APRIL 2025 · AUSGABE 2/2025 STARKES ZEICHEN FÜR RECHTSSTAATLICHKEIT DER NEUJAHRSEMPFANG DER EUROPÄISCHEN ANWALTSCHAFTEN IN BRÜSSEL Geldwäscheprävention: Was die nächste FATF-Prüfung für Anwält:innen verschärft Fachkräfte für die Kanzlei: Wie Azubis als Botschafter für ihren Beruf begeistern Konflikte im Mandat: Wie die Schlichtungsstelle beim Lösen hilft Foto: Astrid Gamisch EU-Justizkommissar Michael McGrath beim Neujahrsempfang der BRAK in Brüssel
Tschöpe Arbeitsrecht Handbuch Begründet von Dr. Ulrich Tschöpe. Bearbeitet durch ein hochkarätiges Autorenteam aus der Praxis. 14. neu bearbeitete Auflage 2025, ca. 3.500 Seiten, gbd., 189 €. ISBN 978-3-504-42075-8 Das Werk online otto-schmidt.de/aka juris.de/arbr Optional mit Answers otto-schmidt.de/answers Sieben auf einen Streich Der Tschöpe bietet in bewährter Qualität einen umfassenden Überblick über das gesamte Individual- und Kollektivarbeitsrecht sowie das Arbeitsgerichtsverfahren. Das Handbuch konzentriert sich dabei auf praxisnahe Fallgestaltungen im Arbeitsrecht und ist dank optisch hervorgehobener Prüfungsschemata, Checklisten, Beispiele und Formulierungsvorschläge der optimale Begleiter in der arbeitsrechtlichen Beratung. In sieben Teilen alles Relevante der gängigen Praxis: Begründung von Arbeitsverhältnissen und ihre vertragliche Gestaltung, Regelungen im Rahmen eines bestehenden Arbeitsverhältnisses, Änderung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Kollektives Arbeitsrecht, Arbeitsgerichtsverfahren, Arbeitnehmerschutz, Arbeitsförderung und Rentenrecht. Neben der aktuellen Rechtsprechung und Gesetzgebung ist ein neues Kapitel zum Hinweisgeberschutz eingearbeitet. Gratis-Leseprobe und Bestellung unter otto-schmidt.de Neu: Kapitel zum Hinweisgeberschutz
IMPRESSUM Bundesrechtsanwaltskammer – Körperschaft des öffentlichen Rechts, Littenstraße 9, 10179 Berlin Redaktion: Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ. (verantwortlich) Verlag: Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln (ausführliches Impressum unter www.brak.de/zeitschriften) EDITORIAL VIELLEICHT EINE GROSSE ERFOLGSGESCHICHTE! Die Europarats-Konvention zum Schutz des Anwaltsberufs ist beschlossen Rechtsanwältin Dr. Margarete Mühl-Jäckel, LL.M. (Harvard), Potsdam Vorsitzende des BRAK-Ausschusses Menschenrechte Es könnte eine große Erfolgsgeschichte werden mit der Konvention des Europarats zum Schutz der Berufsausübung der Anwaltschaft! Das Ministerkomitee beschloss den Text der Konvention und des Erläuterungsberichts am 12.3.2025. Das Verfahren der Ratifikation beginnt voraussichtlich im Mai 2025. Nach Ratifikation durch mindestens acht Staaten, davon sechs Mitgliedern des Europarats, tritt die Konvention in Kraft. Über sieben Jahre dauerte die Arbeit an dem Projekt der Konvention. Von Anfang an beteiligte sich die BRAK, vor allem durch ihre Ausschüsse Menschenrechte und Europa, intensiv. Die Initiative ging 2016 von französischen Kollegen über den Rat der Europäischen Anwaltschaften (CCBE) aus; dieser schlug dem Generalsekretär des Europarats vor, eine Konvention zum Schutz der Berufsausübung der Rechtsanwälte zu erarbeiten. Die Antwort war diplomatisch offen! Aber es folgten erste konkrete Schritte. 2017 nahm der Ausschuss Menschenrechte Stellung zu der noch vagen Perspektive einer Europarats-Konvention. Zentral war die Frage, ob und warum eine Konvention erforderlich sei. Denn die Freiheitsgarantien der EMRK umfassen in der Auslegung des EGMR auch die anwaltliche Berufsfreiheit. Dagegen behandeln die UN Basic Principles on the Role of Lawyers (1990) und die Recommendation Rec(2000)21 des Ministerkomitees des Europarats nur Teilaspekte und sind nicht rechtsverbindlich. Das bestehende Regelungsbedürfnis – die grundlegende rechtspolitische Frage, von der die Realisierung des Projekts im Europarat abhing – musste auch den zuständigen nationalen Ministerien vermittelt werden. Bereits Ende 2017 leitete der CCBE dem Europarat eine erste Stellungnahme mit dem Entwurf einer Präambel zu – das Ergebnis einer eher spontanen Diskussion unter zahlreichen nationalen Anwaltsorganisationen. Anfang 2018 gab die Parlamentarische Versammlung des Europarats den Startschuss für die Erarbeitung einer Konvention. Es folgte eine längere Phase der internen Prüfung. Der CCBE richtete eine working group ein, deren Vorsitz der Pariser Rechtsanwalt Laurent Pettiti mit großem Engagement übernahm und an der auch ich mitwirkte. Die Zielstellung war klar: Eine rechtlich bindende Konvention sollte einen gegenüber der EMRK und dem case law des EGMR besseren Schutzstandard begründen. Doch es kamen auch warnende Signale aus den Mitgliedstaaten: Die bereits entwickelten Garantien der anwaltlichen Berufsfreiheit dürften im Zuge der Verhandlungen nicht verwässert werden. Daher wurde die Geltung der EMRK unter Berücksichtigung des case law des EGMR von vornherein gefordert. Auch wurde das Risiko, ob eine für das Inkrafttreten ausreichende Zahl von Staaten eine Konvention ratifizieren würde, kritisch erwogen. Zur Absicherung der rechtspolitischen Grundentscheidung ließ der zuständige Ausschuss des Europarats für Juristische Zusammenarbeit (CDCJ) 2019/2020 durch Jeremy McBride, Barrister in London, eine Machbarkeitsstudie erstellen. Diese verdeutlichte, dass die beachtliche Rechtsprechung des EGMR nicht alle regelungsbedürftigen Themen abdeckt. Mit einer umfassenden, rechtsverbindlichen Konvention würde eine klarere rechtliche Grundlage geschaffen. Darauf folgte der Beschluss, eine Konvention durch einen Expertenausschuss (CJ-AV) entwerfen zu lassen. Seit April 2022 wurde der Text schrittweise erarbeitet, eng begleitet von Mitgliedern der BRAK-Fachausschüsse. Der CCBE leistete bei der Zusammenführung der Beiträge zahlreicher nationaler Anwaltsorganisationen hervorragende Arbeit und hatte Beobachterstatus im CJ-AV. Festzuhalten bleibt: Auch angesichts massiver Verstöße gegen völkerrechtliche Verträge sollten diese rechtlichen Instrumente weiterhin zur Absicherung grundlegender Freiheitsrechte genutzt werden. Der Mehrwert der Konvention, auch für die Weiterentwicklung der Rechtsprechung des EGMR, wird nach deren Inkrafttreten in den nächsten Jahren zu beobachten sein.
