BRAK MAGAZIN 4/2025 11 ZWISCHEN STOLPERSTEINEN UND ZIVILCOURAGE Unterwegs auf den Spuren von Hans Litten Baran Adli, Berlin* Als Hans-Litten-Schüler wollten wir mehr über den Menschen wissen, dessen Namen unsere Schule trägt. Am 12.6.2025 machte sich unsere Klasse auf den Weg ins Berliner Kloster- und Scheunenviertel – begleitet von der App Actionbound. Ein vom Haus Kreisau entwickelter digitaler Guide vermittelte nicht nur historisches Wissen, sondern stellte gezielte Reflexionsfragen zu Gerechtigkeit, Mut und Zivilcourage. So wurden wir Teil einer aktiven Auseinandersetzung mit Geschichte und Gegenwart. Ziel der Exkursion war die Blindenwerkstatt Otto Weidt, doch im Mittelpunkt stand Hans Litten – ein Anwalt, der mutig gegen das NS-Regime kämpfte. Wir folgten seinen Spuren: vorbei an Gedenkorten, Stolpersteinen und historischen Gebäuden. MOLKENMARKT Der Rundgang begann am Molkenmarkt, wo Hans Litten in der Kanzlei Barbasch arbeitete und den Kriegsgegner Ernst Friedrich verteidigte. Bei der nahegelegenen Bundesrechtsanwaltskammer hinterließ eine große Metalltafel mit den Namen der Rechtsanwälte, die im Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden, Eindruck. Im Gespräch mit der Geschäftsführerin Kristina Trierweiler erfuhren wir, dass weltweit noch immer Jurist:innen unter großem Risiko arbeiten. Diese mutigen Anwält:innen werden – so Frau Trierweiler – gebraucht, um für Recht und Menschlichkeit zu kämpfen. SCHEUNENVIERTEL Von hier aus ging es weiter ins Scheunenviertel. In der Zolastraße 1 entdeckten wir die Stolpersteine von Hans Litten, seinem Freund Max Fürst und seit dem 2.7.2024 auch von Margot Fürst, die trotz ihrer wichtigen Rolle als Sekretärin und Mitstreiterin Littens lange Zeit im Schatten der Männer stand. Dass unsere Schule an der Verlegung dieses Stolpersteins mitgewirkt hat, verlieh dieser Station eine besondere Nähe. Geschichte wurde greifbar – nicht nur durch die Steine im Gehweg, sondern durch die uns Schülern zukommende Verantwortung, Erinnerung lebendig zu halten. Die App Actionbound forderte immer wieder dazu auf, sich in die Situation zu Beginn der 1930er Jahre hineinzuversetzen. In Gesprächen mit Passant:innen fragten wir: „Würden Sie vor Gericht eine Falschaussage machen, wenn Ihre Familie bedroht wird?“ Die Antworten fielen unterschiedlich aus. Eine Frau sagte klar: „Ich würde nicht lügen, weil Lügen zum Problem beiträgt.“ Ein anderer Passant meinte nach kurzem Zögern: „Dazu gibt es keine richtige Antwort.“ BLINDENWERKSTATT WEIDT Am Ziel angekommen – in der Blindenwerkstatt Otto Weidt – wurde aus Geschichte ein Raum der Erfahrung. Das enge Versteck, in dem die für Weidt arbeitende jüdische Familie Horn Schutz suchte, machte Zivilcourage auf beklemmende Weise spürbar. Mut zeigte sich hier nicht in großen Gesten, sondern im Verborgenen: als stiller Schutz, der jegliches Risiko in Kauf nimmt, um die Menschlichkeit vor der Auslöschung zu bewahren. ZWISCHEN DEN STATIONEN Der Actionbound führte uns strukturiert durch die Stationen. Doch das Entscheidende geschah dazwischen: in den Momenten, in denen klar wurde, dass Hans Litten kein fernes Vorbild ist, sondern auch nur ein junger Anwalt ohne viel Erfahrung, aber mit umso mehr Mut. Sein juristischer Widerstand gegen das NS-Regime war gefährlich und dennoch notwendig. Er zahlte einen hohen Preis, aber gerade darin liegt seine Größe. Ich empfehle diese Tour jeder Schulklasse an der Hans-Litten-Schule. Sie macht Geschichte erlebbar, stellt unbequeme Fragen – und führt dazu, Antworten nicht nur in Büchern zu suchen, sondern auch in sich selbst. Sie zeigt: Zivilcourage ist keine große Bühne, sondern eine Haltung im Alltag. Für die Zukunft wünsche ich mir mehr solcher Projekte. Denn Erinnerung allein reicht nicht. Wer den Namen Hans Litten am Schuleingang nur liest, aber nicht begreift, warum er handelte, verpasst das Wesentliche: Dass Demokratie kein Zustand ist, sondern ein täglicher Prozess. Und dass Mut oft dort beginnt, wo das Schweigen bequem wäre – aber nicht richtig. * Baran Adli ist Schüler der Klasse E44 der Berliner Hans-Litten-Schule. Die Schülerinnen und Schüler der Litten-Schule zu Besuch bei der BRAK
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