt gestartet? Worin besteht der Unterschied zum Thüringen-Projekt? Wir haben beim Thüringen-Projekt sehr umfassend die Frage gestellt: Was kann passieren, wenn autoritäre Populisten staatliche Machtmittel in die Hand bekommen? Wir meinen damit Parteien, die das Ziel haben, einen autoritären Staat zu errichten. Sie nutzen dabei Populismus als ihre Methode, das Ziel zu erreichen. Dabei haben wir uns auf Thüringen konzentriert, weil es hier seit Jahren besonders instabile politische Verhältnisse gab und sich abzeichnete, dass sich diese mit den Landtagswahlen 2024 verschärfen werden. Wir haben dabei festgestellt, dass es Bereiche gibt, in denen es leichter als in anderen möglich ist, bisher politisch oder rechtlich anerkannte Grenzen zu überschreiten und Einfluss auf Institutionen zu nehmen. Und dazu gehört aus unserer Sicht vor allem auch die Justiz. Dies zeigt sich insbesondere durch die massive Kampagne in Thüringen, die dortige Justiz und das Landesverfassungsgericht bereits im Vorfeld und weiter im Anschluss an die konstituierende Sitzung des Landtags im September 2024 öffentlich zu delegitimieren. Deshalb haben wir unsere Erfahrungen aus dem Thüringen-Projekt zum Anlass genommen, uns diesen sensiblen Bereich – diesmal nicht nur für Thüringen, sondern für ganz Deutschland – genauer anzuschauen und zu untersuchen: Was gibt es hier für Einfallstore, was gibt es für Verwundbarkeiten? Wenn es sich anbietet, wollen wir Vorschläge entwickeln, wie man die Resilienz der Justiz stärken kann. Schaut man sich einmal international um: In vielen Ländern ist ja die Justiz unter Druck. Ganz genau. Die USA sind dafür natürlich ein eindrückliches und medienpräsentes Beispiel. Und hier in Europa sind ja nach wie vor die Beispiele Ungarn und Polen sehr präsent. Aber da hört es ja nicht auf, in Israel, Mexiko, Indien, Taiwan, da passiert ganz viel abseits der breiten Öffentlichkeit. Unsere Erfahrungen zeigen, dass autoritäre Populisten in verschiedenen Staaten ähnliche Strategien verfolgen. Deshalb schauen wir uns auch den „Werkzeugkasten“ von autoritären Populisten in anderen Ländern an, uns ist dieser Blick über den nationalen Tellerrand besonders wichtig. Wir können von solchen Erfahrungen nur lernen. Wie genau gehen Sie denn jetzt an das Projekt heran? Wir untersuchen insbesondere die Gerichtsorganisation und den Personalbereich. Hier gibt es viele Möglichkeiten, direkt auf die Justiz Einfluss zu nehmen: Beispielsweise kann aus einem Justizministerium versucht werden, Zuständigkeiten zwischen Gerichten zu verschieben oder Spruchkörper zu verändern. Es ist denkbar, dass mittels gewisser Hebel versucht wird, ein bestimmtes Verfahren nicht nur einem bestimmten Gericht, sondern sogar einem bestimmten Richter zuzuweisen. Auch über die Finanzierung der Gerichte – bzw. deren Kürzung – kann Einfluss genommen werden; ein solches „Defunding“ war in anderen Staaten zu beobachten. Wir wollen uns hier genau anschauen, wie das funktioniert und ob es tatsächlich systemische Schwachstellen gibt.
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