BRAK MAGAZIN 2/2025 4 STARKES ZEICHEN FÜR DIE RECHTSSTAATLICHKEIT Der gemeinsame Neujahrsempfang der europäischen Anwaltschaften in Brüssel Rechtsanwältin Dr. Tanja Nitschke, Mag. rer. publ., BRAK, Berlin, und Ass. iur. Nadja Wietoska, BRAK, Brüssel Er ist eine lange Brüsseler Tradition: der Neujahrsempfang der Anwaltschaften. Gemeinsam läuteten BRAK, Österreichischer Rechtsanwaltskammertag, Česká advokátní komora, Orde van Vlaamse Balies, Bar Council of England and Wales, Ordre des Barreaux Francophones et Germanophones de Belgique und Barreau de Luxembourg am 3.2.2025 das neue Jahr ein. Es markiert zugleich den Beginn der Tätigkeit der seit Ende 2024 amtierenden neuen EUKommission – ein zukunftsweisender und spannender Zeitpunkt, wenige Tage bevor die Kommission ihr Arbeitsprogramm 2024–2029 veröffentlichte und kurz bevor die Gesetzgebungstätigkeit in Brüssel wieder Fahrt aufnimmt. AM PULS DER BRÜSSELER POLITIK Die europäische Politik und Gesetzgebung prägen das deutsche Recht seit vielen Jahren zunehmend. Bereits Anfang der 1990er Jahre entschied die BRAK daher, dass eine effektive Interessenvertretung der deutschen Anwaltschaft auch in Europa stattfinden muss. Das Brüsseler Büro der BRAK beobachtet deshalb die Aktivitäten und Vorhaben der EU-Institutionen und pflegt Kontakte mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments und mit Vertreterinnen und Vertretern der Kommission und des Rates. Wie auf nationaler Ebene informiert sie in Einzelgesprächen, durch Stellungnahmen und Beteiligung an Konsultationen darüber, welche Anliegen die Anwaltschaft hat und wie Anwältinnen und Anwälte als Rechtsanwendende aktuelle Gesetzesvorhaben sehen. BRÜSSELER NETZWERKEN Ihre Büroräume in Brüssel teilt die BRAK mit den Anwaltsorganisationen aus Österreich, Tschechien, Belgien, England und Wales und Luxemburg. Auch über diese Bürogemeinschaft hinaus pflegt sie engen Kontakt zu Anwaltsorganisationen aus anderen europäischen Ländern. Zudem wirkt sie im Rat der europäischen Anwaltschaften (CCBE) mit, der die Stimmen der nationalen Anwaltschaften bündelt und ihnen so mehr Gehör in Politik und Wirtschaft verschafft. Über 130 Gäste folgten der Einladung in die gemeinsame Repräsentanz in der Brüsseler Avenue des Nerviens. Neben den Mitgliedern der Präsidien der BRAK und der mitgastgebenden Anwaltsorganisationen kamen auch zahlreiche Personen aus dem Brüsseler Politikbetrieb, den europäischen Institutionen und den Generaldirektionen der EUKommission. Die Anwaltschaft war mit hochrangigen Repräsentantinnen und Repräsentanten des CCBE sowie Delegierten verschiedener EU-Mitgliedstaaten hervorragend vertreten. Wie wichtig die Repräsentanz der Anwaltsverbände in Brüssel und ihre Kooperation über nationale Grenzen hinaus sind, betonte auch die Präsidentin des Bar Council of England and Wales, Barbara Mills KC, zum Auftakt der Veranstaltung in ihrem Grußwort. KEIN POLICY BRIEFING, ABER VIEL RECHTSPOLITIK Als Festredner ergriff sodann der neue Kommissar für Demokratie, Justiz und Rechtsstaatlichkeit, Michael McGrath, das Wort. „Keine Sorge, ich gebe kein Policy Briefing“, versprach er eingangs, doch er gewährte wichtige Einblicke in die Pläne der neuen Kommission. An den Anfang seiner Rede stellte er, weshalb dabei die Anwaltschaft eine wichtige Rolle spielt: Anwältinnen und Anwälte seien die Hüter und Verteidiger unserer Rechtssysteme. Daher seien sie an vielen Stellen essenziell, um die verfassungsmäßige Ordnung zu verteidigen, um Opfer- und Beschuldigtenrechte zu wahren, um die Freiheit und Vielfalt von Medien zu schützen, um die Integrität des gemeinsamen Marktes sicherzustellen. Kurzum: Sie seien fundamental für gesunde demokratische Systeme. Umso wichtiger findet McGrath, dass Anwältinnen und Anwälte frei von externer Einflussnahme und Beschränkung ihren Beruf ausüben können. Vor diesem Hintergrund begrüßte er ausdrücklich die (wenige Tage später im Ministerkomitee des Europarats angenommene) Konvention zum Schutz des Anwaltsberufs, der – so hoffe er – alle Mitgliedstaaten, aber auch Staaten über die EU-Grenzen hinaus beitreten. Der Justizkommissar wurde von Kommissionspräsidentin von der Leyen damit betraut, eine neue Digital- und KI-Strategie für die Justiz zu erarbeiten. Dazu kündigte er an, er werde nicht nur mit den Mitgliedstaaten und dem Parlament sprechen, sondern setze auch auf die Expertise der Anwaltschaft. Im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit signalisierte McGrath, man wolle begonnene Gesetzesvorhaben zu Ende führen und existierende
BRAK MAGAZIN 2/2025 5 Maßnahmen auf Reformbedarf prüfen, u.a. die Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (Brüssel Ia) und die Verordnung über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anwendbare Recht (Rom II). Hier sei die praktische Expertise der Anwaltschaft gefragt. Außerdem sprach er die anvisierte Stärkung der Verbraucherrechte und die Bedeutung des Rechtsstaatlichkeitsberichts an. Diesen will die Kommission mit neuen Tools verfeinern und setzt auch dafür auf den Dialog mit der Anwaltschaft. Die BRAK hat sich bereits in die bisherigen Rechtsstaatlichkeitsberichte eingebracht und wird dies auch weiterhin tun. RECHTSSTAATLICHKEIT UND DEMOKRATIE VERTEIDIGEN Als zweite Festrednerin sprach die belgische Abgeordnete Saskia Bricmont (EFA-Group/Fraktion der Grünen). Sie ist Mitglied im für die Anwaltschaft wichtigen Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) des Europäischen Parlaments, der u.a. zuständig ist für die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit, Grund- und Bürgerrechten, den Datenschutz und die justizielle Zusammenarbeit. Bricmont betonte ebenfalls die wichtige Rolle der Anwaltschaft im Rechtsstaat als Verfechterin der Gerechtigkeit und Beschützerin der Grundrechte, auf denen unsere Freiheiten beruhen. Deshalb findet sie: Anwaltliche Expertise ist für die Gesetzgebungsarbeit des Parlaments elementar. Bisher sei die Kooperation sehr gut und verlässlich gewesen. In herausfordernden Zeiten und einer immer mehr polarisierten Welt müssten Rechtsstaatlichkeit und Demokratie immer wieder verteidigt werden – und dabei zählt Bricmont auf die Anwaltschaft. Sie nehme aber auch wahr, dass diese in vielen Staaten unter Druck sei, durch Regierungen, durch Gesetzgebung, die ihre Rolle im Justizsystem beeinträchtige, aber auch durch Aggression von Privatpersonen. Letzteres habe der im Dezember veröffentlichte Bericht des CCBE gezeigt. Auf solche Angriffe müsse man entschlossen reagieren. Wichtig sei auch, die Gefahren zu verstehen, die davon ausgehen, dass Politiker den Berufsstand missachten und Gesetze seine Rolle in Frage stellen. Die justizielle Zusammenarbeit ist aus Bricmonts Sicht ein Grundpfeiler des gemeinsamen Rechtsrahmens. Doch in der europäischen Justiz- und Innenpolitik sei es nicht immer einfach, das Gleichgewicht zwischen Sicherheit und individuellen Rechten zu finden. „Wir brauchen Sie dringend!“, adressierte sie die wichtige Rolle von McGrath – und zwar um die Befugnisse von Justiz und Polizei auszubalancieren und zu garantieren, dass Beschuldigten- und Verteidigungsrechte in jedem Gesetzgebungsvorschlag fest verankert sind. Für die Zukunft hält Bricmont es für noch wichtiger, dass die Mitgliedstaaten das EU-Recht implementieren und ordnungsgemäß anwenden. Das gelte besonders, weil im Bereich des Strafrechts gerade eine Reihe wichtiger Gesetze verabschiedet worden seien, etwa zu geschlechtsbezogener Gewalt oder zur Bekämpfung von Menschenhandel. Und es gelte auch für ihr Herzensprojekt: die aktuellen Verhandlungen über eine Richtlinie zu sexuellem Missbrauch von Kindern. Auch dafür sei großes Engagement der Kommission und der Anwaltschaft gefragt. PLATTFORM FÜR AUSTAUSCH Im Anschluss an die Festvorträge war reichlich Zeit zum Austausch über die Herausforderungen und Chancen der europäischen Rechtsgemeinschaft; hierfür bot der Neujahrsempfang auch in diesem Jahr eine großartige Plattform. Die Veranstaltung unterstrich die Bedeutung einer starken, unabhängigen Anwaltschaft als wesentlichen Pfeiler der Rechtsstaatlichkeit in Europa. Justizkommissar McGrath (2. v.l.) und Saskia Bricmont, MdEP (4. v.l.) mit den Präsidiumsmitgliedern von BRAK und mitveranstaltenden Anwaltsorganisationen Foto: Astrid Gamisch
