BRAK-Magazin Ausgabe 3/2025

BRAK MAGAZIN 3/2025 10 Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ., BRAK, Berlin Wieder so ein erfolgloses prozesstaktisches Befangenheitsgesuch. Das mag man leicht gelangweilt denken, wenn man den kürzlich veröffentlichten Beschluss des OLG München (Beschl. v. 28.11.2024 – 19 U 3139/20) überfliegt. Doch darin steckt sehr viel mehr. Eigentlich ging es um ein zivilrechtliches „Dieselverfahren“. Im Termin zur mündlichen Verhandlung äußerte der Rechtsanwalt, der die Klägerin vertrat: „Was die Beklagtenvertreter und Wirtschaftsflüchtlinge gemeinsam haben? Man kann ihnen absolut nichts vorwerfen, denn sie nutzen lediglich ein marodes System aus.“ Der Vorsitzende Richter forderte ihn daraufhin auf, er solle seine AfD-Polemik aus diesem Gerichtssaal herauslassen. Der Anwalt quittierte dies mit einem Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden. Den Antrag lehnte das OLG ab und begründete ausführlich, weshalb die Aufforderung des Richters ebenso wenig wie seine Stellungnahme zum Ablehnungsgesuch an seiner Unparteilichkeit zweifeln lässt. Denn mit dem Begriff„Wirtschaftsflüchtling“ habe der Anwalt sich der Rhetorik bedient, die laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz auch die AfD in ihrem Wahlkampf nutzte, und diese sei laut dem OVG Münster zu Recht als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft worden. Die besondere Treuepflicht habe von dem Richter verlangt, in einer öffentlichen Verhandlung einzuschreiten, als der Klägervertreter – ohne sachlichen Zusammenhang zum Gegenstand des Verfahrens – Flüchtlingen einen Missbrauch des Asyl-Grundrechts unterstellte und sich dabei der Rhetorik einer rechtsextremistischen Partei bediente. Die Entscheidung betrifft ein Spannungsfeld: Wie sollen Richterinnen und Richter reagieren, wenn Verfahrensbeteiligte sich politisch äußern und den Gerichtssaal damit quasi zur Bühne für ihre extremistische Anschauung machen? Denn selbstverständlich dürfen Anwältinnen und Anwälte sich in gerichtlichen Verfahren im Grundsatz frei äußern, ihre Argumente oder ihre Kritik am Gericht auch pointiert und scharf formulieren, selbst Polemik ist erlaubt. Das berufsrechtliche Sachlichkeitsgebot des § 43a III BRAO lässt ihnen einen recht weiten Spielraum, das belegt die reichhaltige Rechtsprechung zu dieser Vorschrift. Unsachliche, beleidigende oder abwertende Äußerungen gegen andere Verfahrensbeteiligte, die keinen Zusammenhang mit dem Fall haben, sind jedoch unzulässig und berufsrechtlich sanktionierbar – gleich, ob die Äußerungen einer rechtsextremistischen Partei zuzuordnen oder aus anderen Gründen unangemessen und geschmacklos sind. Die richterliche Prozessleitung soll für ein faires Verfahren und eine zielführende Erörterung der Sach- und Rechtslage sorgen. Daher können Richterinnen und Richter zu ausschweifenden Vortrag von Parteivertretern unterbinden, selbst wenn er zur Sache ist, oder können ihnen das Wort entziehen, um andere Verfahrensbeteiligte vor verbalen Angriffen zu schützen. Politische Parolen ohne Bezug zum Verfahrensgegenstand fördern wohl kaum ein zielführendes Verfahren, und wenn sie zudem, wie es das OLG hier feststellte, offenbar nur der Diffamierung und/oder Provokation des gegnerischen Prozessbevollmächtigten dienen, sind sie zu unterbinden. Dabei ist ebenfalls nicht relevant, ob es sich um rechtsextremistische oder um andere diffamierende bzw. provozierende Äußerungen handelt. Gerade aber bei politischen Äußerungen, die den Kern unseres Rechtsstaats oder unsere Grundrechte in Frage stellen, ist eine Prozessleitung wichtig, die klare Grenzen setzt. Dazu muss man nicht – wie der Vorsitzende im Fall des OLG München – die Parolen extremistischer Parteien kennen oder gar einschlägige Szene-Anwälte. Ganz einfach gesagt: Es genügt, unser Grundgesetz zu kennen. Wenn in einem Gerichtssaal politische Äußerungen fallen, die sich gegen rechtsstaatliche Werte richten, ist nicht nur die Richterschaft, sondern sind gleichermaßen Anwältinnen und Anwälte gefragt, Grenzen zu setzen – schließlich haben wir alle den Eid geleistet, unsere verfassungsmäßige Ordnung zu wahren. Foto: Alisles/shutterstock.com DER GERICHTSSAAL ALS POLITISCHE BÜHNE?

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