BRAK MAGAZIN 2/2025 6 BRENNPUNKTE DES VERWALTUNGSRECHTS Der BRAK-Ausschuss Verwaltungsrecht im Fachgespräch mit dem Bundesverwaltungsgericht Rechtsanwalt Sven Krautschneider, BRAK, Berlin Am 12.2.2025 hatten die Mitglieder des Ausschusses Verwaltungsrecht der BRAK die Gelegenheit, ein Fachgespräch mit dem Präsidenten und mit Richterinnen und Richtern des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig zu führen. Hierbei ging es um aktuelle Fragen und Brennpunkte der verwaltungsrechtlichen Praxis. Am Vorabend tauschten sich die Ausschussmitglieder bei einem gemeinsamen Abendessen in Leipzig über die auf der Agenda stehenden Themen aus. Tags darauf wurden die Ausschussvorsitzende Dr. Sigrid Wienhues und die weiteren Mitglieder vom Präsidenten des BVerwG, Prof. Dr. Andreas Korbmacher, herzlich im historischen Gerichtsgebäude begrüßt. An der anschließenden Diskussion nahmen neben ihm auch Dr. Susanne Rublack, Vizepräsidentin des BVerwG, die Vorsitzende Richterin Prof. Dr. Ulrike Bick, der Vorsitzende Richter Prof. Dr. Christoph Külpmann sowie die Richterinnen und Richter am BVerwG Dr. Knut Möller, Dr. Carsten Tegethoff und Prof. Dr. Isabel Schübel-Pfister teil. ENTSCHEIDUNGEN DES GERICHTS MIT UNMITTELBAREN AUSWIRKUNGEN AUF DIE PRAXIS Das Fachgespräch drehte sich um zentrale Themen der verwaltungsrechtlichen Praxis, u.a. den Einfluss des BVerwG auf Genehmigungsverfahren. Die Ausschussmitglieder beleuchteten anhand von Fallbeispielen, z.B. aus dem Baurecht, inwieweit die Entscheidungen des BVerwG die Genehmigungspraxis der Behörden oder die Einlegung von Rechtsmitteln durch Dritte beeinflussen. Während die Klärung offener Rechtsfragen durch das BVerwG Vorteile für alle Beteiligten bringt, wurde diskutiert, inwieweit Einzelfallentscheidungen des Gerichts unter Umständen auch neue Einwendungsmöglichkeiten, z.B. gegen Baugenehmigungen, eröffnen könnten. Auch die Auswirkungen von obiter dicta wurden erörtert, das sind in Entscheidungen des Gerichts geäußerte Rechtsansichten, die nicht die gefällte Entscheidung tragen, sondern geäußert werden, weil sich die Gelegenheit dazu bot. In der Diskussion wurde deutlich, dass obiter dicta einerseits für die anwaltliche Praxis hilfreich sind, da sie z.B. Hinweise zur Auslegung und Anwendung bestimmter Normen geben oder Ausführungen zu einem juristischen Problem enthalten. Andererseits besteht die Gefahr, die Rechtsanwendenden zu verunsichern, wenn von ständiger Rechtsprechung ohne Entscheidungserheblichkeit abgewichen werde. DIGITALISIERUNG DER JUSTIZ Zudem standen die Digitalisierung der Justiz und auch virtuelle Gerichtsverhandlungen im Fokus. Hier wurden die Vor- und Nachteile von Online-Verhandlungen erörtert, wie z.B. das Fehlen des direkten persönlichen Kontakts, aber auch die Erleichterung durch den Wegfall langwieriger Anreisen zum Gericht. Es wurde deutlich, dass grundsätzlich auch komplizierte Verhandlungen, in denen z.B. Sachverständige angehört werden, online durchgeführt werden können. OFT LANGE VERFAHRENSDAUER Im weiteren Verlauf wurde das Thema „Verfahrensbeschleunigung aus anwaltlicher Sicht“ aufgegriffen. Hierzu erläuterten die Ausschussmitglieder, dass die Verfahren vor den Verwaltungsgerichten häufig durch sehr lange Verfahrensdauern gekennzeichnet seien. Dies laufe der in Art. 19 IV GG verankerten Rechtsweggarantie zuwider, denn diese beinhaltet nicht nur, dass überhaupt ein Rechtsweg zu den Gerichten offensteht, sondern auch die Effektivität des Rechtsschutzes. Die Ausschussmitglieder unterbreiteten Vorschläge zur Verfahrensbeschleunigung, die nach geltendem Recht bereits umsetzbar sind, z.B. die Übertragung auf den Einzelrichter oder eine striktere Handhabung von Begründungs- und Erwiderungsfristen. Einig waren sich die Teilnehmenden, dass auch die personelle und sächliche Ausstattung der Verwaltungsgerichte verbessert werden muss. BEREICHERNDE DISKUSSION Die interessante Diskussion auf hohem Niveau erwies sich für alle Teilnehmenden wieder als sehr bereichernd. Es wurde vereinbart, im Austausch miteinander zu bleiben und die Tradition der Fachgespräche auch in Zukunft fortzusetzen. Eingangshalle des ehemaligen Reichstagsgebäudes in Leipzig, seit 2022 Sitz des BVerwG Foto: Gbecker248
DAIvent Fundierte Fortbildung an beliebtem Urlaubsort oder im Live-Stream Anspruchsvolle Seminare in DAI-Qualität Aktuelle Themen und Fragestellungen Fachlicher Austausch mit Kolleginnen und Kollegen Bis zu 15 Zeitstunden nach § 15 FAO Erbrecht 23.– 25. Juli 2025 Nr. 14245958 und 14245959 Ulf Schönenberg-Wessel (auch Leitung); Dr. Nils Außner; Dr. Pierre Plottek Bank- und Kapitalmarktrecht 7.– 9. August 2025 Nr. 25245948 und 25245949 Dr. Martin Lange (Leitung); Prof. Dr. Matthias Siegmann; Dr. Bernhard Dietrich; Dr. Christian Grüneberg Gewerblicher Rechtsschutz 14.– 16. August 2025 Nr. 20245956 und 20245957 Katharina H. Reuer, M. Jur. (Madrid) (Leitung); Prof. Dr. Thomas Koch; Jörn Feddersen; Prof. Dr. Franz Hacker Mehr Informationen und Anmeldung auf www.anwaltsinstitut.de Miet- und WEG-Recht 23.– 25. Juli 2025 Nr. 17245940, 17245941 und 17246958 Dr. Klaus Lützenkirchen (auch Leitung); Dr. Ulrich Leo; Carsten Küttner Familienrecht 30. Juli – 1. August 2025 Nr. 09245946, 09246959 und 09245947 Dr. Rita Coenen (Leitung); Mathias Volker; Dr. Alexander Schwonberg; Dr. Dominik Härtl Bau- und Architektenrecht 7. – 9. August 2025 Nr. 16245952, 16245953 und 16246960 Prof. Dr. Werner Langen (auch Leitung); Dr. Alexander Knopp; Prof. Dr. Manfred Puche; Dr. Walter Klein; Prof. Dr. Oliver Moufang Arbeitsrecht 13.– 15. August 2025 Nr. 01245954, 01245955 und 01246971 Werner Ziemann (auch Leitung); Prof. Dr. Stefan Lunk; Prof. Dr. Michael Fuhlrott Sie haben die Wahl: Auch als Live-Streams DAIvents an der Ostsee Lübeck-Travemünde 15 Zeitstunden (§ 15 FAO) möglich Die DAIvents sind in einzelnen Teilen oder im Paket buchbar. Exklusive Präsenz-Fortbildungen DAIvents an der Ostsee Lübeck-Travemünde 15 Zeitstunden (§ 15 FAO) möglich
BRAK MAGAZIN 2/2025 8 EFFEKTIVE GELDWÄSCHEBEKÄMPFUNG: PFLICHTEN VERSCHÄRFT UND AUFSICHT IM WANDEL Was bringt die Zukunft? Die Anwaltschaft im Fokus und in der Pflicht Rechtsanwalt Christian Bluhm, BRAK, Berlin Seit der letzten Prüfung Deutschlands durch die Financial Action Task Force (FATF) im Jahr 2021 ist klar, wo die Anwaltschaft im Augenblick beim Thema Geldwäscheprävention- und Bekämpfung steht und welche Mängel bis zur nächsten Prüfung nach Erwartung der internationalen Prüfer abzuarbeiten sind. Der Prüfungsbericht der FATF (Mutual Evaluation Report), der im August 2022 veröffentlicht wurde, bescheinigte der Anwaltschaft zwar eine deutliche Verbesserung gegenüber der vorvergangenen Prüfung im Jahr 2010 und ein verbessertes Risikobewusstsein und -verständnis für die Gefahren der Geldwäsche und der Terrorismusfinanzierung. Er zeigte aber auch noch einige Mängel auf, die nach Erwartung der Prüfer zu beheben sind. Im Prüfungsbericht wird u.a. bemängelt, die Anwaltschaft – habe zwar ein besseres Risikobewusstsein und -verständnis für die Gefahren der Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung z.B. bei Immobiliengeschäften; in vielen anderen risikobehafteten Bereichen sei dieses aber noch nicht so gut ausgeprägt; Prüfungen erfolgten oft zu schematisch und zu wenig risikobasiert, – habe häufig noch Probleme damit, überhaupt zu erkennen, dass sie Verpflichtete nach § 2 I 1 Nr. 10 GwG sind und dann präventive Pflichten zu erfüllen haben, weil sich vielfach Auslegungsfragen stellen und Rechtsanwälte auch nicht – wie z.B. Steuerberater und Wirtschaftsprüfer – per se Verpflichtete sind, – gebe zu wenig Verdachtsmeldungen gem. § 43 GwG ab, weil es oft noch Unsicherheiten oder Unklarheiten gebe im Zusammenhang mit der anwaltlichen Verschwiegenheitsverpflichtung und darüber, wann gemeldet werden muss. Die Anwaltskammern, die die Geldwäscheaufsicht über ihre Mitglieder führen (§§ 50 Nr. 3, 51 I GwG), würden – zu wenig Personal für die Geldwäscheaufsicht bereitstellen (dieser Vorwurf betraf alle Aufsichten in Nichtfinanzsektor), – zu wenige Sanktionen und Bußgelder bei GwGVerstößen verhängen und – zu wenig von berufsrechtlichen Sanktionen – wie z.B. dem Widerruf der Zulassung – Gebrauch machen und auch zu wenig Straftäter aus dem Verkehr ziehen. WARUM IST DAS, WAS DIE FATF SAGT, SO WICHTIG FÜR DIE ANWALTSCHAFT? Die FATF, der auch Deutschland als Mitgliedstaat angehört, ist das führende internationale Gremium zur Geldwäschebekämpfung und Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung. Sie wurde 1989 mit Sitz in Paris gegründet und hat seither über 40 Handlungsempfehlungen (Recommendations) veröffentlicht, die auch unmittelbar für die Anwaltschaft gelten. Deutschland hat sich zur Umsetzung dieser Handlungsempfehlungen verpflichtet. Ein von der FATF auf Grundlage der Handlungsempfehlungen für die Anwaltschaft veröffentlichter Leitfaden ist z.B. die Guidance for a risk based approach for legal professionals. NACH DER PRÜFUNG IST VOR DER PRÜFUNG FATF-Prüfungen finden etwa alle zehn Jahre statt, ggf. auch in kürzeren Intervallen. Die letzte Prüfung hatte sich aufgrund der Corona-Pandemie verschoben, sodass mit der nächsten Prüfung noch in diesem Jahrzehnt zu rechnen ist. Prüfungen einschließlich schriftlicher Einreichungen der Mitgliedstaaten bis zum On-Site-Visit der Prüfer dauern durchschnittlich zwei Jahre, sodass die ersten Vorbereitungen dafür schon in absehbarer Zeit beginnen könnten. Dann heißt es zu resümieren, was seit der letzten Prüfung verbessert worden ist und wo es immer noch Baustellen gibt. Der Druck auf die Anwaltschaft ist jedenfalls groß und die Zeit ist schon jetzt knapp bemessen. Foto: kirill_makarov/shutterstock.com
BRAK MAGAZIN 2/2025 9 EU-GELDWÄSCHEPAKET AB 2027 UMZUSETZEN Der Druck auf Deutschland nimmt auch vor dem Hintergrund des ab dem Jahr 2027 umzusetzenden EU-Geldwäschepakets zu. Welche Neuerungen es für Anwältinnen und Anwälte und auch für Rechtsanwaltskammern bringt, hat meine Brüsseler Kollegin Astrid Gamisch (BRAK-Magazin 4/2024, 4 ff.) erläutert. Am 19.6.2024 wurde das EU-Geldwäschepaket im EU-Amtsblatt veröffentlicht, am 9.7.2024 ist es in Kraft getreten, bestehend u.a. aus der EU-Geldwäscherichtlinie (EU) 2024/1640 (gilt ab dem 10.7.2027, der Geldwäscheverordnung (EU) 1624/2024 (gilt ab dem 10.7.2027) und der AMLAVerordnung (EU) 1620/2024 (gilt ab dem 1.7.2025). Das Paket enthält einige neue Vorgaben für Anwältinnen und Anwälte, die ab dem 10.7.2027 zu beachten sind und die nach der Geldwäscheverordnung (GW-VO) unmittelbar gelten werden. Insofern wird das Geldwäschegesetz (GwG) in Teilen abgelöst werden. Vor allem bei der Erfüllung der Sorgfaltspflichten (vgl. §§ 10 ff. GwG) und im Bereich des Risikomanagements (vgl. §§ 4 ff. GwG) wird es einige Veränderungen und Verschärfungen geben – etwa bei der Identifizierung von Mandanten, der für sie auftretenden Personen (Art. 19 ff. GW-VO) und der wirtschaftlichen Eigentümer (Art. 23 ff. GWVO). Die Ermittlung der Verpflichteten (Rechtsanwältinnen bzw. Rechtsanwälte) gem. Art. 3 Nr. 3 GW-VO wird sich in Zukunft hingegen deutlich einfacher gestalten, da die Verordnung auf Unternehmer als Verpflichtete abstellt und im Gegensatz zu § 2 I Nr. 10 GwG nicht mehr auf die einzelnen, in diesen angestellten Mitarbeitenden, die nicht mehr isoliert als Verpflichtete zu betrachten sein werden (vgl. Art. 15 GW-VO). Auch Syndikusrechtsanwältinnen und -anwälte sind dann nicht mehr Verpflichtete. Dadurch, dass dann die anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften als Mitglieder – anders als in § 2 I Nr. 10 GwG, der auf einzelne Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte als natürliche Personen abstellt – Verpflichtete sein werden, wird sich in absehbarer Zeit auch die gesamte Prüfung durch die Rechtsanwaltskammern verändern. Dies ist sinnvoll und wurde schon unlängst von der BRAK gefordert (s. BRAK-Stellungnahme Nr. 34/2024 „Positionspapier: Die zugelassene Berufsausübungsgesellschaft als Verpflichtete nach § 2 GwG“). In Bezug auf die anstehende nächste FATF-Prüfung könnte dies von Vorteil sein, zumindest einen Teil der Mängel zu beseitigen. Der Teufel hinsichtlich der Umsetzung des Pakets liegt im Detail. Hierzu wurden bei der EU-Kommission bereits diverse Arbeitsgruppen eingerichtet. Klar ist aber auch: Einige Dinge brauchen einfach Zeit für die Umsetzung, so dass Evaluierungen manchmal früh kommen können. Man kann nur hoffen, dass die Zeit dann noch reichen wird, die FATF von der Effektivität des neuen Systems in der Aufsicht und wie es in der Umsetzung geplant ist, überzeugen zu können. FAZIT Die Anwaltschaft zeigt sich auch seit der letzten FATF-Prüfung in vielen Bereichen verbessert. Im Vergleich zur letzten Prüfung, die auf den Ist-Zustand der Jahre 2020/2021 abstellte, wurden z.B. deutlich mehr Geldwäsche-Verdachtsmeldungen von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten bei der Financial Intelligence Unit (FIU) abgegeben. So waren es im Jahr 2023 nach dem Bericht der FIU 160 Verdachtsmeldungen, die durch Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte abgegeben wurden, im Gegensatz zu den Jahren 2020 und früher, als das Verdachtsmeldeaufkommen in der Anwaltschaft noch bei konstant ca. 20 Meldungen im Jahr gelegen hatte. Dies führt die FIU auf ein verbessertes Risikobewusstsein und -verständnis – auch in der Anwaltschaft – sowie auf eine gestiegene Qualität der Meldungen zurück. Die Zukunft wird viele weitere Erkenntnisse bringen. Der Druck auf die Anwaltschaft wird jedenfalls nicht weniger werden – im Gegenteil: Die Aufgaben und Pflichten für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte wie auch für Rechtsanwaltskammern als Aufsichtsbehörden werden nicht weniger werden. Die konkrete Umsetzung des EU-Geldwäschepakets und die Vorgaben der EU-Kommission bzw. der ab dem Sommer 2025 neu eingesetzten europäischen Aufsichtsbehörde, der Anti Money Laundering Authority (AMLA), in Form von Leitlinien und Rechtsakten werden mit Spannung erwartet. Weitere Informationen zur Prüfung und Feststellung Ihrer Verpflichteteneigenschaft sowie praktische Tipps und Hinweise zur Erfüllung Ihrer GwG-Pflichten finden Sie hier.
BRAK MAGAZIN 2/2025 10 AZUBIS ALS BOTSCHAFTER Mit innovativen Projekten ReFa-Nachwuchs gewinnen, fördern und begeistern Rechtsfachwirtin Sabine Vetter, LL.M., Würzburg, Vorsitzende des Berufsbildungsausschusses der Rechtsanwaltskammer Bamberg Der Abwärtstrend der Ausbildungszahlen ist bekannt, so dass ein Blick hinter die Kulissen notwendig wird und sich die Frage stellt, wie junge Menschen uns unterstützen können. Die duale Ausbildung ist eine der tragenden Säulen des deutschen Bildungssystems und erweist sich als besonders erfolgreich bei der Integration junger Menschen in den Arbeitsmarkt. Dennoch stehen auch hier immer wieder Herausforderungen an, die bewältigt werden müssen. Ein Lösungsansatz, der sich immer mehr bewährt, ist die gezielte Förderung junger Menschen durch innovative Projekte. In einer Zeit, in der die Digitalisierung alle Wirtschaftszweige durchdringt, liegt es nahe, auch die duale Ausbildung in Kanzleien durch innovative Ansätze zu stärken. Besonders Jugendliche, die in einer digitalen Welt aufgewachsen sind, können durch gezielte Projekte nicht nur persönlich gefördert werden, sondern auch einen wertvollen Beitrag zur Modernisierung von Anwaltskanzleien leisten. Projekte wie Digiscouts (https://www.digiscouts.de) sollen Inspiration für Veränderungen in Kanzleien bieten. Der Beitrag, den junge Menschen leisten können, bezieht sich aber nicht nur auf den Input in Kanzleien, sondern auch auf das authentische Anwerben zukünftiger Auszubildender. AZUBIS ALS AUSBILDUNGSBOTSCHAFTER Den Mehrwert von Auszubildenden für Kanzleien zu nutzen, bewegte auch den Berufsbildungsausschuss der Rechtsanwaltskammer Bamberg und führte letztendlich zu dem Thema „Ausbildungsbotschafter“. Auszubildende – auch ehemalige, also ausgelernte Rechtsanwaltsfachangestellte – können ihren eigenen Beruf am besten bewerben und somit potenzielle Azubis für den Beruf begeistern. Um zukünftige Auszubildende in dem riesigen Angebot an Ausbildungsberufen nicht allein zu lassen, ist es sinnvoll, Berufsorientierungsangebote zu schaffen, in denen Berufe nicht nur trocken vorgestellt werden. Authentischer ist es, Menschen, die in diesen Berufen arbeiten, persönlich kennenzulernen – so gibt man Eindrücke aus erster Hand und räumt Vorurteile aus. FLÄCHE DES KAMMERBEZIRKS IN RELATION ZU AKTIVEN EHRENAMTLICHEN Unser Kammerbezirk erstreckt sich über eine große Fläche, was die zentrale Koordination durch die Rechtsanwaltskammer anspruchsvoller macht. Wir beschlossen, uns zunächst auf den Landgerichtsbezirk Würzburg zu fokussieren, um das bestehende Netzwerk des Würzburger Anwaltvereins und der RENO Würzburg zu nutzen. Basierend auf den gewonnenen Erfahrungswerten sollte das Projekt dann auf weitere Bezirke ausgeweitet werden. Unter dem Stichwort „Netzwerken mit allen Beteiligten“ setzten wir uns zusammen und waren uns schnell einig, dass viele Projekte auch auf viele Schultern verteilt werden müssen. Im Anschluss trafen sich Rechtsanwalt Rainer Riegler (Rechtsanwaltskammer Bamberg), Rechtsanwalt Christian Semmler (Würzburger Anwaltverein) und ich mit einer Gruppe von Berufsberaterinnen und -beratern, die für die Handwerkskammer Service GmbH Würzburg an Mittelschulen und Realschulen Berufsorientierungsgespräche mit Schülerinnen und Schülern führen. Ziel war es, die Beratenden mit Informationen über den Beruf des/der Rechtsanwaltsfachangestellten zu versorgen, damit sie unseren Beruf verstärkt im Blick haben. Auch in dieser Runde wurde schnell deutlich, dass Berichte aus erster Hand in den Schulen sinnvoller sind, also dass (ehemalige) Azubis gefragt sind. So fiel der Startschuss bereits einen Monat später. Das erste Team aus Auszubildender, Rechtsanwalt und Rechtsfachwirtin stellte einer Schulklasse den Beruf Rechtsanwaltsfachangestellte/r vor. BERUFSORIENTIERUNG In Würzburg liegt der Fokus bei dem Projekt „Ausbildungsbotschafter“ eher auf Berufsorientierung, um mit jungen Menschen ins Gespräch zu kommen. So stellte z.B. ein Team aus zwei ReFas, einer Anwältin und einem Anwalt vier neunten Klassen einer Würzburger Realschule ihre Berufe mit einem besonderen Quiz vor (ein ausführlicher Bericht findet sich hier.) Der ebenfalls anwesende Berater der vertieften Berufsorientierung (vBO der HWK) berichtete im Nachhinein, dass drei der anwesenden Schülerinnen sich in Kanzleien bewerben wollen. Aufgrund dieses Feedbacks hat Katja Lalaoui, Vorstandsmitglied der RENO Würzburg, zusammen mit dem anwesenden Berufsberater ein neues Konzept entwickelt. Ausbildungssiegel der Kammer Bamberg
BRAK MAGAZIN 2/2025 11 BEWERBUNGEN NIEDRIGSCHWELLIGER MACHEN Es soll eine niedrigschwellige Bewerbungsmöglichkeit angeboten werden, weswegen ein kleines Pilotprojekt startet, welches von allen Beteiligten mitgetragen wird. Der Berufsberater wird Bewerbungen geeigneter Schülerinnen und Schüler dem RENO Würzburg e.V. zukommen lassen, welcher die Bewerbungen an geeignete Ausbildungskanzleien weiterleitet. Bevorzugt werden Kanzleien mit dem „AZUBI-GEPRÜFT“-Siegel berücksichtigt. Das Siegel als Qualitätsmerkmal kennzeichnet eine hervorragende Ausbildungskanzlei, sodass der RENO als Arbeitnehmervertretung mit gutem Gewissen eine Empfehlung aussprechen kann. Aber auch andere (Würzburger) Kanzleien können sich an den RENO Würzburg wenden. Besteht Interesse können sich die Kanzleien direkt mit der Bewerberin oder dem Bewerber in Verbindung setzen; andernfalls dem RENO Würzburg ihre Absage mitteilen. Im Falle einer Absage wird die Suche nach einer passenden Kanzlei fortgesetzt, um negative Reaktionen bei jungen Menschen zu minimieren und sie in unseren Beruf zu begleiten. AZUBIS WERBEN IN DER BERUFSSCHULE In einer Sitzung des Berufsbildungsausschusses der Kammer Bamberg Anfang 2023 wurde von den laufenden Projekten berichtet. Die Idee wurde nicht nur positiv aufgenommen, sondern auch weiterentwickelt. So organisierte Bettina Ruisinger, Berufsschullehrerin in Aschaffenburg, im Juli 2023 zum ersten Mal den Besuch von Schülerinnen und Schülern aus umliegenden Realschulen. Ziel sollte auch hier sein, sich aus erster Hand über den Ausbildungsberuf „Rechtsanwaltsfachangestellte“ zu informieren. Der Adressatenkreis wurde mittlerweile auf Gymnasien und Wirtschaftsschulen erweitert. So fand ein Jahr später eine weitere Veranstaltung statt, bei der auch André Zöller, Vorstandsmitglied der Rechtsanwaltskammer Bamberg, die Azubis unterstützte. Der nächste Besuchstermin wird Mitte Juli in der Berufsschule Aschaffenburg stattfinden. Selbstverständlich wurden die Schülerinnen und Schüler um Feedback gebeten. Sie äußerten durchweg ihre Wertschätzung für die Begeisterung, mit der die Auszubildenden ihren eigenen Ausbildungsberuf präsentierten, und ließen sich von deren Engagement inspirieren. Ich fand es toll, den Beruf, den ich nicht kannte, von so vielen Seiten kennenzulernen. Ich kann mir durchaus vorstellen, mich für diese Ausbildung zu entscheiden. Schön, dass die Azubis ihre persönlichen Erfahrungen mit uns geteilt haben. Die Initiatorin berichtet, dass die Azubis im ersten Lehrjahr bereits in den Startlöchern sitzen und sich darauf freuen, im nächsten Jahr ebenfalls ihren Beruf zu präsentieren und potenzielle Bewerberinnen und Bewerber zu begeistern. Sie sind stolz darauf, ihren Beruf anderen jungen Menschen näherzubringen. Sie haben sich bereits für eine Tätigkeit entschieden, die ihnen Freude bereitet und wollen dies weitergeben. INITIATIVEN WEITER FÖRDERN Die bisherigen Reaktionen bestätigen den Erfolg solcher Projekte und bestärken uns darin, diese Initiativen weiter zu fördern. Ein starkes Netzwerk und engagierte Partner sind entscheidend, um zum einen die Qualität der Ausbildung kontinuierlich zu verbessern, aber auch den Beruf bekannter zu machen, um so eine Zukunft für Auszubildende und damit auch Kanzleien zu sichern. Der spürbare Mehrwert unserer Auszubildenden betrifft nicht nur den Bereich Digitalisierung, sondern auch eine authentische Nachwuchsgewinnung. Ablaufschema des Würzburger Pilotprojekts für niedrigschwellige ReFa-Bewerbungen Pilotprojekt: niedrigschwellige Bewerbungen Bewerber:in RENO: verteilt Bewerbungen, sucht Kanzleien* Kanzlei Interesse: direkter Kontakt kein Interesse: Absage an RENO Berufsberatung der HWK: leitet Bewerbungen weiter * bevorzugt mit Ausbildungssiegel
BRAK MAGAZIN 2/2025 12 BESSER FÜHREN IN DER KANZLEI DURCH COACHING Wirtschaftsmediatorin und Coach Daniela Funke, Rechtsanwaltskammer Koblenz Anwältinnen und Anwälte stehen in ihrem Alltag vor besonderen Herausforderungen: hohe Leistungsanforderungen, ständiger Zeitdruck und intensiver Wettbewerb prägen ihre Arbeit. Coaching kann dabei unterstützen, individuelle Stärken zu erkennen, Stresssituationen besser zu bewältigen, eine klare berufliche Identität zu entwickeln und auch als Führungskraft zu überzeugen. Das Coaching für Anwältinnen und Anwälte unterscheidet sich von herkömmlichen Führungskräfte-Coachings, da es branchenspezifische Aspekte berücksichtigt. Der Umgang mit komplexen Mandaten, ethische Fragestellungen und die Balance zwischen hoher individueller Leistungsbereitschaft und effektiver Teamführung sind zentrale Themen. Führungskräfte in Kanzleien brauchen nicht nur juristisches Fachwissen, sondern auch betriebswirtschaftliche Kenntnisse, um ihre Kanzlei strategisch auszurichten. PERSÖNLICHKEITSENTWICKLUNG IM FOKUS Im Jurastudium bleibt kaum Raum für die Vermittlung von Führungskompetenzen, Gesprächsführung und Kommunikation. Viele Anwältinnen und Anwälte sehen sich erst spät in ihrer Karriere mit diesen essenziellen Soft Skills konfrontiert. Das kann zu Schwierigkeiten im Umgang mit Mandanten, Kolleginnen und Kollegen und Mitarbeitenden führen. Ohne eine solide Basis in Gesprächsführung und strategischem Denken ist es schwierig, komplexe Konfliktsituationen zu meistern oder eine Kanzlei erfolgreich zu leiten. Coaching setzt genau hier an: Mit praxisnahen Methoden und individuell zugeschnittenen Trainings stärkt es diese Kompetenzen gezielt. Dabei kommen verschiedene Instrumente zum Einsatz: systemische Ansätze, lösungsorientiertes Coaching und gezielte Feedbackgespräche. Ein besonderer Fokus liegt auf der Persönlichkeitsentwicklung: Durch die Reflexion von Triggern und Glaubenssätzen lernt man, gewohnte Reaktionsmuster zu hinterfragen und alternative, konstruktive Verhaltensweisen zu entwickeln. Diese bewusste Reflexion hilft, alte Muster zu durchbrechen und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. KANZLEI-FÜHRUNGSKRÄFTE AUSBILDEN Ein weiterer zentraler Aspekt ist die Ausbildung von Führungskräften in Kanzleien. Viele Anwältinnen und Anwälte sehen sich nicht als Führungskräfte, diese Rolle kommt im Studium nicht vor. Doch eine Führungskraft trägt Verantwortung für das Team, trifft weitreichende Entscheidungen und agiert als Vorbild. Effektive Kommunikation, Empathie und der konstruktive Umgang mit Konflikten sind essenziell, um ein produktives Arbeitsumfeld zu schaffen. Coaching hilft dabei, diese Fähigkeiten zu entwickeln und die eigene Führungsrolle bewusst zu gestalten. Wer Vertrauen und eine starke Beziehung zu seinem Team aufbaut, kann nicht nur Menschen für sich und die Kanzlei gewinnen, sondern auch langfristig erfolgreiche Strukturen etablieren. Letztlich ermöglicht Coaching einen neuen Blick auf die eigene Arbeitsweise und die persönliche Wirkung im Team. Gerade in einem Umfeld, in dem juristische Expertise oft im Vordergrund steht, kann das Erlernen von Führungs- und Kommunikationsstrategien den entscheidenden Unterschied machen. Der Erfolg zeigt sich nicht nur in verbesserten Kanzleistrukturen, sondern auch in der persönlichen Zufriedenheit. IN WEITERENTWICKLUNG INVESTIEREN Abschließend ist es wichtig, offen für Veränderung zu sein und in die eigene Weiterentwicklung zu investieren. Coaching ist keine Schwäche, sondern eine wertvolle Ressource für die persönliche und berufliche Zukunft. Wer frühzeitig Lücken in den Bereichen Gesprächsführung, Kommunikation und Führung erkennt und schließt, kann sich nicht nur fachlich, sondern auch persönlich weiterentwickeln und den hohen Anforderungen des juristischen Berufsalltags gerecht werden. Hier setzen die Ausbilder- und Arbeitgebersiegel der Rechtsanwaltskammer Koblenz an. Mit ihrem Seminarprogramm zum Thema Mitarbeiterführung unterstützt die Kammer Anwält:innen dabei, sich als Führungspersönlichkeiten weiter zu entwickeln. Foto: Karina Schuh Daniela Funke ist Referentin u.a. für Aus- und Fortbildung und Seminare bei der Rechtsanwaltskammer Koblenz.
BRAK MAGAZIN 2/2025 13 ERFOLGREICH MIT MANDANTENKRITIK UMGEHEN: FÜNF STRATEGIEN FÜR ANWÄLTINNEN UND ANWÄLTE Rechtsanwältin Dr. Anja Schäfer, Karrierementorin für Juristinnen, Berlin Im Kanzleialltag kommt es immer wieder vor, dass Anwältinnen und Anwälte mit kritischen Äußerungen der Mandantschaft konfrontiert werden. Egal, wie viel Aufwand in ein Mandat investiert wurde, es gibt immer wieder kritische Rückmeldungen zur eigenen Arbeit. Auch wenn Kritik im Einzelnen nicht immer gerechtfertigt ist, ist ein professioneller und konstruktiver Umgang entscheidend. Selbst erfahrene Anwältinnen und Anwälte tun sich mit Kritik von Mandantinnen und Mandanten oft schwer, doch der Umgang damit lässt sich erlernen. Hier sind fünf Strategien, um Ihre Kritikfähigkeit zu verbessern, damit Sie kritische Äußerungen richtig einschätzen, pauschale Aussagen hinterfragen und das „Körnchen Wahrheit“ herausfiltern können. TIPP 1: KRITISCHE RÜCKMELDUNGEN RICHTIG EINORDNEN Reflektieren Sie, wie Sie bei kritischen Äußerungen agieren. Neigen Sie dazu, diese als persönlichen Angriff zu verstehen und etwas „angefressen“ zu reagieren? Ein konstruktiver Umgang mit Kritik ist jedoch eine zwingende Voraussetzung für gute Mandatsbeziehungen und professionelle Bearbeitung. Sich in solchen Momenten vorschnell zu rechtfertigen, kann unprofessionell wirken und das Klima im Mandat negativ beeinflussen. TIPP 2: KRITISCHE RÜCKMELDUNGEN RICHTIG VERSTEHEN, STATT EINFACH ZU INTERPRETIEREN Bei Kritik von Mandantinnen oder Mandanten ist es wichtig, zunächst genau zuzuhören, bevor Sie damit beginnen, diese zu bewerten oder zu interpretieren. Kritik ist nur dann ein persönlich gemeinter Vorwurf, wenn sie explizit als solcher formuliert wird. Stellen Sie bei Unklarheiten gezielte Nachfragen. Lenken Sie so den Fokus auf Sachinformationen und damit weg von sich selbst. TIPP 3: PAUSCHALE KRITIK KONKRET HINTERFRAGEN Pauschale Kritik ist oft vage und wenig hilfreich. Wenn Sie allgemeine Kritik zu Ihrer anwaltlichen Arbeit hören, bitten Sie um eine Konkretisierung. Hinterfragen Sie Pauschalaussagen wie etwa „Was genau meinen Sie mit ‚Ich bin für Sie nie erreichbar‘?“ so lange, bis Sie Klarheit haben. Paraphrasieren Sie einzelne Aussagen „Habe ich Sie richtig verstanden, dass …“, um wirklich zu verstehen, was die einzelne Person meint. Nur wenn pauschale Rückmeldungen konkretisiert werden, können Probleme geklärt und Lösungen gefunden werden. Fehlt die Erläuterung, bleiben Sie souverän und gehen zum nächsten Punkt über. TIPP 4: DER KRITIK DEN WIND AUS DEN SEGELN NEHMEN Manchmal kann es hilfreich sein, sich die eigene Kommunikation bzw. das eigene Verhalten genau anzusehen. Oftmals werden kritische Rückmeldungen durch ein bestimmtes Vorgehen oder Missverständnis provoziert. Sofern Sie der Grund für kritische Rückmeldungen sind, passen Sie Ihr Vorgehen an. Auf diese Weise lässt sich nicht nur Kritik reduzieren, sondern auch sonstige Missverständnisse im Vorfeld oder Nachhinein vermeiden. TIPP 5: SICH AUF DAS „KÖRNCHEN“ WAHRHEIT IN DER KRITIK FOKUSSIEREN Ganz gleich, wie gut Sie sind: Es gibt regelmäßig eine Person, die etwas auszusetzen hat. Konzentrieren Sie sich also auf das„Körnchen“ Wahrheit in kritischen Äußerungen. Fokussieren Sie sich auf die zumeist versteckten Hinweise, was Sie verbessern oder anders machen sollten. Fokussieren Sie sich dabei auf die Sache und weniger auf die Person. Denn in sachlichen Auseinandersetzungen fällt es leichter, ruhig zu bleiben, konstruktiv zu reagieren und Lösungsmöglichkeiten anzubieten. Unabhängig davon, wie Sie zu Kritik stehen: Sie ist das kleinere Übel im Vergleich dazu, gar keine Rückmeldung von Mandantinnen und Mandanten zu erhalten. Denn wer als Anwältin oder Anwalt keine Kritik hört, verliert die Chance, etwas über die eigene Arbeit zu erfahren und diese zu verbessern. Entscheidend ist und bleibt, was Sie aus dem Körnchen Wahrheit, das in der Kritik steckt, machen. Foto: Ketmut/shutterstock.com
BRAK MAGAZIN 2/2025 14 10 FRAGEN ZUR ADJUDIKATION Schiedsrichter, Schlichter und Adjudikator RiBGH a.D. Prof. Stefan Leupertz, Köln Außergerichtliche Streitbeilegung hat Konjunktur. Das hat viel mit Problemen der Justiz zu tun, komplexe wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten zeitnah und kompetent zu entscheiden. Deshalb meiden mittlerweile ganze Branchen die staatlichen Gerichte, was mit Blick auf eine damit einhergehende Erosion der Richtlinienfunktion obergerichtlicher und höchstrichterlicher Rechtsprechung durchaus Anlass zur Sorge bietet. Traditionell findet außergerichtliche Streitbeilegung in Deutschland vor privaten Schiedsgerichten nach Verfahrensregeln statt, die auf der Grundlage des 10. Buchs der ZPO (§§ 1025 ff. ZPO) im Wesentlichen dem gerichtlichen Erkenntnisverfahren entsprechen. Am Ende eines vergleichbar aufwändigen Verfahrens steht hier wie dort ein vollstreckbarer Titel. Darin liegt der Unterschied zu Schlichtung und Mediation, die unter Verzicht auf strenge Verfahrensregeln auf eine einvernehmliche Beilegung des Konflikts abzielen und dem Schlichter/Mediator keine Entscheidungskompetenz einräumen. Die Adjudikation schließt gewissermaßen die Lücke zwischen aufwändig konfrontativen und schlanken, auf konsensuale Lösungen angewiesenen Streitbeilegungsverfahren. WAS IST ADJUDIKATION UND WOHER KOMMT SIE? Adjudikation (Dispute Adjudication) beschreibt ein v.a. im angelsächsischen Rechtsraum verbreitetes summarisches Verfahren zur außergerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten zwischen zwei oder mehreren Vertragspartnern. In Großbritannien wurde es im Jahr 1996 mit dem Ziel eingeführt, Streitigkeiten im Zusammenhang mit Bauvorhaben zeitnah und kostengünstig durch eine vorläufig bindende Entscheidung des Adjudikators zu erledigen. Dort ist die Adjudikation rasch zu einer Erfolgsgeschichte mit hoher Akzeptanz geworden. WELCHE FORMALEN VORAUSSETZUNGEN GELTEN? Hierzulande setzt die Durchführung eines Adjudikationsverfahrens eine vertragliche Vereinbarung der Parteien voraus, die schon im Ausgangsvertrag getroffen werden kann. Durchgeführt wird das Verfahren von einem oder mehreren Adjudikatoren, dem Dispute Adjudication Board (DAB). Über die Ausgestaltung des Verfahrens und die Besetzung des DAB entscheiden die Parteien, ggf. ebenfalls schon bei Abschluss des Bauvertrags. Das ermöglicht die Vereinbarung individuell auf die Parteien zugeschnittener Verfahrensregeln, die allerdings in jedem Fall rechtsstaatlichen Grundanforderungen genügen sollten. GIBT ES BEREITLIEGENDE VERFAHRENSORDNUNGEN FÜR ADJUDIKATION? Die in Deutschland gebräuchlichsten sind: – DIS-Verfahrensordnung für Adjudikation der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e.V. (Stand 2010) – Streitlösungsordnung für das Bauwesen (SL-Bau) der Deutschen Gesellschaft für Baurecht e.V. und des Deutschen Beton- und Technik Verein e.V. (Stand 2021) Beide unterscheiden sich gravierend: Während die DIS-Verfahrensordnung die Adjudikationsentscheidung als eigenständiges Instrument einordnet und darauf verzichtet, die Adjudikationsentscheidung mit staatlicher Hilfe vollstrecken zu können, sieht die SL-Bau in der Adjudikation ein modifiziertes schiedsgerichtliches Eilverfahren, das im Wesentlichen den §§ 1025 ff. ZPO unterliegt. Die Schiedsordnung für Baustreitigkeiten (SOBau) der ARGE Baurecht im DAV enthält seit ihrer Neufassung 2020 keine Verfahrensordnung für Adjudikation mehr. WIE FUNKTIONIERT ADJUDIKATION? Die Vertragsparteien unterwerfen sich freiwillig einem Verfahren, mit dem innerhalb kürzester Zeit vertragliche Streitigkeiten entweder einvernehmlich beigelegt oder entschieden werden. Zwischen dem Eingang des Antrags beim Adjudikator und seiner Entscheidung liegen je nach Verfahrensordnung zwischen 28 und 84 Tagen, unabhängig vom Gegenstand der Streitigkeit. Adjudikation funktioniert quasi nach dem Prinzip „Nur schnelles Recht ist gutes Recht!“. Dies soll eine möglichst ungestörte Abwicklung des Vertrags sicherstellen. Deshalb findet die Adjudikation insb. bei großen und größten Bau- und Anlagebaumaßnahmen Anwendung, die sonst nicht selten durch unerledigten Streit in eine sehr teure Schieflage geraten. WIE WERDEN ADJUDIKATIONSENTSCHEIDUNGEN DURCHGESETZT? Die Adjudikationsentscheidung ist nur vorläufig bindend und unterliegt der vollen Überprüfung durch die ordentlichen Gerichte (oder, falls vereinbart, durch ein Schiedsgericht), deren Anrufung al-
BRAK MAGAZIN 2/2025 15 lerdings für die Dauer des Adjudikationsverfahrens suspendiert ist. Nach einer in der Verfahrensordnung der DIS repräsentierten Auffassung ist die Adjudikationsentscheidung kein Titel i.S.d. § 1055 ZPO, der durch gerichtliche Entscheidung für vollstreckbar erklärt werden könnte (§ 1061 ZPO). Ihre Durchsetzung wird mittelbar erzwungen, weil die Nichtbefolgung der Entscheidung kraft vertraglicher Vereinbarung der Parteien eine schwere Verletzung vertraglicher Pflichten darstellt, die regelmäßig mit Sanktionen (Schadensersatz, Kündigung aus wichtigem Grund, Vertragsstrafe etc.) belegt wird. Diese Sichtweise wurde durch einen Aufsatz des BGH-Richters Andreas Jurgeleit (BauR 2021, 863) in Frage gestellt, der Adjudikationsverfahren nur als auf vorläufigen Eilrechtsschutz gerichtete, modifizierte schiedsgerichtliche Verfahren i.S.d. 10. Buchs der ZPO für zulässig erachtet. Diese Auffassung, die zu einer Änderung der SL-Bau und zum Verzicht der SOBau auf eine Adjudikationsordnung führte, hat weitreichende Konsequenzen, weil sie die streitige Vollziehung der Adjudikationsentscheidung staatlicher Vollstreckung unterwirft, an die Gestellung von Sicherheiten knüpft und denjenigen gem. § 1041 IV ZPO mit Schadensersatzansprüchen seines Vertragspartners konfrontiert, der eine fehlerhafte, nachträglich korrigierte Adjudikationsentscheidung vollzieht. Insbesondere wegen der letztgenannten Konsequenz ist Adjudikation mit dieser Ausprägung für die Praxis uninteressant. WELCHE FORMEN DER ADJUDIKATION GIBT ES? Die „Ad-hoc-Adjudikation“ wird anlass- bzw. streitbezogen von den Parteien vereinbart. Bei größeren Baumaßnahmen lohnt die Implementierung eines DAB als „Stand-by-Board“, das die Baumaßnahme von Anfang an begleitet und bei Bedarf kurzfristig für jeden Streitfall hinzugezogen werden kann. WER KANN ADJUDIKATOR SEIN? Die Anforderungen an Adjudikatoren sind nicht gesetzlich geregelt. Die Parteien können also frei bestimmen, wer Adjudikator sein soll. Sie müssen allerdings entscheiden, ob sie einen Juristen oder einen qualifizierten Fachmann/Ingenieur beauftragen. Jedenfalls im Geltungsbereich des deutschen materiellen Zivilrechts sind fast alle Baustreitigkeiten maßgebend von rechtlichen Parametern beeinflusst, deren verständige Anwendung spezialisierten Fachjuristen vorbehalten werden sollte. Weil indes nicht selten auch technischer Sachverstand gefordert ist, werden insb. Stand-by-Boards regelmäßig mit mindestens einem Juristen und einem oder mehreren technischen Experten besetzt. WAS SIND DIE VORTEILE DER ADJUDIKATION? Adjudikation ist schnell und kostengünstig. Sie kann enorme befriedende Wirkung entfalten, wenn Sie als Bestandteil einer auf Konsens und Kooperation ausgerichteten Vertragskultur implementiert und gelebt wird. Die Entscheidung eines interdisziplinären Expertengremiums wird trotz des summarischen Verfahrens oft als ökonomisch sinnvolle Lösung akzeptiert und macht eine zeit- und kostenaufwändige (schieds-)gerichtliche Überprüfung entbehrlich. WELCHE NACHTEILE GIBT ES? Ein Nachteil zeigt sich, wenn die Entscheidung des Adjudikators streitig bleibt und die obsiegende sie – jedenfalls nach der DIS Adjudikationsordnung – ohne staatliche Hilfe durchsetzen muss. Hinzu kommt die Gefahr, dass das auf Geschwindigkeit und Beschränkung des Streitstoffs ausgelegte Verfahren bewusst mit Tatsachenvortrag überfrachtet und so für Obstruktion missbraucht wird. Der enorme Zeitdruck verhindert Sachaufklärung u.U. auch dort, wo sie im Interesse einer sachgerechten Streitlösung angebracht sein mag. WELCHE KOSTEN ENTSTEHEN UND WIE WERDEN SIE VERTEILT? Die Adjudikatoren erhalten ein nach Zeitaufwand bemessenes, individuell zu vereinbarendes Honorar. Für ein Stand-by-Board fällt üblicherweise zudem eine Bereithaltungspauschale an, die je nach Größe und Komplexität des Bauvorhabens zwischen 1.000 und 5.000 Euro pro Monat und Boardmitglied liegt. Über die Verteilung der Kosten entscheidet das DAB. Es ist nicht unüblich, dass die Parteien auf die Erstattung außergerichtlicher Kosten verzichten und die Kosten der Adjudikation unabhängig vom Ausgang des Verfahrens je zur Hälfte tragen. Foto: eamesBot/shutterstock.com
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